1999 im SPIEGEL: Zwei jüdische Newyorker und der Staat Israel

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Zwei Texte, über die wir im Unterricht sprachen und die  aus dem Abstand von zwei Jahrzehnten einen eigenen Reiz entwickeln. Schon der Name “Netanyahu”! Es war nicht schwer, im Netz Spuren von Joseph Frager (Link) und Kenneth Bialkin (Link)zu finden. Die Bialkins sind diskreter, eigentlich nur einschlägige Mitgliedschaften.  

Der Beitrag erscheint gemeinsam mit weiteren aus den vergangenen Jahren, die in der jetztigen Situation nicht verloren gehen sollen.   25.5.2018

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Doktor Joseph Frager steht jeden Tag, den der Herr werden läßt, kurz vor sechs Uhr auf, geht zum Morgengebet in die Synagoge um die Ecke und läuft anschließend fünf Meilen durch Queens. Er schafft die Strecke in weniger als 30 Minuten, “keine schlechte Zeit für einen Mann über 40”. Dann zieht er sich um, steigt in sein Auto und fährt nach Riverdale, einen besseren Teil der Bronx, wo er eine private Klinik unterhält.

Der Facharzt für Gastrologie hat gut zu tun. Nicht nur magenkranke New Yorker lassen sich von ihm behandeln, es kommen auch Patienten aus fernen Ländern, “einige sogar aus den Arabischen Emiraten”. Frager ist rund um die Uhr erreichbar, an seinem Gürtel hängen zwei Beeper, ein gewöhnlicher und einer für extreme Notfälle, damit er auch am Schabbat alarmiert werden kann. Denn es gibt nur ein Gebot, das mehr wiegt als die Pflicht, am siebten Tag der Woche alle Arbeit ruhen zu lassen – “Kranken zu helfen und Menschenleben zu retten.

Seit 1990 hat Frager ein Ehrenamt inne, das ihn zwar seine freie Zeit kostet, zugleich aber enorm befriedigt. Er ist Präsident der American Friends of Ateret Cohanim, richtet einmal im Jahr ein großes Fund-Raising-Dinner mit über looo Gästen aus und organisiert ein Freiluftkonzert im Central Park, zu dem 30000 Besucher kommen: “Es ist mein Hobby, ich liebe es.”

So gut wie alle öffentlichen Institutionen in Israel – Museen, Universitäten, Krankenhäuser – haben ihre Fan-Gemeinden im Ausland, von denen sie mate-

riell unterstützt werden. Aber die Jeschiwa Ateret Cohanim ist etwas Spezielles: eine religiöse Hochschule für Männer, die mitten im arabischen Teil der Jerusalemer Altstadt liegt. Für die Araber eine unerhörte Provokation, zumal sich die Jeschiwa darum bemüht, durch den Ankauf von Häusern in der Umgebung ihre Basis zu erweitern. Auch geben sich die Studierenden nicht zweckfreier Gelehrsamkeit hin: Sie werden jetzt schon als Priester für den Dienst im Dritten Tempel ausgebildet, der eines nicht allzu fernen Tages an der Stelle stehen soll, an der sich vorläufig noch der moslemische Felsendom erhebt.Kein Wunder, daß die frommen Studenten unter weltlichen Israelis als fanatische Eiferer und wirklichkeitsfremde Spinner gelten. Das weiß auch Frager, obwohl er versichert: “Ateret Cohanim ist eine Hochschule wie viele andere auch. Der einzige Unterschied ist: Sie liegt mitten in Gottes eigenem Hinterhof. Basta.”

Die Arbeit bedeute ihm die “Erfüllung meiner Ideale”, gebe ihm “das Gefühl, in Israel zu sein, indem wir denjenigen helfen, die wirklich dort leben”; natürlich würde auch er am liebsten in Israel leben, aber das Schicksal habe ihm “eine Aufgabe in den USA” zugewiesen.

Die rund 200 Studenten von Ateret Cohanim, die meisten längst volljährig und verheiratet, müssen sich um ihren Lebensunterhalt keine Sorgen machen. Die Adreßliste der American Friends of Ateret Cohanim umfaßt rund loooo Namen, auf jeden Studenten kommen 5o Unterstützer. “Sie können es auch ohne uns schaffen, aber wir machen es ihnen leichter”, versichert Frager und sagt, Pioniere und Idealisten hätten es immer schwer. “George Washington war umstritten, Theodor Herzl und David Ben-Gurion waren es auch. Wenn man der Masse voraus sein will, muß man auch bereit sein, den Preis dafür zu zahlen.”

 

2.

„Ich bin das Ergebnis weltlicher Erziehung, doch ich empfinde eine Menge Respekt und Bewunderung für Menschen, die nach den Regeln ihres Glaubens leben”,sagt Kenneth Bialkin.

Von seinem Büro iM 43. Stock eines Wolkenkratzers an der Ecke Third Avenue und 55. Straße schaut Bialkin über einen Teil von Manhattan. Die Lower East Side, wo er 1929 als Kind russischer Einwanderer geboren wurde, hat er weit

hinter sich gelassen. Der Absolvent der Harvard Law School ist Senior Partner einer großen und renommierten Anwaltskanzlei, die Liste seiner Ämter und Ehrenämter füllt zwei Seiten, auf dem Fenstersims stehen Bilder, die ihn zusammen mit Ex-Gouverneur Mario Cuomo, Präsident Bill Clinton und Papst Johannes

Paul II. zeigen. Und dennoch hat er Verständnis für jene, die das Wort Gottes noch wörtlich nehmen. “In der Bibel steht, daß uns das Heilige Land gegeben wurde. Die Orthodoxen handeln aus dem Gefühl heraus: Irgend jemand muß die Arbeit im Namen aller tun.” Bialkin spricht von Pflicht, Tradition, Erfüllung, von Idealismus, Patriotismus und Hingabe – von Tugenden, die in der säkularen Welt aus der Mode gekommen seien und die nur noch von den praktizierenden Orthodoxen hochgehalten würden.

Nie würde er sein Büro auf der East Side Manhattans gegen eine Bleibe in Hebron tauschen, aber er findet es gut, daß es Menschen gibt, die dazu bereit sind. “Sie stehen an vorderster Front im Kampf um Israels Existenz, um das Überleben der Juden.” Mögen die Siedler manchen als Karikaturen erscheinen, “für uns, die wir ganz anders leben, sind sie das Salz der Erde”.

Bialkin vermutet, daß viele weltliche Juden genauso denken und fühlen wie er, sei es aus Schuldgefühlen, weil sie sich von der traditionellen Lebensweise entfernt haben, sei es, weil sie das Verhalten der Orthodoxen als eine Art Vorsorge für den Fall des Falles sehen. “Es gibt keinen Anfang und kein Ende der Geschichte. Wir leben hier wie im Paradies, umgeben von Prosperität und Toleranz. Aber das muß nicht ewig so bleiben.”

Auch in Deutschland hätten sich die Juden bis 1933 absolut sicher geglaubt; hätte es damals schon den Staat Israel gegeben, wäre es nicht zum Holocaust gekommen. Woraus folgt: Israel darf keine Schwäche zeigen, keine territoiialen Zugeständnisse an die Palästinenser machen. Doch weil Bialkin ein echter Liberaler ist, plädiert er immerhin für einen “politischen Kompromiß”, für einen “Modus vivendi” mit den Palästinensern. Die Einzelheiten des Arrangements überläßt er vertrauensvoll Netanjahu.

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Die beiden Adressen:

Hamill- Doctor works har#3DCE6F       .     Kenneth J. Bialkin | Pro#3DCF04

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