Die Wucht diese älteren Maske aus dem Bereich Lese (Stil IX) wirkt sofort, ist aber nicht leicht zu erfassen, weil die gebogene Holzscheibe klein (23.5 cm hoch) und durch den Gebrauch verblasst ist. Sie schreit nicht theatralisch oder doch so leise, dass man es überhören, übersehen kann.
Es würde sich lohnen, sie zu zeichnen. Ich habe versucht, sie halbwegs adäquat zu fotografieren. Das ist nicht einfach, sie ist kein Brett, ihr Bau erinnert an aerodynamische Entwürfe. Wenn sie auf dem Plexiglasständer schräg auf dem Tisch steht, ist sie eindrücklich, auch von der Rückseite, die kleine energiegeladene gebogene Holzscheibe in genau ’stimmiger‘ Größe mit den verdickten Partien im Stirn- und Nasenbereich, so wie man sie auch in der Hand hält. Ein Leichtgewicht (195 g) und dreidimensional.
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3. Juni 2018 : Trotz der konstruktiven Qualität habe ich die hölzerne Maske weggegeben. Sie hatte bereits mit dem Stroh viel an Lebendigkeit verloren. Die untere Zahnreihe ist ausgeschlagen, die Gesichtsbemalung verblasst und fleckig, auch wenn sie noch rekonstruierbar ist. Das Felix-Buch (siehe unten), das ich wegen seiner Bilder erwarb, weckte Wünsche, die nun anderthalb Jahre später mit einer Lieferung – ‚authentisch‘ oder nicht – wirkmächtig erfüllt worden sind.
Die glänzende schwarze Grundierung der Fläche über den beiden Bögen der Augenpartie ist erhalten, die rechts und links umgedrehte Färbung mit roten und weißen großen Punkten auf weißem (? jedenfalls vergilbt) und rotem Grund ist teilweise nur zu ahnen. Ich wünschte sie mir stärker, sie ist unter verschmutzten Flächen nur bei gutem Licht auszumachen. Im Oberkiefer stecken kaum zurückgesetzt fünf gerade Bambuszähne, ersetzt? Warum nicht? Der empfindlich dünne Unterkiefer ist zahnlos und scheint flüchtig repariert worden zu sein. Der Kranz der 35 Bohrlöcher suggeriert den breiten Kragen aus Bananenstroh, den ‚Ituri‘ Masken bei Marc L. Felix durchweg zeigen.
So ‚passt‘ sie wie selbstverständlich auch in ein gepflegtes Wohnzimmer. Ich frage mich, warum ich diese Maske als fraglos ‚authentisch’ empfinde, im Unterschied zu einer aggressiveren und frischeren Kumu (ohne Abbildung).
Deren formale Lösungen sind schematischer, die Effekte gröber. Sie hat nur eine ‚Lautstärke’, die aggressive Botschaft der weißen gefletschten Zähne; ich müsste sie die längste Zeit verstecken – wenn sich das denn lohnen würde. Sie scheint wie für kurze traumatisierende Auftritte gemacht. Aber auch das wäre ‚authentisch’. Die Frage nach einer rituellen Verwendung wird für mich aber vom Zustand her nicht beantwortet. Muss auch nicht, denn vom Bau her ist sie bloß Standard, ein wenig wie eine flache Auflaufform, wie sie in den Backofen geschoben werden. Die eingeschnittenen Gesichtspartien und die Asymmetrie der gegeneinander versetzten breiten weißen Streifen sind alles an Raffinesse.
Befragung der aus dem Kongo mitgebrachten Herkunftsangabe LESE:
Ich ziehe ein leider sündhaft teures wunderbar ausgestattetes und erzähltes Buch zu Rate: „Ituri – Die Verbreitung polychromer Masken in Nordost-Zaire“, 1992 von Marc L. Felix mit der Galerie Fred Jahn München herausgegeben. Ein schonungslos offener Forschungsbericht, der viele Fragen offen lässt. Wo in aller Welt hat man daran weiter gearbeitet und publiziert? (Meine Bibliothek hat auf jeden Fall einen zu begrenzten Ankaufsetat um solche zu erwerben, und setzt sicher andere Prioritäten)
Felix versucht eine Ordnung nach Stil-Unterzonen, deren Grenzen naturgemäß wiederum durchlässig sind, wegen Nachbarschaften, gemeinsamen Wanderungen und Übernahmen, aber auch gestalterischer Freiheiten. Bei Tiermasken sei der Stileinfluss generell schwächer.
Ich ziehe zunächst fünf Masken aus den Stilunterzonen VIII und IX zum Vergleich bei:
Nr.57 eine BIRA, auch 25 cm hoch. Gemeinsamkeiten:
- rote und weiße Punkte, gleiche Größe, gleich abgesplittert , übereinander gemalt, durcheinander, die rötliche Gesamtwirkung.
- Das rechteckige Maul, es konzentriert sich aber auf die Zähne im Unterkiefer
- Rundum eingeflochtenes Bananenstroh
Felix vermutet ein jüngeres Entstehungsdatum. Vielleicht wegen der offenbar flachen und schematisierten zweistufigen Plankenform, der rechteckigen Nase und quadratisch ausgesägten Öffnungen, wie sie auch bei Masken der Kumu zu sehen ist.
Nr.58 BIRA VIII : die schiefe kurze Nase und ebensolche Punkte wie 57
Nr.60 LESE IX (27,5 cm plus Lederbart) zeigt schräge umrandete Katzenaugen mit Augenbrauen, die ein V bilden, Stiftzähne im quadratischen Maul und vertikale Teilung der Gesichtsfärbung, also 4 Merkmale an einem erkennbar anderen Typ: vielleicht einer Kombination von Wildkatze und ‚Araber’ mit Fez.
Nr.62 LESE/LVUBA IX (26 cm) zeigt ein ‚realistisch’ gerundetes Menschengesicht mit menschlichem, schmalen Mund und leicht krummer menschlicher Nase. Die Wangen sind modelliert. Auf der Höhe der Augen verjüngt sich das Gesicht, allerdings hier, um Platz für ein paar Ohren zu lassen.
Meine Katzenmaske steht im Typ zwischen den wilden flachen, eher kleinen Masken mit Strohkranz und dieser meditativen vielleicht Ahnenmaske.
Nr.53 BIRA VIII (21,5 cm) katzenartig anmutende Maske, mit dunklen Punkten übersät, ursprünglich mit Stroh umgeben, überhaupt nicht schematisch, sondern weich modelliert, was etwas Katzenhaftes suggeriert, ohne es explizit darzustellen. Darin ist sie meiner verwandt.
< Rückseite meiner ‚Lese‘-Maske – Gut sichtbar die schräg ins Holz geschlagenen Löcher
Nachtrag (Provisorium wg. Fotokopie)
In meinen Papieren finde ich die alte Fotokopie aus einem ‚Standardwerk‘ meiner Jugend: Hugo Bernatzik: Große Völkerkunde in drei Bänden, langweilig zu lesen, aber gut illustriert. Band I zeigt einen maskierten ‚Initiationsleiter‘ (klingt irgendwie bürokratisch) aus dem Ituri-Wald: ‚NDAKA‘, Nachbarn der BIRA und LESE! Ich meine typische Charakteristika der Maske zu erkennen – Muster und aerodynamische Form. Bei nächster Gelegenheit die Originalquelle recherchieren und natürlich die Abbildung ersetzen! 12.5.17