Ich bin Frankfurter.

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P1170481Bonbonniere

Ich bin Frankfurter. Die angesengte Bonbonniere aus der ausgebombten elterlichen Wohnung (Leerbachstraße) ist mein Bürgerschaftsdokument.

Ich habe Kindheit und  Jugend an der Grenze zum Westend verbracht: 1950-66. Nach kurzen Aufenthalten in Wien und Bern und einem Jahr Übergang in Ffm.-Hausen wohne ich seit 1968 ununterbrochen im Nordend, seit 37 Jahren, 1973, an derselben Adresse. Seit 2006 bin ich bekennender Alt-Nordendler.

Ich lebte hier als Weltbürger und achtete wenig auf meine unmittelbare Umgebung. Auch Kronberg, wo ich 1976 bis 2006 unterrichtete, interessierte mich nicht. Dort wollte ich auch gar nicht genau wissen, welcher Eltern Kinder ich unterrichtete.

Von Jugend an gewann Kommunalpolitik nie meine Sympathie. Vielleicht waren die Gespräche am Tisch eines bescheidenen Allgemeinmediziners und die Lektüre von FR und FAZ  negativ prägende Einflüsse. Die Geschichten über den Filz unter den Sozialdemokraten und  Gewerkschaften, die in Frankfurt unangefochten regierten, taten das ihre.

P1170490Altstadt

Als Trümmerkind  kannte ich zwar die alte Bausubstanz Frankfurts nicht, aber Berliner Straße und die Siedlungsbauten in der Altstadt gefielen mir nicht. Das Endlosprojekt „Wiederaufbau der Alten Oper“ fand ich absurd. Ich fand – wie viele andere auch – das neue Frankfurt schlicht hässlich. Das änderte sich erst mit der Hochhauskulisse. Die hat mich mit dem Stadtbild ausgesöhnt. Der Palmengarten um die Ecke war langweilig und teuer, die Tram wurde immer abgeschlossener, damit unbequemer für junge Schwarzfahrer. Und Radfahren ließ mich meine Mutter nicht.

Und das Geistesleben? Meine Eltern waren sehr nüchterne Menschen und waren materiell orientiert.

Von Morgens bis Abends ging es nur um Patienten, in der Freizeit floh man ins Wochenendhaus im Hintertaunus. Ich war ein eifriger Besucher der Stadtbücherei in der Gr. Seestraße, aber Bücher sind ja nicht wirklich an Orte gebunden. Kinderbücher und Margarinealben haben mein Interesse früh auf die weite Welt gerichtet und speziell die Völkerkunde.

Das „Goethe-Gymnasium“ legte zwar Wert auf seinen Namen und verlieh jedes Jahr eine Münze, die bereits Goethe erhalten haben soll, tat aber nichts für eine angemessene lokalgeschichtliche Verwurzelung. Das Tabu des Dritten Reichs war wohl eine unüberwindliche Barriere. In diesen neun Jahren, in denen wir dreimal die ganze Chronologie abklapperten, war Geschichte eins der ödesten Fächer. Ab 1933, wenn wir soweit kamen, fand sie in Berlin und weit weg in Polen statt.

Alle interessanten lokalgeschichtlichen Informationen erhielt ich empörend spät: vom umgewandelten Historischen Museum 1971 – und das wurde auch sofort massiv angefeindet – also bereits als Erwachsener, und dann – schätze ich – seit den 1990er Jahren. Das erneut verbürgerlichte Historische Museum war dabei für mich nicht wichtig, eher Jüdisches Museum und künstlerische Aktivitäten oder öffentliche Diskussionen anlässlich von Bauvorhaben, etwa in der Konrad-Adenauer-Straße oder um die Großmarkthalle.

Und so wie diese Stadt sich ignorant gegenüber ihrer Geschichte zeigte – nur unterbrochen von politisch opportunen abrupten Kurskorrekturen – so war es auch gegenüber der berühmten Völkerkundesammlung, meiner heimlichen Liebe. Soziale und politische Eliten sind hier egal mit welchem Parteibuch Krämerseelen mit Anspruch auf  höhere Weihen.

Schon seit langem höre ich die Zugezogenen über das problemlose Eingewöhnen schwärmen und frage mich:

Hat der Frankfurter eigentlich positiv bestimmbare Charakteristika?

Den Umgang mit der autochthonen Unterschicht Frankfurts hat mir meine Mutter, Frankfurterin, aber geboren in Offenbach, bereits 1950 verboten. Mein Hochdeutsch sollte rein bleiben. Und sie hatte Erfolg, auch dank der Strategie des Hessischen Rundfunks, der in meiner Kindheit dem Dialekt nur sonntags eine halbe Stunde mit „Heiner und Babett“ gönnte, später mit den salonhessischen Hesselbachs und mit dem Blauen Bock bundesweit Erfolge feierte.

Frankforderisch war und ist Folklore geblieben, wie die Äbbelwoi-Kultur in Sachsenhausen und Bornheim. Wäldchestag und Dippemess sind früh großkommerzielle Veranstaltungen geworden.

Frankfurt lässt keine Traditionen wachsen. So wird der Flohmarkt am Museumsufer schikaniert und herumgeschubst. Mit Fassaden und Rekonstruktionen verwandelt man Geschichte in teure Bauvorhaben, die denkmalpflegerisch und kommerziell durchkalkuliert werden.

Seit Straßencafes, Flaniermeilen, Stadtteilfeste und überhaupt Feste und Kultur als Standortvorteile im vermeintlich globalen Wettbewerb entdeckt worden sind, kann man sich in Frankfurt gar nicht davor retten. Gerade das aber macht diese Stadt so verwechselbar, so austauschbar.

Der Wahl-Frankfurter – und ich muss sagen: auch ich bin einer geworden – macht seine persönliche Rechnung auf – und bleibt.

Frankfurt, am 14. Dezember 2010

IMG_3593loveFrankfurt  19.11.2013

 

 

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