Medienkritik an Vilém Flusser (DVD)

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We shall survive in the memory of others“ – Der Titel des Projekts, vier Videos Flussers in englischer Sprache zu verbreiten*, wirkt schräg, wenn er nicht einfach auf die Sentimentalität potentieller Käufer zielt. Dazu fällt mir eine Anekdote ein, die der Ethnologe Fritz Kramer von einem jungen Senufo erzählt. Der junge Mann pilgerte vom Dorf in die Stadt, dort um über ein hinterlassenes Video mit seinem verstorbenen Großvater, seinem Ahnen, Zwiesprache zu halten und war vom stereotypen Monologisieren des technisch Reproduzierten bitter enttäuscht. Unsere Erwartungen heute sind bescheidener. Ich jedenfalls wäre mit einem lebendigen Dialog in den Aufnahmesituationen zufrieden gewesen.

Flusser erfüllt das mediale Klischee eines Guru, eines geistlichen Führers. Ich höre so einen z.B. regelmäßig im Thai-Imbiss aus der Küche tönen: Langer Redefluss, gleichmäßig in Lautstärke, Tempo und Tonlage. Das Anheben der Stimme akzentuiert einzelne Passagen der Botschaft, bei Flusser häufig durch ein “This is very important“ abgerundet. Ob der fromme Koch in seiner Garküche der Predigt in jedem Moment folgen kann und ob sie ihm nach vielen Stunden am Internetfernsehen noch etwas Neues bietet, weiß ich nicht. Flusser redet in einem elementaren englischen Wortschatz, aber seine Artikulation erinnert an ein Diktat ins Diktiergerät für eine mittelmäßige Sekretärin. So fällt es mir trotz Vertrautheit mit Stoff und Begriffen auf die Dauer schwer, ihm vor dem Fernseher zu folgen. Beim Versuch, auf die Transkription im Beiheft zu schielen, verliere ich gleich den Faden. In einer thailändischen Predigt pflegt der Redner traditionell in kurzen Abständen von einem zustimmenden Chor aus dem Publikum unterbrochen zu werden. Wir kennen das auch von afroamerikanischen Gospelgottesdiensten. Das hält sogar den äußeren Beobachter der Szene bei der Stange.

Flusser formuliert frei, aber tut es nicht im Kontakt mit seinem Publikum, das wir von Zeit zu Zeit im Bild sehen können. Das durchgearbeitete Material scheint sich selbsttätig zu organisieren und zu artikulieren. Immerhin verliert er nur einmal den Faden. Das Publikum zeigt keine Regung. Ein paar Leute machen Notizen. Gespenstisch wirkt ein hell flimmernder Fernsehbildschirm seitlich auf dem Podium, den man abzuschalten vergessen hat. Die weiße Projektionswand hinter Flusser bleibt leer. Auf der Stelltafel stehen mit Kreide die drei einfachen Formeln, die das Cover der DVD schmücken, und auf die Flusser ein einziges Mal  deutet.  Es stehen mehrere Kameras im Saal, auch vorn, sehr auffällig. Das Publikum weiß zweifelsohne, worin die Bedeutung dieses Auftritts liegt, oder der heimliche Zweck. Ich finde das jetzt gerade komisch, weil Flusser an einer Stelle seines Vortrages die moderne Umkehrung von Bild und Ereignis dramatisch zur Sprache bringt: Man heirate für das Bild, mache Terrorismus für das Bild…. Er scheint die Situation, den Kontext, in dem er redet, gar nicht wahrzunehmen. Dass er ein paar Mal die Namen Budapest (Ort des Symposium) und Rumänien (Oberthema) einflicht, gehört zu Basisanforderungen an einen höflichen Redner. Flusser fordert das zum Ausharren erzogene Publikum wiederholt auf, zu „begreifen“, also bei der Stange zu bleiben, obwohl er den Vortrag nicht anhält, auch nicht verlangsamt, nichts fragt. Ist das der Preis seines scheinbar freien Formulierens? Wie vermeidet er, dass spontane Einfälle sein Konzept in Unordnung bringen? Diszipliniert wie er ist, bremst er sie mit kryptischen Floskeln aus. Die Kost ist für den, der sie nicht gewohnt ist, schwer verdaulich. Ein junger Mann im Publikum schaut auf die Uhr. Manche Formulierung erscheint, apodiktisch vorgetragen, so falsch oder unverständlich, wie es nun einmal Uneingeweihten mit Lehrformeln ergeht. Etwa: „Vor der linearen Schrift gab es keine Geschichte.“ „Bilder sind antipolitisch“. „Die Kamera nimmt Sachverhalte (Heidegger) auf und hebt sie damit in die post-histoire.“Communism was the last method of historical consciousness to repress chaotic post-historical brutal….“ (Beiheft p.24)  Fortgeschrittenen im Publikum werden – über die Fremdsprache des Vortrags hinaus – ausdrücklich fremde Begriffe, sowie klingende Namen wie Heidegger, Wittgenstein, Plato und Hegel angeboten.

Auch auf Fragen in den Interviews blickt Flusser wiederholt tief in die Geschichte, holt viel zu weit aus. Muss man das alles glauben, um seiner Argumentation folgen zu können? Wieso überhaupt folgen? Hat der Argumentierende nicht eine Bringschuld? Ist der Trichter des Ameisenlöwen wirklich die geeignete Lehrmethode? Man rutscht in den Trichter und kann froh sein, wenn man zur Ausgangsfrage  durch verzweifeltes Krabbeln zurück findet. An keiner Stelle wird Flusser durch beharrliches Rückfragen zum Dialog gezwungen. So stehen wir vor seinen erratischen Texten und müssen interpretieren. In dem knappen Dutzend Interviews, die ich kenne, treten die Partner fast ausnahmslos als unterwürfige Stichwortgeber auf, wie sie etwa im Bereich der Politik beim Publikum längst verachtet sind. Patrik Tschudin, ein Redakteur des Schweizer Radios DRS1 (in: „Von der Freiheit des Migranten“) war da eine rühmliche Ausnahme. Ich habe den Eindruck, dass Flusser nicht wusste, was er tat. So wie er nicht wirklich Ahnung vom Fotografieren hatte – worüber er gern theoretisierte – so auch nicht von den Gesetzen des Mediums Film, dem er sich leichtsinnig aussetzte. Naiv missachtete er die Regeln der Inszenierung, machte sich keine oder die falschen Gedanken über seine Ausstrahlung. Die auf die Stirn geschobene Brille, die rutschte, war doch wie ein Echo von Loriot! Zeitgenössische Videokünstler waren auch nicht die richtigen Berater. Kurz und gut: Die Redakteure dieser DVD sind schlecht beraten, solche improvisierten Auftritte zu verbreiten.  Der Betrachter kann Vilém Flusser beim Reden zusehen, aber die  Beobachtungen sind nicht schmeichelhaft.

Zehn Minuten und ein Dutzend Sätze des greisen Hans-Georg Gadamer im Fernsehen hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Unterschied: Es gab einen wirklich äußeren Anlass, es waren professionelle Redakteure am Werk und Gadamer trat unprätentiös auf. Sind denn von Flusser keine überzeugenden Dialoge, Diskussionen, überliefert? Ich habe auf diese Frage bisher keine Antwort bekommen. Flussers Erben sollten lieber den Philosophen – entgegen seiner Erwartungen, was soll’s? – im Schutze angenehmer Typographie publizieren und es dabei belassen, Interviews und Reden in einer Transkription zu edieren.

in der Überarbeitung vom 27.10.2013

*DVD: „We shall survive in the memory of others“ – Vilem Flusser, Lecture und Interviews 1988-1991, PAL 87’, ediert von Miklós Peternak und dem Flusser-Archiv, Berlin, Buchhandlung Walther König, Köln 2010

 

 

 

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