12. August 2017
Ich war enttäuscht. Jetzt habe ich den Band in der Ruhezone eines bekannten Buchkaufhauses entspannt auf den Knien gehabt und alles war halb so schlimm: Vor allem der Satzspiegel liest sich gut, die Erzählung ohnehin. Sie bleibt natürlich unendlich redundant. ‚Verschlingen und Vergessen‘. Soviel ‚Ruhestand‘ werde ich hoffentlich nie haben. Und kein Krankenlager sollte so lange andauern. Für die unten vorgeschlagene Alternative „Monkeys Pilgerfahrt“ kam ich damals mit zwei Tagen hin. Ob das inzwischen angebotene e-Book die Lösung ist, möchte ich bezweifeln, und selbst das eB ist sündhaft teuer (um die siebzig). Transparentes Dünndruckpapier ist nicht wirklich ein Unglück. Und schließlich finden sich im Text auch die vermissten Anmerkungen wieder. Wunder der Wahrnehmung!
8.März 2017
Im Kinderprogramm KIKA tritt ein extrem dickleibiges und schwerfälliges Riesenschaf auf, in der Herde von „Shaun das Schaf“ (Aardman). Daran erinnert mich die hochgelobte erste vollständige deutsche Übersetzung von (dreimal Trommelwirbel!) „Die Reise in den Westen“, ein maßlos aufgeblasenes Reclamheft von über dreizehnhundert Seiten. Gleich zwei prestigeträchtige Lobeshymnen erschienen an einem Wochenende in FAZ und SZ zur Premiere. Aber über die inneren Werte vergaßen die Rezensenten die äußeren. Es handelt sich schließlich nicht um einen Staubsauger, sondern um ein BUCH. Das ist mir schon deshalb präsent, weil das Werk den Deutschen BUCHpreis erhalten soll. Das munkelten jedenfalls heute die Buchhändler.
RECLAM kennt jeder von den Heftchen, den blökenden Schäfchen der literarischen Schulbildung, die schon mit ihrer Aufmachung kundtaten: Ich bin brav, ich werde dich nicht überfordern.
Auf den ersten Blick: Gelber Pappband ohne „Schutzumschlag“ – zugegebenermaßen ein hässliches Wort, also sage ich bloß: Das Ding ist unverpackt, was heute sonst nur auf Wühltischen vorkommt. Dafür bietet es eine empfindliche Oberfläche, die auf den geringsten Staubflusen oder Nasenpopel zu lauern scheint. Als ich dem Buch am Montag nach den Rezensionen zum ersten Mal begegnete, war es das letzte Exemplar – in den Händen eines konkurrierenden kaum jüngeren Ehepaars und vor allem: Es war von Schutzfolie umgeben. Schutzfolie – Wenn man sie doch zum Anschauen und Lesen nicht entfernen müsste! Doch das ist Utopie und eine reaktionäre obendrein! (Wann werden wir Häppchen von Büchern am Kopfhörer vorgestellt bekommen? Wann werden wir einzelne Kapitel kaufen oder auf Zeit leasen?)
Sessel, Couch oder gar Bett? Nicht daran zu denken. Am einfachsten ist das Schwergewicht noch an sauberen Bibliothekstischen zu ‚konsultieren‘. Zum ersten Mal in meinem Leben warte ich auf das e-Book oder eigentlich nur auf das Hörbuch. Soll sich ein Anderer mit der Textvorlage abmühen!
Ich kam in die Buchhandlung und hoffte, beim Einlesen an einem kleinen Tischchen Ruhe zu finden – für achtundachtzig Euro darf man das erwarten – vergeblich: Hinter den Wörtern waren in dem Dünndruckpapier schon die Schatten von ebenso vielen weiteren auf der Rückseite zu sehen. Oder wahlweise die Schatten von Holzschnitten. Nach dem Umblättern sahen die allerdings aus wie schlechte Fotokopien. Chinesische Buchillustrationen sind ohnehin ein Muster an Untertreibung. Da wird der erotischste Moment zum Holzschnitt, immer in der Totalen mit lauter nichtssagenden Details.
Seit siebzig, achtzig Jahren zeigen deutschsprachige Ausgaben klassischer chinesischer Romane, wie man es machen muss, die von INSEL, KIEPENHEUER (1940), DIE WAAGE oder ARTEMIS: Angemessene Druckgröße, oft ein eher schmaler Satzspiegel, ausreichend dichtes Papier, mittleres Gewicht, fünfhundert bis neunhundert Seiten pro Band.
Die Originale altchinesischer Romane sind alle gekürzt, aber RECLAM hätte ja zwei Bände konzipieren können statt des Riesen. Wer 88 € zu zahlen bereit ist, würde auch zehn Prozent mehr verschmerzen, aber das schien die Kalkulation nicht herzugeben. Der Übersetzerin wollte man es wohl aus sozialen Gründen nicht vom Lohn abziehen. Vielleicht hatte man sich aber nur in den Vorschüssen verrechnet.
Oder liege ich ganz falsch? Geht es nur um ein BUCH für den BÜCHERschrank? Zu richtigen Coffee Table Books scheint RECLAM ja nicht fähig. Bei dem schäbigen Rücken braucht man immerhin einen am Taxieren feiner Markenunterschiede geschulten Blick. Der geht Leuten wie mir ab, lässt sich aber durch BUCHpreise und BUCH-Rezensionen schärfen.
Nach alter Gewohnheit wollte ich mich – ein Roman! – in die Fluten der Erzählung stürzen, aber da landete ich ganz schnell auf dem Bauch, bei einem Vorkurs in chinesischer Esoterik. Einige Dutzend Seiten später ging es dann aber los – na ja – und man bekam auch bald seinen Dämpfer: Der sympathische antiautoritäre „Steinaffe“ ist für den Rest der Erzählung einem beschränkten – egal! aber –’buddhistischen‘ Kleriker ausgeliefert. Beim Durchsehen wundert mich übrigens die geringe Zahl der Anmerkungen, die den versprochenen spirituellen Gehalt dem interessierten Laien auf jeder Seite unübersehbar machen würden. Auch kein Register, dafür viel Text. Wer den Mut hat, zu markern, anzustreichen oder zu kommentieren – das Exemplar ist eh versaut – bekommt wohl auch die erhofften Einsichten.
Gibt es eine Alternative?
Ich verbinde mit der deutschen Ausgabe von 1947 im schweizer ARTEMIS-Verlag intensive und positive Erfahrungen in der gemeinsamen Lektüre. Ihr Spannungsbogen half zum Beispiel, meine junge Ehe zu festigen.
Ich erschrecke heute fast über das Ausmaß der Kürzungen in der alten ARTEMIS-Ausgabe. Ist das wahr: Nur noch vierhundertsechzig groß gedruckte Seiten? Doch im Vorwort von Arthur Waley stehen vernünftige Grundsätze: „Das ursprüngliche Buch ist von unendlichem Umfang und wird gewöhnlich in gekürzten Fassungen gelesen.“ Es waren „Bausteine“, die dem Autor – oder vielleicht besser – Kompilator Wu Cheng-en zur Verfügung standen! Waley bekennt, lieber „zahlreiche Episoden ausgelassen“ zu haben als jede einzelne bis zur Unkenntlichkeit zu kürzen. Das Weglassen von Gedichten ist vielleicht auch schade, aber in einem Roman nicht unverzichtbar. Die Erzählung der beiden Schweizer Übersetzerinnen – sicher im Dialog entstanden – ist frisch. Wurden sie etwa beflügelt durch die Möglichkeit weiterer Straffungen? Dass die eine, Georgette Boner, die temperamentvollen Illustrationen geschaffen hat, gibt mir Vertrauen in ihre Übertragung des Werks – selbst wenn sie aus zweiter Hand, aus der von Arthur Waley ist.
Wenn Spiritualität, wenn Buddhismus nicht schlicht daherkommt, dann ist mir daran zuviel ‚Religion‘. Sollen die Bücherwürmer sich an den Finessen vergnügen.
29. April
Eine Kommilitonin meines Antiquars soll geäußert haben, auch die Übersetzung sei voll daneben. Fake News? Am Freitag, den 28.4.17 trat die Übersetzerin Eva Lüdi-Kong in Frankfurt auf – 18:00 Uhr: „Kinderbuch oder Heilige Schrift?“ vom ‚Konfuzius-Institut‘ im Bibliothekszentrum Sachsenhausen, Hedderichstraße 32, Frankfurt am Main organisiert. Da konnte ich mir mein eigenes Urteil bilden.
Erstes Ergebnis: Das abfällige Urteil der ‚Kommilitonin‘ hat gewiss kaum etwas mit der angenehmen Sprache zu tun, sondern wohl mit der Betonung der ’spirituellen‘ Tendenz des Romans, die in China seit dreihundert Jahren immer wieder einmal von Kommentatoren vertreten wurde, aber umstritten ist. So war z.B. der englische Orientalist Arthur Waley (1889 – 1966) mit Lu Xun (Lu Hsun) ‚A Brief History of Chinese Fiction‚ (1923-24, Peking 1959-82, dort p.206) einig in der Ablehnung eines esoterischen „hidden meaning“ hinter der Erzählung.
„Kinderbuch oder Heilige Schrift?“ Die Alternative muss bei dem im äußerst hierarchisch verfassten China seit Jahrhunderten populären Werk irritieren. Frau Lüdi deutete das Verständnis als politischer Satire wenigstens für das zwanzigste Jahrhundert an. Doch an diesem Abend konnte das veranstaltende chinesische Sprach- und Kulturinstitut ‚Konfuzius-Institut‚ sich an ihrer unverfänglicheren ’spirituellen‘ Sichtweise erfreuen. Und manchem Chinesen im Publikum tauchten schöne Kindheitserinnerungen an den ‚Affenkönig‘ im Fernsehen und in Bildheftchen auf.
Noch zwei Informationen
1. die Information, dass bereits drei Auflagen mit 5500 Exemplaren verkauft und die vierte lieferbar ist. Eine gute Nachricht, nachdem Manesse das Projekt ‚zu groß‘ war und die Übersetzerin erst einmal gar nicht an Reclam gedacht hatte. ‚Der macht doch auch jetzt erst größere Sachen.‘ Wenn sie 2010 nicht über die Frankfurter Buchmesse den passenden Lektor getroffen hätte…..
Das sind gute Nachrichten, schon deshalb , weil es ja sein könnte, dass man wenigstens in der fünften Auflage Gelegenheit findet, ein paar Mängel abzustellen. Doch auch, weil aus einer größeren Auflage mehr und schneller Exemplare in die Antiquariate gespült werden. Garantiert hat nicht jedes wirklich ’seinen Leser‘ gefunden, dazu stellt es zu hohe Ansprüche. Auch wenn bei der Vorstellung am Freitag ein junger chinesischer Vater ernsthaft fragte, ob das Buch etwas für das Kinderzimmer wäre. – Die zögerliche Antwort war ‚Ja‘, er könne ja geeignete Episoden auswählen.
2. über „Wu Ch’eng-ên – Monkeys Pilgerfahrt“
Als auch an diesem Abend niemand die von mir geschätzte Ausgabe im Artemis Verlag 1947 erwähnte, ärgerte mich das. Ich hätte mich zu Wort gemeldet, wenn ich mein Exemplar dabei gehabt hätte. Dann wäre mir aber auch bereits aufgefallen, dass dies Buch einen anderen Titel hatte: Wu Ch’eng-ên – Monkeys Pilgerfahrt, eine chinesische Legende.
Wu Ch’eng-ên ist der anerkannte chinesische Autor aller späteren Ausgaben und Übersetzungen seit dem 16. Jahrhundert. Unter diesem Titel inseriert z.B. Amazon zehn Angebote von mehreren späteren Neuauflagen, übrigens keine unter dreißig Euro. Ich wüsste gern Frau Lüdi Kongs Urteil über diese Ausgabe, aber ich versäumte, mir ihre Emailadresse geben zu lassen.