Helmut Rahn, Altphilologe und Mensch

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                  Seinem Porträt in Wikipedia ein wenig Leben hinzusetzen!

Selbstkontrolle und hintergründige Verschwiegenheit waren Charakterzüge, die mich als vorwitzigen Kopf an Helmut Rahn natürlich am stärksten beeindruckten. Der Kenner antiker Rhetorik war sich wohl zu schade, die breit ausgetretenen Pfade der Redekunst zu nützen (es sei denn solche, die ich bis heute nicht durchschaue), um irgendwelche Wirkungen zu erzielen. Ich bedauerte auch damals schon, wie wenig er publizierte. Als Körperbehinderter hatte er sicher auch einen eigenen Blick auf das Dritte Reich, worin er Altphilologie und orientalische Sprachen studierte und 1943 promovierte. Eine früh durchgestandene Kinderlähmung zwang ihn, einen Gehstock zu benutzen.
Doch über seine Person sprach er nicht mit mir.

Die Rahns wohnten lange Jahre im Mietshaus nebenan. Er hatte das Alter meines Stiefvaters und war für mich eine weitere Vatergestalt, eine distanzierte, letztlich keine verbindliche, nur ein Vorbild und fordernder Diskussionspartner. Ich bin kein Altphilologe oder sonst seriöser Geisteswissenschaftler geworden, betrieb ein aristokratisches studium generale. Rahn schlug mich sogar bei der Studienstiftung vor. Unglücklicherweise weihte er mich nicht in sein Absicht ein. So habe ich ihn als launischer und bequemer Student gewiss blamiert.

Ich will diese Dinge nicht vertiefen, möchte nur den sachlichen Wikipedia-Eintrag, der seit 2007 im Netz ist, durch ein paar Worte zur Person ergänzen. Die Bemerkung mag übertrieben erscheinen, aber spätestens seit der WM 1953 wurde ‚Helmut Rahn‘ auch noch vom Ruhm des Fußballers vereinnahmt. Das entbehrt nicht der Komik. Doch scheint es mir, dass seine Person auch auf seinem eigenen Arbeitsgebiet in einem großen Schatten  verschwindet, dem des römischen Rhetors Quintillianus, den er selber 1972 in der WBG ediert hat. – Mögen andere vielleicht substanziellere Erinnerungen beisteuern. Mein Schreiben an seine Familie scheint mir ein paar Aspekte zu enthalten.

Frankfurt, den 6.8.2007

Liebe Christiane, Cornelia, Felix und Claudia, liebe Enkelkinder unbekannterweise!

Ihre Nachricht erreicht mich erst jetzt, bei der Rückkehr von einem USA-Aufenthalt.

Ich möchte Ihnen meine Anteilnahme übermitteln. Ich hoffe, Ihr Vater hat nicht zuletzt noch gelitten, sondern ist so heiter aus dem Leben geschieden, wie er es mit Humor gelebt hat.

Ich konnte das in den letzten Jahren mit Vergnügen feststellen, als ich ihn in größeren Abständen noch zu Gesprächen und Reiseerzählungen besuchte. Groß war lange Zeit auch der Kontrast zwischen geistiger und körperlicher Beweglichkeit. Als (mäßigen) Raucherzeitgenossen habe ich ihn geschätzt.

Die Besuche fanden für mich in einer einzigartigen Umgebung statt. Sie hatte sich seit meiner Jugend in den sechziger Jahren nicht wesentlich verändert, als wir mit dem Großvater (ich liebte ihn innig) sonntags Klavierquartette von Brahms und Beethoven und wem sonst spielten. Die Mama saß auf der biedermeierlichen Couch.

Bruchlos geht die Erinnerung zur Gräfstraße 69 über, wobei ich mich spontan an eine Erziehungsbemühung erinnere. Ich kam zu spät zum vereinbarten Termin und wurde nicht mehr eingelassen. Dumm, dass ich damit auch um das anschließende Mittagessen kam. Die Maßnahme hat für mein späteres Leben natürlich nicht wirklich gefruchtet. Trotz ernsten Bemühens habe ich meine Unpünktlichkeit gerade so in den Griff bekommen.

In meinem aktiven Leben als Schulpädagoge habe ich dann aus Selbsterkenntnis „Erziehung“ nur eingeschränkt betrieben, mit Beharrlichkeit aber die geistige „Erziehung“, die Ihr Vater und Großvater ja auch sehr wichtig genommen hat.

Auch für seinen Versuch, mir mutter- und vaterlosem Talent beim Weiterkommen zu helfen, bin ich ihm dankbar. Er musste darin erfolglos bleiben, weil ich für die akademische Karriere nicht geschaffen bin. Ich habe viel von Ihrem Vater gelernt, über Lebensklugheit, Rhetorik und Antike; leider sprang der Funken vom Griechischen nicht oder zu spät über.

So ist Ihr Vater und Großvater mir ein freundlich zugewandter entfernter väterlicher Freund in zwei unterschiedlichen Perioden meines Lebens gewesen. Er wird mir immer regsam und ein wenig spitzbübisch lächelnd in Erinnerung bleiben.

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