„Auschwitz“-Gedenktag an der Schule?

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Paper “für die nächste Fachkonferenz Gemeinschaftskunde”    Stand: 28.1.97

Meine kontroverse Position inhaltlich vorstellen: Ich bin gegen eine Gedenk-Veranstaltung, weil sie Zwängen unterliegt, die dem Fachunterricht fremd  sind, indem sie die Verarbeitungsformen einengen.

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„Die Politik“ reagiert mit Feiertagen, Jubiläen und  Mahnmalen auf Vorwürfe von außen und vermeintliche Probleme. Die freie Gesellschaft zivilisierter Menschen braucht das nicht. Freie Menschen reagieren und verarbeiten unterschiedlich. Was dem einen Bedürfnis sein mag,  bringt  der andere nicht über sich. Was Diplomatie und die Experten staatlicher Selbstdarstellung international für geboten halten, weil  die „Sprache“ der Gedenktage und Gedenkstätten und Rituale  überall in der Welt  „verstanden“ wird, weil sie eineindeutig und gegen jedes  „Mißverständnis“, sollte in die Schule nur nach reiflicher Prüfung übernommen werden.

Ich bin nicht überhaupt dagegen,  Doch in der Bundesrepublik und gerade noch in unserer Schule halte ich ein Zuviel für schädlich. Schule solte nicht überwältigen oder „Helm ab zum Gebet“ befehlen. Die Gefahren können wir in Israel sehen,  wo allerdings bewußt  Jugend  über den Holocaust in Richtung Feindbilder, Selbstgerechtigkeit und Bedrohungsängste indoktriniert werden. Die aktive Beteiligung aller Schüler an schulinternen  Gedenkveranstaltungen ist im Lande selbst bisher ohne Erfolg kritisiert worden. Das oft fatale Deutschlandbild unserer  jungen israelischen Gäste  ist jedes Jahr wieder eine Herausforderung für unsere Gastfamilien und eine Chance für uns alle.

Ich möchte auch in aller Vorsicht an die verblichene DDR und ihre  moralisierende Erziehungsdoktrin erinnern, die gerade auch im politischen Bereich  zur Verblendung und anschließend Ernüchterung der jungen Generation geführt hat. Lippenbekenntnisse und politische correctness einerseits,  verstohlene Hakenkreuze und ein fehlgeleiteter Oppositionsgeist  andererseits waren zu beklagen.  Auschwitz als social event  oder als Pflichtveranstaltung   wäre unangemessen.

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Auschwitz ist überdimensional. Der israelische Philosoph Yeshua Leibowitz  sagte in einem Film-Interview und  sehr emotional, verzweifelt: „Man kann aus Auschwitz nichts lernen“

Ein Lernziel  wie „Es darf nie wieder geschehen“  erweist  seine Unzulänglichkeit  und sein Dilemma zwischen offenkundiger Banalität und der Tatsache seiner offensichtlichen alltäglichen Irrelevanz:  Politik kann Kriege und Massaker nicht verhindern, wenn sie sie nicht gar ignoriert. Ich möchte nicht behaupten, daß  wir an Auschwitz nichts lernen könnten: Doch wo ist die Unterrichtseinheit über das systematische Zusammenwirken von fanatischen Sektierern mit den grauen Mäusen in den Einwohnermeldeämtern und Gesundheitsämtern, mit der Wehrmacht, der Großindustrie, den Reichsbahnern (die DDR behielt den Namen, der auf den Zügen nach Auschwitz gestanden hatte, noch fünfzig Jahre), mit den Juristen, Ärzten, Naturwissenschaftern – Dies nur auf „deutscher“ Seite. International kommt über die Jahre die vergebliche Information der alliierten Führungen ans Licht und ihre offensichtlichen Entscheidungen gegen die Menschen, ihre Entscheidung, dem Morden und Sterben seinen Lauf zu lassen.

Und gerade solche unheiligen Allianzen zwischen  „der Welt“ und  bekannten Massenmördern sind doch bis heute Alltag, ebenso wie in zahlreichen  menschenverachtenden Staaten der Gegenwart die geschilderte mörderische Arbeitsteilung funktioniert, heute im Zeitalter der Globalisierung mit noch  breiterer Beteiligung. Die Ausstatter und Dienstleister des Schrecken leben unter uns, wenn wirklich nicht in unserer Nachbarschaft, haben „wir“ wieder einmal Glück gehabt und können mit dem Finger auf andere befreundete Nationen zeigen.

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Das alles sollte in einer  Gedenkveranstaltung an der AKS Platz haben? Ich würde es selbst nicht darin haben wollen. Aber was bleibt dann? Der noch schlechtere Rest,  der Spielberg‘sche Gute Mensch, dem ein  jüdischer Nathan die Augen geöffnet hat, der von einem Saulus (oder einer Sau) zum Paulus oder – noch christlicher – zum Heiligen geworden ist, dem ebenso cleane, aber dümmere Bösewichter gegenüberstehen…

Welche Gefühle kann ein voll begriffenes Auschwitz auslösen? Wohl abgrundtiefe Verzweiflung über die  Million(en) der nicht Geretteten. So ist der Zusammenbruch des Filmhelden Oskar Schindler am Ende, bevor er in eine komfortable Gegenwart entschwebt, der beste Moment des Films. Und wozu soll das jetzt jährlich vor die Jugendlichen !? Damit sie sich in die Position des Retters flüchten? Doch wohl eher, daß  es nicht so weit kommt. Und was gibt ihnen eine Gedenkfeier dazu in die Hand !? Nichts als den frommen Wunsch.

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Anlass: Der Gedenktag war gerade bundesweit eingerichtet worden. Auch unsere Schule reagierte m.W. mit einer Veranstaltung in der Aula.

Der erwähnte Dokumentarfilm heißt “Izkor, Sklave der Erinnerung” und wurde von Eyal Sivan 1990 zum Teil an seiner ehemaligen Schule gedreht. Joshua Leibowitz war damals ein hoch angesehener, aber unbequemer Kritiker der Entwicklung seit dem Sechstagekrieg. 

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