Beitrag: Hochgeladen am 27. April 2017 – Ergänzungen 27. Okt. 2021/15. Mai 2023; „405 Hits“
Biebuyck: „We are confronted in this region with a complex cultural continuum.“
Die Erfahrung von Daniel P. Biebuyck, publiziert in seinem viel zitierten Aufsatz Sculpture from the Eastern Zaire Forest Regions (African Arts ….. p.8-15,79-80 und 52-58: 8) :
„Wir finden eine große Anzahl unterschiedlicher ethnischer Einheiten, die auf die eine oder andere Weise historisch und kulturell miteinander verbunden sind. Wir sind in dieser Region mit einem komplexen kulturellen Kontinuum konfrontiert.“
„We find a large number of distinctive ethnic units which, in one way or another, are historically and culturally interrelated. We are confronted in this region with a complex cultural continuum.“
Kurzbeschreibung: Längliche ‚Präsentationsmaske’ 40 cm lang und 20 cm breit
W. konnte sie beim besten Willen nicht zuordnen, ich dachte gleich an die Region Greater Maniema in der Definition von Marc L. Felix (Maniema – An Essay on the (…) Masks of Greater Maniema, engl./dt., Jens Jahn München 1989)
Abgleich mit den Songola
Die Augenpartie scheint überein zu stimmen. Die Größe von 39 cm passt. Doch die Beschreibung von Fig. 34 benennt zahlreiche Unterschiede zum Objekt meiner Recherche: Birnenform, vorspringende Nase, gewölbte Brauen, ein viereckiger Mund mit gezackten Lippen, Löcher quer über das gerade Kinn zur Befestigung eines Bartes; die kleinen durchbohrten Augen liegen in konkaven Flächen; blasses Kaffeebraun mit Spuren von Kaolin und glatter Oberfläche.
Felix: Diese Maske wurde vom Kolonialverwalter Volkaer bei den Songola gesammelt. Sie erinnert in vielerlei Hinsicht an die der Lega, aber die würden eine Maske niemals so groß gestaltet haben, wohingegen die nördlichen Nachbarn, die Lengola, gern zum Gigantismus neigen.
Eine zweite Maske, fig.35, erscheint im Bau verwandter, aber noch stärker gestreckt und mit 18 cm sehr klein. Felix nimmt an, dass sie als Präsentationsmaske zum Inhalt eines Initiationskorbes der Songola-Variante der Bwami-Gesellschaft (Lega)gehörte.
Die Songola sind eine kleine Gruppe (+- 7500), die gemeinsame Ursprünge mit Metoko und Kumu (aus Uganda) haben soll, die von den Tetela weg vom Lomami-Fluss in östlicher Richtung zum Oberlauf des Kongo (Lualaba) gedrängt wurden. Sie mussten ihn sogar zeitweise überschreiten. Wichtig ist hier nur: Sie wurden lange Zeit von verschiedenen Völkern herumgeschubst. (130,139)
Abgleich mit den westlichen Lengola (+- 100.000) (S. 139-143)
Wir erfahren, dass es sich um eine heterogene Gruppe handelt, deren westlicher Zweig am linken Ufer des Lualaba wohnen. Die Dörfer werden von segmentierten Familienverbänden ohne Oberherrscher gebildet. Diejenigen, die Macht besitzen, die Herren des Landes und rituellen Anführer, sind mit der Bukota-Gesellschaft verbunden, der wichtigsten gesellschaftlichen, religiösen und rechtlichen Institution in der Gegend mit vielen Rängen.
Fig.36 bietet sich zum Vergleich an, eine flache Maske von gestreckten Proportionen, das Gesicht halb rot, halb weiß gefärbt mit einer hohen zurückweichenden Stirn, nur 32 cm hoch. Auch sie ist eine Präsentationsmaske, die nicht getanzt wurde – und jetzt wird es interessant: Sie wurde vor Ort zusammen mit einem Stab und einem figürlichen Hauspfostenfragment erworben. Als wahrscheinliche Nutzung nennt Felix die Bukota-Gesellschaft, die dem Bwami der Lega entspricht.
Auf Höhe der Augenbrauen sind auch zwei Löcher zur Fixierung gebohrt. Die strikt frontale Abbildung erlaubt nichts über die ursprüngliche Verbindung mit dem Stab zu sagen. In den Löchern am Kinn waren jedenfalls einmal drei Büschel Bart befestigt.
An meinem Objekt fallen mir jetzt zwei runde Einkerbungen oben und unten auf. Die obere Kerbe ist ausgeprägt und hat einen Durchmesser von 3 cm, die untere ist weniger tief, aber wohl durch viele Bewegungen geglättet. Zwei Löcher in Augenhöhe ermöglichen das Festbinden. Doch sehr stabil kann die Konstruktion nicht gewesen sein.
Nun fallen mir wieder die etwas stockfleckige Innenseite und ein kleiner Feuchtigkeitsrand unten auf. Obwohl die Vorderseite mit Öl und Pigmenten gepflegt wurde, scheint mir der Geruch auch schwach. Der Erhaltungszustand ist gut, das Holz wirkt abgelagert.
Zurück zum ersten unterschwelligen Eindruck:
Die Maske ist solider und schwerer, als eine solche getanzte Maske sein müsste. Die Wände sind aber glatt und von gleichmäßiger Dicke gebaut. An sorgfalt hat man es nicht fehlen lassen. Die Maske wirkt würdevoll, ja behäbig. Man darf genau hinschauen: Alles harmoniert. Selbst an der weißen Zimmerwand hat sie Ausstrahlung. Ich vermisse kein Maskenkleid. Das in der Mitte der Maskenfläche schräg eingeschnittene zweite Augenpaar entfaltet gerade in der Ruhe seine Wirkung. Verkörpert es nicht die höhere Einsicht der Autoritäten sinnfällig?
Europäische Sehgewohnheiten stören sich erst einmal an diesen jeweils kontrastierenden weißen und roten Einkerbungen. Doch wenn man sie als Zentrum akzeptiert, stellt man fest: Alle bisher für Songola und Lengola untypischen Gesichtsproportionen sind genau darauf zugeschnitten. Die Blocknase endet etwas darüber und der hufeisenförmige Mund darunter bildet mit beiden Kerben zusammen eine Parabel.
Die ‚natürlichen’ oberen kreisrunden Augen dürfen deshalb nicht auffällig vortreten, weil sie sonst die Wirkung der spirituellen Augen schmälern würden. Zuweilen erscheinen mir nun simultan zwei Gesichter übereinander.
Doch das Gesicht mit den schräg gestellten Bohnenaugen ist eigentlich typisch Jonga!
Abgleich mit den Jonga (+- 15.000 (??), Felix:100 Peoples, 44)
Im Dezember 2014 erwarb ich eine minimalistische Figur und recherchierte mich von der zweifelhaften Provenienz Mbole zu den Djonga (beziehungsweise Jonga).
Ich ließ es dabei bewenden, zumal Daniel P. Biebuyck in seinem viel zitierten Aufsatz Sculpture from the Eastern Zaire Forest Regions (African Arts ….. p.8-15,79-80 und 52-58: 8) feststellte:“ We find a large number of distinctive ethnic units which, in one way or another, are historically and culturally interrelated. We are confronted in this region with a complex cultural continuum.“
Oder wie mein Händler W. zu sagen pflegt: „Sie essen alle aus derselben Schüssel.“
Jetzt verfolgen mich die schräggestellten Augen. Besonders schön sind sie bei diesem Exemplar:
http://www.bwoom-gallery.com/Jonga%20Djonga%20Figure%2097102%20Congo.html
Aber auch meine minimalistische Figur (EX) bringt sich neu ins Spiel, mit den drei Farben, mit ihrer weichen Erscheinung durch gerundete Kanten, ihrer eher stumpfen großporigen Oberfläche und dem geringen Gewicht des verwendeten Weichholzes. Ganz unaggressiv, aber immer, wenn ich das ‚Aschenputtel’ weggeben wollte, widerständig. Die beiden Objekte müssen miteinander zu tun haben!
8.5. Rührend, diese Versuche, die Objekte zu verkuppeln! Heute soll die Figur zu einem Maskenbrett der BOA gehören: Das patinierte Leichtholz, die Farben, die elementaren Gesichtszüge und vor allem die ungewöhnlichen Knopfohren! Momentan kein weiterer Kommentar!
Zwischenbilanz:
- Präsentationsmaske am Initiationsort der führenden sozialen Institution, die in dieser Gegend südlich von Kisangani beiderseits des Kongoflusses verbreitet war (und ist?)
- Ganz wertvoll war die Erwähnung des Stockes Danach fanden sich am Objekt die Kerben.
- Die Verbindung typischer stilistischer Merkmale hauptsächlich der Lengola und die Orientierung von Biebuyck und W.
- Ein Anflug von Jonga. Ob er sich bestätigen wird?
DREI ERGÄNZUNGEN 2021
„Face oft he Spirits“, Antwerpen 1993 no. 104 LOMBI ? Zaire, Upper Zaire, Ituri anthropomorphic face mask H. 34 cm. Wood pigment
„The mask has been recentltly provisionally attributed to the Lombi, a little-known population group from North Zaire. Characteristic ist he asymmetric division oft he surface into black and white sections. The two pairs of eyes of different form provide a „double sight“, and imply divination and clairvoyance. The intention ist to relay the possibility of seeing into the future and the past, into the world oft he living and the dead. The same ambivalence is found among others, in the four-eye mask attributed to the Bembe (cat.92).
Masks along the Lombi are worn by diviners, during initiations of the mambela society, and fort he funerals of members of this society. Because oft he lack of descriptions of these masks, it remains unclear if the example shown here indeed functioned in connections with divination practice. (C.P.)
Lit.: Mestach (in Maurer 1991: 136, no.66), Felix 1992b“
Übersetzung Google / Graeve* : anthropomorphe Gesichtsmaske H. 34 cm. Holz und Pigment
Die Maske wurde vor kurzem vorläufig den Lombi zugeschrieben, einer wenig bekannten Bevölkerungsgruppe aus Nord-Zaire. Charakteristisch ist die asymmetrische Aufteilung der Fläche in schwarze und weiße Bereiche. Die beiden unterschiedlich geformten Augenpaare sorgen für einen „doppelten Blick“ und implizieren Wahrsagerei und Weitblick/*Hellsehen. Es soll die Möglichkeit vermittelt/*mitgeteilt werden, in die Zukunft und Vergangenheit, in die Welt der Lebenden und der Toten zu sehen. Dieselbe Ambivalenz findet sich unter anderem in der den Bembe zugeschriebenen Vier-Augen-Maske (Kat.92).
Bei den Lombi werden Masken von Wahrsagern, bei Initiationen der Mambela-Gesellschaft und bei Beerdigungen von Mitgliedern dieser Gesellschaft getragen. Aufgrund fehlender Beschreibungen dieser Masken bleibt unklar, ob das hier gezeigte Beispiel tatsächlich im Zusammenhang mit der Wahrsagepraxis funktionierte. (C.P.)
Kommentar
Bei aller Freude über die Abbildung, es ist ein besonders frustrierender, aber nicht untypischer Katalogtext. Der Name „Lombi“ einer wenig bekannten Bevölkerungsgruppe nutzt so wenig wie der ihrer „Mambela“-Gesellschaft. Ob man in der natürlich nicht greifbaren Literatur mehr erführe? Ob das 1992 erschienene Buch von Felix „Ituri“ mit „1992b“ identisch ist? Es zeigt unter den Nummern 41-43 von Proportionen und Ausstrahlung ganz andere Masken der „Lombi“, die auf seinen Karten von breiten Siedlungsstreifen von „Baali“ und „Kumu“ umschlossen und von den Gebieten der Lengola, Songola und Mitoko am Lualaba (Kongo) getrennt sind? Nun, es mögen sich dort auch „Lombi“-Gruppen aufgehalten haben.
Die vermutete Nutzung der Maske ist sozusagen afrikanischer Gemeinplatz. Hier käme die Rückseiten ins Spiel. Zum Tragen fehlen anscheinend wie bei meiner jegliche Befestigungsmöglichkeiten, aber offensichtlich auch eine Einkerbung am oberen Rand, zu welcher bei der „Lengola“ (Felix Kat.36 – siehe oben) eine Stange gehörte; denn sie war eine „Präsentationsmaske“. Interessant bei der „Lombi“ finde ich, dass alle vier Augen großzügig durchgebohrt sind und Durchblick erlauben, was wieder für eine Gesichtsmaske spricht. Überraschend sind die Ausdrucksmöglichkeiten.
Per Email erhielt ich einen weiteren Literaturhinweis, die Abbildung einer Maske und einen kurzen Bericht :
“ Hello, Willy Mestach had one mask like yours in his book „L’intelligence des formes“, illustration 052″
„Dear Detlev,
2019 am Marktstand gesehen:
Nicht genauer untersucht, aber das Fehlen von Kerben festgestellt. Höhe etwa 34 cm.
Mangelnde Ausstrahlung oder fehlende Sensibilität meinerseits in diesem Moment. Zu bunt?
Trotz länglicher Eiform gewisse Nähe zum Ausdrucks des Museumsobjekts in Antwerpen. Interessant ist die frische farbige Fassung, die rot hervorgehobenen Mund- und Augenränder, sowie die Augenbrauen. Darunter könnte ein Kinnbart angedeutet sein. Die weiß-roten Flecken auf der Stirn sind ganz typisch für die Masken im Ituri-Wald.
15. 9. 2022. Behalten oder abgeben?
Bei der ständigen Suche nach Kandidaten für eine Weggabe – das typische Verhalten alter Sammler mit begrenztem Raum und gesteigerten Erwartungen – stieß ich bereits mehrmals auf diese Maske, um dann der Gedanken fallenzulassen. Die anzutreffenden unterschiedlichen Benennungen sind schon längst mehr problematisch, sondern eher Normalität. Das unscheinbare physische Zeichen der Verwendung an einer Stange ist für mich reizvoll, aber für wen sonst, wo es doch vor allem auf die ästhetische Wirkung ankommt? Über die Jahre wurde der Beitrag immerhin vierhundert Male angeklickt.
Ich habe mir wieder etwas Zeit genommen für das harmonische und extrem ruhige Gesicht. Es bekommt sicher die Chance, in einer Ausstellung mit dem Titel „Gesichter Afrikas“ einen Akzent zu setzen.