‚Mark Rothko‘ by Lee Seldes

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Eine Biografie, eine Familien- und Werksgeschichte 1903 bis 1970, ein Kriminalroman in den SphĂ€ren der spekulativen Kunstfinanz in der Epoche ihrer revolutionĂ€ren Ausbreitung, die einige KĂŒnstler mitreißt und ihnen den Boden unter den FĂŒĂŸen wegzieht. Auch bei Rothko tauchen die Kennedys auf.

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Von Finanzberatern und Anwaltskanzleien ist in dem Buch zu viel die Rede, schon vor Rothkos Tod und dem anschließenden Erbstreit. Das schwere Parfum amerikanischer Museen, international operierender Galerie-Konzerne und millionenschwerer Kunden weht aufdringlich in diesen RĂ€umen. GeschĂ€ftlich erfolgreiche KĂŒnstlern werden zu Clowns.

Rothko glaubte vielleicht seine Reinheit als KĂŒnstler zu bewahren, wurde dabei immer anmaßender, bizarrer und depressiver. Der Ă€ußere Erfolg war ein einziger Irrweg. Denn seine GeschĂ€ftspartner kauften und verkauften, sammelten nicht Kunst, sondern Geld. Sein kĂŒnstlerisches Geheimrezept war das Rezept fĂŒr eine Ware, zudem eine entbehrliche Ware. Alle ExklusivitĂ€t war ein Versuch, ihren Preis, vielleicht auch ihre Anerkennung hochzutreiben. Rothko war Teil eines Spiels um kĂŒnstliche Knappheit, selbst Virtuose in Verknappung des Angebots: Der private Erwerb eines seiner Bilder wurde oft zum GlĂŒcksfall.

Doch darf man nicht vergessen, dass diese an sich demĂŒtigenden Bedingungen immer jemanden brauchte, der sie sich gefallen ließ, obwohl er dies eigentlich nicht nötig hatte. Der KĂ€ufer konnte das Spiel zu jedem Zeitpunkt abbrechen. Es ging doch um Nichts, wie Antonioni dem Meister unbedingt persönlich sagen wollte. Selbst dieser cinĂ©astische Zauberer suchte die Anerkennung des Zauberers. Woher kommen solche Momente der Begeisterung, die einem den Atem stocken lassen?

Ich habe so etwas im MĂ€rz bei den PosaunenklĂ€ngen der Orgel zwischen den gewaltigen WĂ€nden und SĂ€ulen von Notre Dame und vor den NymphĂ©as Monets in der Orangerie erlebt. Was ist ihr Geheimnis? Bei Monet muss es in der akkumulierten Erfahrung von fĂŒnfundzwanzig Jahren liegen, den eher trĂŒben Pinselstrichen war das Geheimnis nicht anzusehen. Auch Rothko sammelte Erfahrung auf einem einzigen Ă€sthetischen Feld und verstĂ€rkte nach KrĂ€ften die IntensitĂ€t seiner Bilder, und das so rĂŒcksichtslos, dass chemische Selbstzerstörung mancher Bilder die Folge war – oder heimliche Absicht? – doch dies in einem ganz anderen Umfeld:

Rothko blickte wohl zu sehr aufs Publikum, auf den Rezipienten, der seine Farbschattierungen verstehen und respektieren sollte, aber zugleich Teil der geldschweren Nachfrage war, die wankelmĂŒtig Modetrends folgte, GeschĂ€ftsstrategien und spekulativen Erwartungen. Er suchte innere Versenkung und war in seinen Vierzigern schon hoffnungslos  abhĂ€ngig von gesellschaftlicher Anerkennung. Dies ließ sich zwar mit taktischem Geschick befördern, aber gegenĂŒber den begabten Finanzjongleuren und Falschspielern hatte der KĂŒnstler keine Chance. Die kooperierten ja zudem mit ausgebufften AnwĂ€lten. (Die „Finanzkrise“ klopft an!) Er hatte nur ein einziges, eng umrissenes Produkt im Angebot und wollte damit reich und berĂŒhmt werden. Und er hatte eine typisch jĂŒdische Geschichte von Entwurzelungen im RĂŒcken, die Kraft kostete. Die Schönheit vieler polychromer abstrakter Bilder ist ein wunderbarer Akt der Selbstbehauptung, aber der Ă€sthetische Widerstand  lĂ€sst sich nicht ĂŒber Jahrzehnte dehnen oder reaktivieren, gar noch unter Ă€ußerem Druck und vielfachen Anreizen. Und so geriet Rothko auf die Bahn der chronischen Intoxikation. Sind die Bilder der letzten Jahre noch stark und wenn, woher?

Im Vergleich zu Seldes’ Biografie: Der Katalog von Beyeler in Basel schlĂ€gt eine ganz andere Tonart an; die verdankt sich der Liebe, der Bewunderung, ein wenig der Eitelkeit, vor allem aber der Höflichkeit gegenĂŒber einem Toten, den man zu Lebzeiten in miserabler Verfassung gesehen hat, nĂ€mlich in der Hand von gerissenen BetrĂŒgern. Damit wird ein allzu biederes Bild dieses KĂŒnstlers entworfen, so recht fĂŒr kirchenfromme KunstglĂ€ubige. Das Buch von Lee Seldes ist dagegen eine kritische Kirchengeschichte, sprich Mediengeschichte.

Was ist Kunstliebe, Sammler-Enthusiasmus nach diesem Buch? Das Buch fĂŒhrt uns in eine nach Amerika ausgewanderte Renaissance. UnanstĂ€ndiges Kapital (Muss man diesen Ausdruck rechtfertigen?) gibt sich gemeinnĂŒtzig. MillionĂ€re lassen sich Kapellen und AltĂ€re errichten. Die öffentliche Hand in der ganzen Welt eifert ihnen nach und fördert unter dem Vorwand der Tourismus-Industrie eben solche Tempelbauten einschließlich breiter Rampen. Da wird mit irrwitzigen Summen gespielt, Äquivalente fĂŒr mehrere Arbeitsleben. Freilich, die neuen globalen Crashs konfrontieren uns neuerdings mit noch einmal ins Unvorstellbare gesteigerten Summen. Und die KĂŒnstler? Haben nicht auch Renaissance-KĂŒnstler an ihrem Starruhm gelitten? Stars sind Kometen, und diese verzehren sich und mĂŒssen permanent stĂŒrzen.

Lee Seldes : ‚Das VermĂ€chtnis Mark Rothkos’; Parthas Verlag, Berlin 2008 (mit wissenschaftlichem Apparat)

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