Netzbürger – sich mit Netzen plagend

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Man hat mich zum Privatmann erzogen. Das gerade vergangene Dritte Reich wirkte in der Diskretion der Lehrer nach und, im heimischen Wohnzimmer, in den mahnenden Gesten der ‚Drei weisen Affen’: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. 

Veröffentlichungen waren damals mit geheimen Ritualen verbunden, deren erste Stationen Füllfeder oder Schreibmaschine und deren letzte Station die Druckerei war. Die kleine Auflage war Zeichen von Auszeichnung. Veröffentlichungen erhielt man in der Buchhandlung oder am Kiosk. Das kommt heute noch vor. Die geschützte Privatsphäre wurde als hohes Rechtsgut zuerst von bespitzelten Privatleuten entdeckt, die Rechtshüter folgten in ungehörigem Abstand. Dann aber entwickelte das Bundesverfassungsgericht mit deutscher Gründlichkeit ein Zwiebelmodell, das geradewegs aus dem barocken Labyrinth entsprungen sein könnte. Es war einmal.

Jetzt leben wir in wieder einer zwielichtigen Welt. Die einen leben so, als wohnten sie noch hinter hohen Hecken oder lassen wenigstens Stores und Rollos vor ihrem Privatleben herunter, andere werfen sich entschlossen in die Medienflut. Sie veröffentlichen sich selbst, da sie sich hinter ihrem Rücken ohnehin öffentlich wissen. Mein Profil im Internet ist schlicht mickrig, stützt sich auf Telefonbücher und ein paar in der Welt kursierende Publikationen, an denen ich einmal beteiligt war, sie wiederholen deren dürren vom Zufall bestimmte Angaben. Alle übrigen Informationen über mich sind verstreut ohne jede Aussicht, jemals wieder zusammenzufinden, ausgenommen vielleicht die im Netz, wie ich aus den politischen Nachrichten über NSA und ihre Schwestern folgere.

Nach langjähriger Erfahrung galt das nicht für meine Dienstakten beim Hessischen Staat. Sie mussten zu jedem Tätigwerden neu eingereicht werden, da die Beschaffung aus dem Archiv Jahre gebraucht hätte. Auch Dienstjubiläen waren vorab anzuzeigen, sonst gab es weder Gruß noch Geld. Das war Datenschutz in Perfektion. Doch die private Versicherung gratulierte schon unaufgefordert.

Immerhin vollende ich demnächst mein siebzigstes Jahr, ein Alter, in dem man als Mann von Stand ein ansehnliches Profil oder wenigstens imposante Größe erreicht haben sollte. Ich glaube, dass meine zwielichtige Außenwirkung nicht den traditionellen Werten entspricht, wie sie sich im schönen Spruch ‚Mir san mir!’ ausdrücken. Die Frage ist nur: Lassen sich traditionelle Werte in revolutionären Medien realisieren?