Kluger Mann, kluger Film – Peter Brückner „aus dem Abseits“

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Wer waren  sie denn – ich nenne nur Marcuse, Dutschke, Krahl, Enzensberger – dieser ganze bunte Haufen selbsternannter Führer, Berater, Kommentatoren, Vorkämpfer und  neu zu entdeckender ‚Väter‘? Man saß ihnen andächtig zu Füßen, so wie das noch üblich war. Erst später hat sich der Nebel gelichtet. Bei mir war die Überraschung groß, wer alles auch unter den Jungen in Amerika gelernt hatte oder im Gegenteil seine DDR-Erfahrungen bearbeitete.

Sie waren klingende Namen, Buchtitel, Theoretiker, Lieferanten von Parolen und Sprechblasen, Skandalfiguren, Stars, Galeonsfiguren, Abziehbilder und Pappkameraden, auf jeden Fall zweidimensional, höchstens. Für junge Studenten in den sechziger und siebziger Jahren kamen sie von irgendwoher. Man hatte keinen Sinn dafür, jedenfalls wenn man nicht zum inneren Kreis  gehörte. Die Ereignisse und die bereits vorgedachten Ziele hielten einen in Atem, es gab zu viel zu entdecken, ganze Kapitel der Geschichte oder Bereiche der Wissenschaft u.s.w.

Wir hatten auch vorher nicht gefragt, nicht unsere Lehrer über den Krieg und ihre Verwundung, ihre Vertreibung  oder vielleicht das Exil, nicht Mitschüler, die aus der ‚DDR‘ gekommen waren und die argwöhnisch beobachtet wurden, wenn sie Profil zeigten, selbst im liberalen Frankfurter ‚Goethe-Gymnasium‘. Zu wenige Lehrer hatten uns von sich aus etwas zu dem, was von Deutschland aus geschehen war, angeboten: so wie Hasso Pfeiler in der neunten und zehnten Klasse Heinrich Bölls Kriegserzählungen oder Andersch, Borchert, die ganze ‚Gruppe 47‘ oder sogar Brecht.

Es war nicht die Zeit, Fragen zu stellen. Etwas zu hinterfragen war in der bundesdeutschen Nachkriegszeit verpönt. Peter Brückner kommentierte, dem Film zufolge:  Erklärungsbedürftig sei, warum der Mensch nicht protestiere. Dem empirischen Sozialpsychologen, dem innovativen ‚Marktforscher‘ konnte aber das bloß eine rhetorische Frage, also ein Forschungsprojekt sein. Die gesammelte Lebenserfahrung bot Brückner doch  Antworten genug an.

Der Pfarrer, der mich konfirmierte, war genervt: „Selig sind die nicht fragen und doch glauben“. Der Pfarrer im Schuldienst half diskret Kriegsdienstverweigerern und gab sich sonst eher bedeckt.  Die Opfer der deutschen Verbrechen schwiegen noch. Die eigene Lage zu akzeptieren, das Beste für sich daraus zu machen, war angesagt.

Wer damals studierte, war von der neuen Konsumwelt bereits ziemlich atomisiert und wurde, sofern er sich nicht sofort Disziplinen anvertraute, die lange Erfahrung im Zurichten ihres Nachwuchses besaßen – Jura, Medizin, WiSo, katholische Theologie – zur leichten Beute von ideologischen Windbeuteln und alter wie junger (politischer) Sekten. Es gab natürlich auch angeborene Anarchos und Skeptiker, die waren immun.

Der Dokumentarfilm „Aus dem Abseits – Professor Peter Brückner“ wurde am 5. Juli 2016 vom Kino in der Naxos-Halle, Frankfurt gezeigt.

 

 Die Filmkritik –  Na endlich!

Der jüngste Sohn Simon war gerade vier Jahre, als der ‚Professor Peter Brückner‚ starb, und sein älterer Halbbruder, Scheidungskind,  kannte ihn nur als verstörende ‚öffentliche Person‘. Man begibt sich gemeinsam mit Peter Brückners  Freunden und Weggefährten auf die Suche in eine heute weit entfernte Zeit – was sage ich – in drei Epochen: Drittes Reich (Kindheit und Jugend), Nachkriegszeit (Student im Osten und Westen,  als ‚Sozialpychologe‘ erst Hungerkünstler und dann erfolgreicher ‚Marktforscher‘) –  und schließlich ‚1968‘: Da wurde er  in einer persönlichen Kehrtwende Professor in Hannover für Sozialpsychologie, theoretisierender ‚Kommunarde‘ und schließlich verfemter ‚RAF-Sympathisant‘ (‚Mescalero‘, U.Meinhof) in einem ‚Deutschen Herbst‘, der in den Achtziger Jahren immer noch nicht aufhören sollte. Die Bürokratie versteht nicht und vergisst nicht.

Die filmische Recherche dehnt sich über zwei Stunden. Die Redundanzen deuten sich bereits mit der ersten Szene an, mit der Zelebrierung der sorgsam aufbewahrten Tabakpfeife, die – welche Überraschung –  ihren Geruch bewahrt habe. Ein Freund kommentierte treffend : als Film nichts Besonderes. Doch die Betulichkeit hat auch ihren Charme. Interessante individuelle Lebenswege in seiner Generation sind zu betrachten. Familienmitglieder und Freunde haben Zeit genug, neben Unwichtigem manches Wichtige zu sagen. Der Film ist ein Zeitzeugnis und zugleich sehr intim. (Trailer youtube)

Wieviel Nutzen junge Menschen daraus ziehen können, mag ich nicht beurteilen, aber ich hätte es im Unterricht ausprobiert, auszugsweise und mit klärenden Gesprächen in den zahlreichen Unterbrechungen (‚Innehalten‘), bei denen auch die theoretischen Fragen und gesellschaftskritischen Thesen Peter Brückners hätten sich vertiefen lassen. Dafür bietet der für zwei Stunden abgedunkelte Kinosaal schlechte Voraussetzungen. (Die DVD soll in Herbst erscheinen. Sie erst ermöglicht erst dem Betrachter, zu springen und zu wiederholen). Dem überwiegend ergrauten Publikum in der Vorstellung mögen aber wie mir eine Menge Assoziationen und eigene Erinnerungen aufgestiegen sein.

Auch komische Bilder werden evoziert, etwa die kleine ‚Kommune‘ in der vom Professor angemieteten Wohnung  ‚Zentrapo‘, worin viel Papier produziert und neben ‚freier Liebe‘  ‚Kritik-Selbstkritik‘ geübt wurde, vor-feministisch. Selbstverständlich war das alles Mist.

Die Biografie des ‚verlorenen Kindes‘ und vom Leben geformten egozentrischen Erwachsenen Peter Brückner hat mich stärker berührt, auch seine Suche nach einer Frau, ‚die sich meiner annimmt‘. ‚Die Träume von der großen politischen Familie‘ zerplatzten ja schnell. Bereits ihre sogenannte ‚Organisationsphase‘ war eine Zeit erbittert ausgefochtener Spaltungen.

Die öffentliche Seite des Peter Brückner war von einer geradezu lebensbedrohlichen Dramatik. Vor allem die letzte Phase liefert eine Spannung, die niemand gut aushält: abwechselnd und gleichzeitig ‚Deutscher Universitätsprofessor‘ und ‚anarchistische‘ Unperson zu sein, die (mit einem modernen Ausdruck) bereits als ‚Gefährder‘ behandelt wird. Die Undenkfigur der ‚Kontaktschuld‘ (‚Schuld‘ durch Kontakt) entstand auch damals.

Dabei machte Peter Brückner die Erfahrung vieler Individuen, die durch  ‚1968‘ sozialisiert – oder ein weiteres Mal sozialisiert – wurden: ‚Die Erfahrung, dass man verlieren kann!‘ Das gehörte eben nicht zum optimistischen Programm, auch wenn ein Blick in die Welt schon damals  immer mehr Verlierer zeigte: in Brasilien, Argentinien, Chile, Portugal, China, Nicaragua …. Und danach erst! Und erst heute!

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Einladung des  NAXOS.KINO, Frankfurt/Main

Liebe Freundinnen und Freunde  vom Naxos.Kino,

am nächsten Dienstag wird es spannend für die ’68er Generation, aber auch für die junge Generation: mit Hilfe des Filmes von Simon Brückner lernen Sie die Beweggründe Ihrer Eltern und Großeltern. Peter Brückner war eines der Idole von 1968. Sein Sohn Simon, der noch ein Kind war, als sein Vater starb, hat sich mit dem zeitlichen Abstand von rund 45 Jahren darangemacht, das Leben seines Vaters zu ergründen und zu verstehen. Dieses Werk ist gut gelungen!

 Dienstag, 5. Juli 2016 um 19.30 Uhr:

Aus dem Abseits – Dokumentarfilm über Professor Peter Brückner  von Simon Brückner 

 Heute erinnert sich kaum noch jemand an Peter Brückner. Dabei war er einmal der aufregendste Professor der Republik. Der Staat warf ihn aus der Uni, weil er Ulrike Meinhof bei sich nächtigen ließ, die RAF „verbot“ sein Buch, weil er den bewaffneten Kampf gegen das System falsch fand. Als er 1982 starb, war sein jüngster Sohn Simon, der Macher dieses Films, gerade vier und hatte bei Beginn seines Doku-Projektes kaum eigene Erinnerungen an seinen Vater.

 Der ständig gebrochene Umgang mit der Chronologie macht die Suche nach Peter Brückner zum Abenteuer. Erst sehen wir ihn als  „Vater der Apo“, dann als vaterloses Kind auf einem Nazi-Internat. Dort wird er als „Halbjude“ relegiert, wird Wehrmachtssoldat und hilft in Österreich Kommunisten. Dann sehen wir ihn als bürgerlichen Marktforscher in der BRD und weit reisenden Familienmenschen. Gleich danach taucht der Linkstheoretiker auf, der die Idee der Kommune miterfindet, das gute Leben schätzt und seine Frauen überfordert..

 Das Lebensbild, das Brückners jüngster Sohn Simon in seinem Film „Aus dem Abseits“ vom Vater zeichnet, spiegelt in hervorragender Weise auch die Zerstörungen und Aufbrüche dieses Jahrhunderts wieder – getreu der Devise Peter Brückners, dass es für den einzelnen darauf ankomme, Geschichte und Lebensgeschichte in Einklang zu bringen. Simon Brückner zeigt die Stationen des zuweilen abschüssigen Weges, den sein Vater gegangen ist: als privater und als politischer Mensch. Und er öffnet durch seinen persönlichen Zugang zugleich den Blick auf ein Stück „abseitiger“, verschwiegener Geschichte Deutschlands. Eines Menschen, der trotz seiner Sehnsucht nach Geborgenheit auf der Suche nach Freiheit war. Einer Freiheit, die stets ihren Preis hatte.

 Zum Filmgespräch erwarten wir den Regisseur Simon Brückner, Heike Weiss (ehemals „Pflasterstein“) und Bruno Piberhofer (Ex-Herausgeber „LISTEN“).         Moderation: Wolf Lindner

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