Niedergang einer Provinz der RDC – Schwarzmalerei ?

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Das Dossier ‚Provinz Bandundu’ von 2003

Ich hatte ein 130-Seiten Dossier aus dem Jahr 2003 zunächst beiseite gelegt, doch die von der Organisation ruralcongo.cd als pdf ins Netz gestellte Dokumentation schildert die Lage in deutlicher Sprache und detailliert. Sie bezieht sich auf die ganze – erst 2015 aufgeteilte – Provinz Bandundu, wovon der Verwaltungsbezirk Popokabana an der Grenze zu Angola nicht einmal 4 % der Fläche ausmacht und überdies einer der rückständigsten ist. Umso niederschmetternder sind die Feststellungen.

Verkehr und Kommunikation

Die meisten Straßen jeder Kategorie sind ‚unbefahrbar’ (impracticable) mangels Instandhaltung, ein Teil mit EU-Geldern unterhalten, Brücken sind in fortgeschrittenem Verfall (1). Flussläufe werden nicht mehr ausgebaggert (3), die Reederei ONATRA hat ihren Betrieb der privaten Improvisation überlassen, Anlegestege sind zerstört (1).

In der Kolonialzeit konzipierte Eisenbahnstrecken wurden nie gebaut. (4) (Miserable) Flugplätze existieren kaum (6/7)

Strom wird kaum produziert, und wenn, lokal und manchmal sogar von Missionsstationen (9) Über Telefon, Fax oder Internet verfügen lokale Behörden, Kirchen und die wenigen Wirtschaftsunternehmen in der Gegend, die manchmal auch ein Flugfeld besitzen. (11)

Gesundheit und Ernährung

53 % der Gesundheitszonen der Provinz erhalten Unterstützung von EU und Weltbak oder USAID. (20)

In der Stadt Popo ist ein staatliches Krankenhaus mit 184 Betten aufgeführt. (18) Dabei muss man wissen, dass in der ganzen Provinz 148 Mediziner arbeiten, davon 83 innerhalb spezialisierter Programme, sowie in Planung und Kontrolle, also nur 65 in Krankenhäusern an Akutpatienten. Das heißt: Ein Arzt ist für durchschnittlich hunderttausend Einwohner da. Von den 4896 Pflegekräften sind 3505 Hilfspfleger, allesamt schlecht bezahlt und ohne Fortbildung. (23) Die aus der Kolonialzeit geerbte medizinische Ausstattung zerfällt. (22) Medikamente sind schon deshalb horrend teuer, weil es zu wenig Depots in der Provinz gibt, allesamt kommerziell. Das führt zu ‚piraterie médicale, automedication et la médication informelle (…) les tradipraticiens. (traditionelle Heiler) (21) Zugang zu eau potable (‚Trinkwasser’) haben nur 28 % der Städter. (69) Malaria, Diarrhöe und IRA grassieren (68). Die Müttersterblichkeit war sehr hoch, besonders unter Teenagern (71). Impfkampagnen von Müttern und Säuglingen scheiterten, an fehlender Kühlung oder Schwänzens der Folgeimpfung. (69) Die Lebenserwartung war 2001 52 Jahre. Verhütung und AIDS-Prävention Fehlanzeige, und das Blut der Transfusionen nur zu 41 % kontrolliert.

Unterernährung und Mangelernährung sind in der Bevölkerung verbreitet. Zwei Drittel der Kinder werden bis zu zwei Jahre gestillt (73). Im Süden tritt Konzo (Gliederlähmung) vor allem unter Müttern und Kindern auf, weil das Fufu aus mangelhaft gewässertem manioc amer nicht durch Proteine ergänzt wird. Vitamin A und Jodsalz werden in speziellen Kampagnen (von NGOs) verteilt(73). Fisch, Eier, Milch und Fleisch müssten die Diät ergänzen, aber Fischfang hat bei den Yaka traditionell geringe Bedeutung, und eine ohnehin zufällige ineffiziente Tierhaltung – keine Stallhaltung, Fütterung, Behandlung von Krankheiten, Zucht (121) – dient als Sparbüchse für die Wechselfälle des Lebens! (100) An anderer Stelle erläutert das der Text: Aufwand von Palavern, Schulgebühren, Krankheit, Feste, Beerdigungskosten, Aufwand bei Heiraten, Rechtsstreitigkeiten und Strafgebühren (121).

Die Yaka erscheinen als einfallslos und unwillig, etwas am Herkommen zu ändern, sie nehmen ertragreichere und wertvollere Ernährungspflanzen und Tierrassen kaum an, wie ertragreichen und resistenteren Perlhühner, Wachteln, Truthähne oder Hasen. Ihre races locales an Ziegen, Schafen, Schweinen und Hühnern bleiben klein und sind unproduktiv (121).

Ausbildung  – Keimzelle von ‚Entwicklung’ – scheitert

L’éducation a le pouvoir de favoriser le développement, de faire naître les talents, de donner les moyens d’action aux gens vet de protéger leur droits.“ (76)

Alles kommt zusammen: zu weniger und zerfallende Schulen (76), unmöbliert und ohne Lehr- und Lernmaterial (80), die drückende Armut der Familien der Kinder und Jugendlichen, die Entfernung der Schulen vom Wohnort, das geringe Niveau der Lehrer, ihre erbärmliche (79) Bezahlung und die Alterung des Personals. (76) Im Provinzdurchschnitt wurden überhaupt nur 36 % der Kinder beschult, davon brach jeder zehnte vorzeitig ab. (77/81) Da es auch keine Alphabetisierungpolitik gab, waren bei Anaphalbetenrate durchschnittlich bei 29,5 %, unter der Frauen 41 %. (79)

Doch ‚die Welt der Arbeit’verlagert sich in gleicher Richtung zum secteur informel (80).

Bodenrecht und andere Entwicklungshemmnisse

Unter dem Thema inzwischen eingestellter (88) äußerst prekärer universitärer Forschung in Bandundu werden die Folgen eines Landgesetzes von Mobutu 1973 dargelegt: Der kongolesische Staat machte sich zum einzigen Grundbesitzer und beließ zugleich den traditionellen ‚Erdherren’ die ihnen ‚von den Ahnen übertragenen Rechte’ (92). Sie allein verfügen nach ihrer Interessenwahrnehmung über Zuteilung, Verkauf oder Nutzung des Bodens, eine ständige Quelle von Konflikten auf dem Dorf (92) (welche die Landflucht junger Menschen verstärken (Flyer ISCO, siehe unten). Moderne landwirtschaftliche Betriebe, etwa für Kaffee, Kakao, Plamöl, existieren seit der zairisation durch Mobutu (102) keine in der Gegend. Die Bauern haben nur rudimentäres Gerät, oft ausgeliehen (? 102), die Arbeit bleibt an den unqualifizierten Frauen und Mädchen hängen. (102)

Natürliche Ressourcen?

Die Gegend am Kwango blieb bisher vom kommerziellen Holzeinschlag – legal oder illegal – verschont (97/98). Doch die Ausweitung der Gewinnung von Feuerholz und Holzkohle(98) in den Galeriewäldern, die auf einer Karte bereits als Sekundärwald bezeichnet werden ( ), verstärken die Effekte der Brandrodung. Aufforstung findet ohnehin nicht statt.

Die Mineralien Phosphat, Sand für die Glasproduktion, Eisen, Nickel, Gips für Zement etc.’ werden nur in der angrenzenden zugleich ‚ölreichen Angola-Provinz Lunda Norte’ abgebaut.(130).

Geldwirtschaft und Produktvermarktung

Die Ersparnisse sind sehr gering (101). Bewohner größerer Siedlungen können gar nichts sparen, es fehlt eine épargne rulale. Betrügerische Sparkassen sind vor Jahren geschlossen worden. (125). Lakonisch ist auch von Dollarisation de l’économie dans la Province (Bandundu) die Rede (126). In Kinshasa werden die Lieferanten aus der Provinz übers Ohr gehauen (129).

Mafiöse Ruinenlandschaft mit ausländischen Helfern

 Der Eindruck einer gewaltigen einsturzgefährdeten Ruinenlandschaft drängt sich auf, die gleichwohl von Millionen Menschen bewohnt wird, denen Fachleute von außen Hilfe bringen sollen oder wollen, warum immer, ohne sich selbst leichtsinnig gefährden und ohne, dass die Mittel wirkungslos verpuffen. Man muss Leitern, Gerüste und Versorgungsleitungen einbauen, ohne die brüchige Statik dadurch zu gefährden. Politisch und militärisch wird diese Ruine von einer zerstrittenen Mafia regiert, die eifersüchtig über ihre Kontrolle und Profite wacht.

Zehn Jahre später

Glücklicherweise steht ein Flyer zum zehnjährigen Jubiläum von ISCO in der ProvinzISCO ONG Titel 2012 Bandundu (2011), der Provinz, deren Allgemeinzustand man 2003 als desolat diagnostizierte. ISCO ist das Projektkind der italienischen ONG, die von der EU finanziert wird, mit 13 Millionen € in zehn Jahren.

Zunächst versichert man, die Hilfeleistung passe sich perfekt in die offizielle ‚Politik eines landwirtschaftlichen Aufschwungs’ ein (1), darf aber auch nicht mahnende Worte fehlen lassen, schon wegen der Wirkung bei den Steuerzahlern zuhause.Das hört sich unter der Überschrift ‚Hauptschwierigkeiten’ verklausuliert so an: Le contexte der la RDC valorise mal la performance et la bonne gouvernance. (Diesen Satz vermag ich nicht zu übersetzen, aber den zweiten:) Le reflexe de prédation (Raubtierreflex) est encore fort présent dans les associations (Organisationen, Vereinigungen) Und dann zur Besänftigung: Man müsse auf mittlere Sicht an externe Weiterqualifizierung denken (encadrement externe) (4) In die Nähe eines failing state bringen die RDC jedoch die Konsequenzen des ungehemmten Raubtierkapitalismus: Das Fehlen jeglicher für die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur notwendigen Ressourcen in diesem potentiell reichen Land:

La faible capacité et le manque de moyens des administrations locale ne permettent pas une complémentarité des efforts. (4) Die Bemühung der Helfer wird auch jetzt nicht durch staatliche Tätigkeit ergänzt.

Der Staat krempelt vor Ort schamlos seine angeblich leeren Taschen um – und bettel, als verfüge er über keinerlei reguläres Budget für normale zivile Staatsausgaben. Was macht einen failing state eigentlich aus? Das ist doch keine ‚Entwicklungszusammenarbeit’, wie der politisch ‚korrekte’ Ausdruck im Deutschen lautet.

Diverse Anträge hat das ausgesandte Personal der Geber selber bereits vorformuliert, reif zur nächsten Unterschrift. Der (bereits referierte) ‚Plan de Développement agricole du Territoire de Popokabaka’ von ISCO, 2010 ist da nur ein Beispiel. Und im Flyer lobt man sich dafür, wieviel solcher Pläne man schon zusammen fertig gestellt habe. – Wurde der alarmierende Bericht 2003 vielleicht damals für ein besonders großes Hilfsprojekt so dramatisch gestaltet?

Der Flyer zeigt die passenden ISCO-Reaktionen auf die erwähnten Probleme: den mosaikkranken Maniok, die vernachlässigte Erhaltung der Pisten, die schlechte Transport- und Vermarktungssituation, …, um dann noch ein paar Klassiker der EH einzufügen: moderne Tierzucht hier, von Rindern (!) gezogene Karren da, damit endlich der Kopf der Afrikanerin nach langen Jahrhunderten zum Denken entlastet werde.

 

Ich frage mich: Warum lässt man sich auf so etwas ein?

Isoliert versteht man diesen Flyer nur falsch. Er versucht, in ‚bewährter Manier’ aus den Zutaten einer Katastrophe einen zaghaften Erfolgsbericht zu zaubern, mit bunten Bildchen von Ochsenkarren, Zementbrücken und Landrovern. Als Steuerbürger frage ich mich trotzdem, ob die Mittel nicht in den Sand gesetzt sind. Denn die angemaßte Aufgabe ist überhaupt nicht zu leisten, viel zu groß, zu komplex. Also nur Symbolpolitik. Politiker sind das gewohnt.

Man muss so etwas wohl als verdeckte fortgesetzte Katastrophenhilfe betrachten – oder als Almosen von Staats wegen – oder sarkastisch als Beitrag zur Beziehungspflege mit einer parlamentarischen Diktatur in einem rohstoffreichen und strategisch zentralen Staat in Afrika.

‚Meine’ Yaka als Almosenempfänger

Ich erlebe ‚meine’ Yaka nun als ganz gewöhnliche Almosenempfänger! Die verarmte ungebildete Bevölkerung von Popokabaka ist wohl durch die äußeren Umstände zu ihrem eigenen ‚Entwicklungshindernis’ geworden.

Wir dürfen sie keineswegs allein als Opfer sehen, dann würden wir ihr jede Mitverantwortung für ihr Schicksal absprechen, auch wenn sie nur geringe Chancen hat, künftig noch in ihrer Heimat ein Auskommen zu finden. Im schlimmsten Falle werden die Überlebenden sich in einem gigantischen Moloch Kinshasa wiederfinden und ihre kulturelle Identität ganz verlieren. Milliarden ehemaliger Bauern in der ganzen Welt bevölkern bereits die Slums der Megastädte.

Auch der Flyer von 2011 erwähnt die Klanchefs, die an ihrem (seit Mobutus Gesetz nicht mehr ‘traditionellen’) Recht auf das Land festhalten und jungen unternehmenden Menschen einen accès durable à la proprieté fonciere verweigern. Eine Entmachtung ‚traditioneller’ Eliten – sogar brutal wie 1997 durch Milizen in Congo Brazzaville # – wäre ein denkbares Szenario. Agrarprogramme wie das der ISCO erscheinen in diesem Kontext als letzte Chance, die Weichen umzulegen. Da reicht ihnen noch jemand eine Hand, so schwach deren Kraft auch sein mag. Immer mehr Maniok auf den durch jährliches Abbrennen ‚skelettierten’ Böden mit immer niedrigeren Erträge zu pflanzen, die generelle Übernutzung der Wälder und anderer Ressourcen – diese Reflexe bedeuten unweigerlich weitere Verelendung und enden in der Landflucht. Traditionelles Denken, ob wirtschaftlich oder sozial, ist am Ende.

Nachweise

1.

Republique Démocratique du Congo – Secretariat Général du Développement Rural, als dessen Vertreter scheint ruralcongo.cd/minider das Paper zu verantworten. – Mein Link für den Download: Bandundu_situations_secteurs_pdf (darunter wird bei Google das PDF-Dokument angeboten; S.24-65 wurden im pdf-Dokument übersprungen. )

2.

Flyer ISCO vizi coordinati Union européenne – Délégation en RDC I.S.CO. S.C. – ONG Janvier 2012 :2002 – 2011: dix ans de Projets de l’Ong italienne «ISCO» financés par l’UE au Bandundu (RDC) dans un objectif d’amélioration de la Sécurité Alimentaire des populations rurales et urbaines. http://eeas.europa.eu/delegations/congo_kinshasa/documents/news/resultats_isco_2002_2011_agri_dev_rural_fr.pdf

Weiterführend:

http://www.lekwango.com/2016/01/18/kwango-une-deforestation-inten… oder: text_doc. Kwango Entwaldung lekwango

ruralcongo-La carbonisation représente 80% de déforestation“  :  Der erhobene Zeigefinger der ‘Verantwortlichen’ in Kinshasa. Eine Delegation zeigt sich auf der Internationalen Messe in Kinshasa (FIKIN) und lässt sich zitieren. Dabei fällt eine Stilblüte ab: ‘ein aufstrebender Congo’, le Congo émergent . Zum Beweis der Ernsthaftigkeit wird ein wichtiger Etappenssieg verkündet: ‘Rings um die Universität von Kinshasa ist der Fortschritt der diversen Erosionen gestoppt’.

# Hinweis auf den Zusammenhang  der synchretistischen christlichen Ngol-Bewegung im Congo Brazzaville :

Congo Brazzaville : Dérives politiques – Catastrophe humanitaire – Désirs de paix (Mutations et de)     von Rupture-Solidarité  1999 Karhala  ‘Rupture’ no.1 Nouvelle Série, 138-141