Flussers Teppiche

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Teppiche kommen aus der Parallelwelt der Nomaden in die Großreiche der Hauskultur. Sie repräsentieren die Stürme der Wüsten und der Steppe, und die aus der Weltgeschichte bekannten Völkerstürme. Man kann sie als Wetterleuchten, Boten und Vorboten epochaler Umwälzungen ansehen. Ihre Aktualität durch die angebliche Teppichrenaissance in sogenannten Kunstausstellungen“ zu belegen, ist vielleicht etwas dünn. Der Schritt Flussers von Vorboten der Wüste zum Gewebe eines Knüpfteppichs macht neugierig. Zu bedeutsam ist diese Metapher im flusserschen Denken! Der seinen Lesern bekannte Horizont ist geöffnet. Diesmal geht es um die spezielle Webart, als „Engagement der Oberfläche gegen die Kette“ (112) charakterisiert. Noch ein Schlüsselbegriff – Oberfläche – der heraufkommenden Kultur, verbunden mit Täuschung der Sinne. „Diese Schilderung der Technik (…) des Knüpfens will die verschwörerische, ja lügnerische Stimmung der Sache zu Worte kommen zu lassen“ (112).

Das Verstecken betrifft einmal der stützenden Kette im wollenen Schuss, aber auch das „in jedem Detail vorgezeichnete Teppichmuster“- das Programm – , schließlich den „hüpfenden Vorgang“ des Knüpfens.

Doch auch der Autor verbirgt, und zwar die stützenden Implikationen seiner Theorie. Es ist kaum auszuhalten, wie nahe seine Konzeptionen von Programm und digitalem Klappern unter der Oberfläche liegen und doch nicht erwähnt werden. Darin liegt selber Verschwörung, ein Sprachkunstwerk nach dem Modell des Teppichs, dessen Renaissance er herablassend in sogenannten Kunstausstellungen ansiedelt. Warum eigentlich? Er argumentiert damit, dass das Lügnerische vom Kulturbetrieb auf dumme Art eingelassen wird, um es konventionell-dekorativ zum Verbergen von Schäden unserer nackten Wände zu  benutzen, was kulturell nicht weniger als den Verlust der Wahrheit bezeichnet – an Nackte Wände überprüfen! – anstatt den Vorboten als solchen zu erkennen und zu versuchen, seine Botschaft zu verstehen, wie es Flusser in diesem Text vormacht. Inwieweit seine Methode dabei „phänomenologisch“ und nicht vielmehr schalkhaft poetisch ist, muss einstweilen offen bleiben. Was leisten seine kleinen Essays?  Sie machen Spaß wie Denksportaufgaben, sie verankern die Lehre in immer neuen Phänomenen. Flusser probiert aus, ob es beim Leser funktioniert.

Text:Teppiche‘ in ‘Dinge und Undinge‘, Edition Akzente Hanser, 1993, S.110-113

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