Persönliche Abrechnung mit dem Alten Testament (AT)

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Der ursprüngliche Beitrag (März 2000) erscheint überarbeitet mit weiteren aus den vergangenen zwanzig Jahren, die in der jetztigen Situation nicht verloren gehen sollen.

“Persönliche Abrechnungen” sind grundsätzlich ungerecht und tragen wenig zur Wahrheitsfindung bei. Sie spalten, statt zu versöhnen. Ein Thema wie “das Alte Testament” (AT) ist hoffnungslos überkomplex. Doch gottseidank haben wir noch Redefreiheit, so können bei der Gelegenheit vielleicht andere, unerwartete Wahrheiten zutage treten.

Es existiert im heutigen nach-zionistischen Staat Israel ein synthetischer ‘nationaler’ Gründungsmythos, der  Israel ideologisch aus dem modernen westlichen Politikverständnis heraus katapultiert. Die Landnahme bis 1948 war die eine Sache, aber sie hätte mit langem Atem  in demokratisch- rechtsstaatlicher Manier in eine auch für die Palästinenser lebbare Verfassungsordnung münden können. Gerade im Moment von Rabins Ermordung 1994 bestand noch einmal eine geringe Aussicht.

Was hat das aber mit der ‘Abrechnung’ eines alt gewordenen deutschen Nachkriegskindes ‘mit dem Alten Testaments’ zu tun? Ganz einfach: Wieso sollte derselbe Mythenkomplex in einer problematischen politischen Umgebung für israelische Kinder förderlicher sein als für deutsche? Für mich gehört das AT untrennbar zum hässlichen Gesicht von Religion. Da werde ich direkt zum militanten ‘Aufklärer’ und Atheisten! Dabei interessiert mich diese Konfliktlinie eigentlich nicht besonders.

Ich nahm die Enttarnung des religiös verbrämten Gründungsmythos Israels beifällig zur Kenntnis, etwa 2007 Keine Posaunen vor Jericho von  I. Finkelstein und N.A. Silberman (C.H.Beck 2002) und regte mich über die aufgewärmte Exodus-Legende bei ARTE auf (Link), aber fragte nicht weiter. Auch die Begegnung mit Oswald Loretz: Ugarit und die Bibel: Kanaanäische Götter und Religion im Alten Testament (AT) (WBG Darmstadt 1990) ändert daran wenig. Mit diesem „Bibelstellen“-Register  könnte ich vielleicht Lust bekommen, im AT zu lesen, aber ob ich’s wirklich tue?

Doch die Geschichten des AT sind Teil meiner protestantischen Kindheit in der eher düsteren Nachkriegszeit.

Ich war ihnen in zartem Alter ausgesetzt. Sie faszinierten und erschreckten mich mit ihrer exotischen Drastik.

Vom Sündenfall über den Brudermord, zur Kindesopferung (fast vollendet), den rauhen Viehzüchtersitten zur Härte der Zehn Gebote der Brutalität des strafenden Gottes gegen Adam und Eva, Babylonier und Ägypter und allen anderen, die Ihm ungehorsam waren, Sodom und Gomorra ohnehin.

Alles war archaisch, für ein Kind der Fünfziger Jahre unbegreiflich, darin  ähnlich der Trümmerlandschaft um es her und alles das, worüber man vor Kindern nicht sprach. Denn wir ahnten, dass auch unserem Deutschland so wie Sodom und Gomorra etwas unvorstellbar Alttestamentarisches geschehen war. Die Nazis waren satanisch, aber sie gehörten offensichtlich zu uns, im Unterschied zu den Kommunisten. Wie im Hollywood-Western oder im Gangsterfilm gab es nur Gute und Böse. Waren wir als Kinder auf der falschen Seite? Wie brachte man das zusammen? Feinde und Versucher waren allgegenwärtig: “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen, denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit…”

Da war die Sünde der Neugier, des Ungehorsams und der Onanie, und das Goldene Kalb als Götze eines verderbten Denkens. Deutsche Intoleranz und die geistige Enge dieser Zeit fand in den grausamen Herrenmenschen-Erzählungen des AT eine Bühne. Ihre Kraft der Indoktrination nutzt übrigens auch das Erziehungssystem in Israel seit Jahrzehnten!

Izkor- Sklaven der Erinnerung, von Eyal Sivan 1995, 95’, Link zu einem 11-minütigem Exzerpt auf youtube; Kurzkritik in englischer Sprache (Link)

Lessings Nathan der Weise war für mich als Gymnasiast ein langweiliges blutleeres Stück. Ausgerechnet in Deutschland nach 1945 bot das Gymnasium einen Juden als Musterbeispiel geistiger Toleranz. Juden schien es doch nicht mehr zu geben. Ich lernte persönlich keine kennen, auch wenn welche in die Arztpraxis meines Vaters kamen und man am Mittagstisch über sie sprach: alles Zugewanderte, die Wiedergutmachung kassieren wollten, sicher auch ein paar sympathische…. Mit einem ‚Halbjuden’ waren die Eltern seit langem befreundet, das klang es anders, aber der wohnte in einer anderen Stadt. Die Berichte und Gerüchte – von was eigentlich? ‚Endlösung’, doch nicht bereits ‚Holocaust’ – an Juden in Zeitung und Schule vermischten sich mit den Geschichten des AT, wie sie protestantische Pastoren vermittelten. Einer davon schrieb mir Konfirmation in die neue Bibel: „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.“ Da wollte ich lieber nicht selig werden.

Eigentlich will ich nur erzählen, wie mich jüdisches religiöses Denken in protestantischer Überarbeitung beeinflusst hat. Ängste, Verbote und Tabus wie Strafen und Katastrophen sind für mich seither unlösbar mit dem AT verbunden.

Der Monotheismus entstand ja nicht mit einem Schlag, und er schlug die Konkurrenten nieder, drehte ihnen das Wort im Munde herum, er transformierte schamanisierbare Ahnen in Väter, er verbot alles, was mit dem Tanz ums Goldene Kalb zu tun hatte. Er existierte eigentlich nur mittels seiner Feindbilder. Das konstantinische Christentum zimmerte daraus eine frühe westliche Ideologie. Nicht einmal die Traditionen Chinas stellen Verbote so in den Vordergrund. Das polytheistische Modell – in der griechischen Odyssee bühnenreif repräsentiert – ist der menschlichen Einsichtsfähigkeit einfach angemessener: Es herrscht Streit und daraus geht – mit einem gehörigen Schuss Zufall – alles hervor. Welche jüdisch-christliche Aporie lässt sich durch Voraussetzung von Vielheit und Vielstimmigkeit eigentlich nicht auflösen?

Ich kam damit nie zurecht, dass die christlichen Kirchen zweitausend Jahre lang den zumindest problematischen jüdischen Traditionsballast mitschleppen.

Indem sie die längste Zeit über die Juden verfolgten und ihnen nicht einmal eine ‘Bekehrung’ abnehmen wollten, wurden diese zusammen mit ihrem Alten Testament zu exemplarischen Unterworfenen in einem ewigen Triumphzug.

Im nach-zionistischen und nationalreligiösen Israel sind die Palästinenser zu dem geworden, was die Kanaaniter des AT waren: mit  Hartnäckigkeit zu verdrängende Bewohner des ‚versprochenen’ Gelobten Landes.  (Link)

5.3.2010 / 25.5.2018

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