VR China – Ein Staat als Global Player

|

Was war noch der Kern des maoistischen Programms? Die Auferstehung des Chinesischen Reichs durch innere Einigung,  Spaltung unter den Feinden (Kriegskunst des Sunzu) und radikale Modernisierung (überholen ohne einzuholen).

Japan hatte sich ab 1867 die Modernisierung aus Europa geholt. Sun Yatsen scheiterte 1919 an den imperialistischen Mächten.  Die VR China entschied sich 1949 – nach der Verweigerung der USA – für die Option der Sowjetunion. Die bot nur ein Modell der Stagnation. Man musste sich also rechtzeitig wieder davon lösen! Und misstrauisch bleiben: Man sah, was der Westen Japan erst erlaubt hatte und wie er es sanktionierte, als Japan ernstzunehmender Konkurrent wurde.

Wir Linken verkannten das offen verkündete Ziel des Regimes in Peking hinter einer im Grunde durchsichtigen programmatischen Maskerade. Denn die utopische Seite der Ideenwelt der ‘Maoisten’ entstammte dem westeuropäischen 19. Jahrhundert. Wir lernten nichts aus der Selbsttäuschung der vorigen Generation Intellektueller über den Kommunismus in Russland. Und in eine paternalistische Überheblichkeit gegenüber China im Zustand der Unterentwicklung waren wir ohnehin hineingewachsen.

Das Regime in Peking hat die westliche Wertewelt nie übernommen. ‚Menschenrechte’ ? Warum nicht, aber im Rahmen eines ‘Gemeinwohls’, dessen Definition selbstverständlich Monopol der Reichsspitze, seit 1949 der KPCh war. Ob Konfuzianismus oder Legalismus, das ‚Wesen des Menschen’ war immer zweitrangig. Staatsdoktrin seit über zweitausend Jahren.

Dass die Fürsten Europas während des Jahrhunderts eines aufgeklärten Absolutismus ihre jeweilige ‚Staatsräson’ durchzusetzen versuchten, war nur eine Episode. Chinesische Verhältnisse blieben die Utopie der Regierenden, seitdem die Jesuiten begeistert berichteten. Wir nehmen gewöhnlich nur die ästhetischen Zeugnisse der damaligen China-Mode zur Kenntnis, ‘Chinoiserie’ genannt.

In China gab es traditionell Freiräume und Rückzugsgebiete. Doch seit Mao kontrollierte das Regime aggressiv die sozialen Eliten, die sich vorher je nach Aufstiegsehrgeiz mehr oder weniger angepasst hatten. In der Sowjetunion musste Lenin 1922 die ‘Neue Ökonomische Politik’ (NEP) praktizieren, aber die Doktrin war zu primitiv. Unter Stalin griff man bald zu offenem Terror. Und der war kontraproduktiv. Das Organisationsmodell des russischen Bolschewismus und Stalinismus konnte Mao mit Hilfe der chinesischen politisch-strategischen Tradition verfeinern. Diese Strukturen wurden seither im Kern nie reformiert oder gar abgeschafft. Man pflegt im Westen herablassend zu urteilen, die Kommunistische Partei Chinas sei ‘zur Hülle’ geworden für den Machterhalt. Die Deutung nährt sich aus Illusionen und dem Wunschdenken, dass ‘Bürokratie’ notwendigerweise untüchtig sei. Seit 1989 erleben wir aber in China eine umfassende Modernisierung. Der chinesische Staat verfügt über eine reiche Erfahrung im Umgang mit erfinderischen Köpfen und tüchtigen Geschäftsleuten. Schon unter der vorindustriellen Despotie (Barrington Moore, 1966) konnte sich eine facettenreiche Zivilisation entfalten. Die Bürokratie war relativ klein. Die Anforderungen an ihr Personal war hoch (Prüfungssystem). Warum sollte die Fortsetzung der Kontrolle über die Köpfe bei steigender Qualifizierung der Bevölkerung nicht gelingen?

Dreißig Jahre lang waren Katastrophen, massenhafter Not und Armut  vor den ausländischen Gästen erfolgreich versteckt worden. Seit Antonioni’s Film anfang der Siebziger Jahre kehren die für China einmal notorischen Bilder in unseren Medien wieder. ‘Massenkonsum’ ist aber nicht entscheidend für Qualität und Entwicklungspotential eines Systems.

Ich frage mich: Sind Manager der westlichen Konzerne, wenn sie seit Jahrzehnten wie Lemminge ins China-Geschäft drängen, wirklich so dumm? Hat ihre Kurzsichtigkeit nicht Methode? Verzocken sie nicht auch sonst bei jeder Gelegenheit  als echte ‘Spieler’ um aktueller Profite und taktischer Vorteile willen eigene oder fremde Ressourcen und Zukunftsperspektiven? ! Ernten sie nicht andauernd und lassen andere säen?

Das chinesische Regime ist dem eigenen Reich verpflichtet und niemandem sonst! Es überlässt Weltbeglückungsprogramme anderen. Wer sagt denn, dass ein Regime moralische Verantwortung für seine Geschäfts- und  Vertragspartner übernehmen müsse? Der Westen  verstrickt sich mit seinem Verantwortungsgerede heillos in Widersprüche, da ‘die Politik’ ihre ökonomischen Akteure nicht unter Kontrolle hat. Symbolpolitik und die Selbstzensur der öffentlichen Sprache in moralisierendem Stil nähren nur Illusionen über Politik .

Traditionelle Zensurorgane haben hingegen in der ganzen Welt bekannte Aufgaben: Informationen unterdrücken, oppositionelle Minderheiten enttarnen, beschäftigen und neutralisieren, erwünschten Ansichten das Feld  bereiten. Ebenso schlicht sind ihre Methoden: weiträumig verbieten, präzise ausschneiden, die Phantasien in die gewünschte Richtung lenken. Für Chinesen war es bis auf kurze Momente ihrer Geschichte immer klar, dass sie keine ‘Meinungsfreiheit’ besaßen, im  Sinne einer Freiheit von der gerade offiziellen gültigen ‘Meinung’. Alle chinesischen Regimes bevorzugten positive Vorschriften gegenüber der Alternative noch so kleiner, durch Verbote beschränkter Freiräume. Da aber eine gewisse Kritikfähigkeit  für Problemlösungen in Gesellschaft, Politik und Verwaltung benötigt wird und Unzufriedenheit stets ein Herrschaftsproblem war, hat das Regime Übung darin, entsprechende Ventile pragmatisch zu regulieren.

Im Westen hoffte man auf ‚Systemwandel’, genauer: ‚Wandel durch Annäherung’, was immer das ist. ‚Zersetzungsarbeit’ lautet der wiederholt offiziell geäußerte chinesische Vorwurf! China weigert sich konsequent, aus dem angeblich dunklen ‚Zeitalter der staatlichen Souveränität’ in die angebotene lichte Zukunft der internationalen Kooperation überzutreten. Das hindert das Regime nicht, auf Teilgebieten blendend zu kooperieren. Eine erneute Abschottung Chinas wäre nicht im Interesse des Landes, aber man kann die ‘Öffnung’ begleitend Exempel statuieren. Wer in diese Falle gerät, hat Pech oder ist zu ungebildet, naiv oder zu verzweifelt. Ihm oder ihr ist nicht mehr zu helfen.

Paul Watzlawik formulierte in einem Interview vor Jahren: Politik soll uns nicht glücklich machen. Das wäre vielleicht zu erweitern zu: Politik soll nicht ‘Menschen retten’, sondern das Nötige tun, dass zivilisierte Zustände erhalten bleiben: Sicherheit, Infrastruktur, funktionierendes Rechtssystem, Mobilität, bürgerliche Freiheit im Rahmen der Gesetze, soll den Begehrlichkeiten, Empfindlichkeiten und der Gier wirksame Grenzen setzen, die am Gemeinwohl in technischem, funktionalen Sinn orientiert sind.

P.S.

Noch eine Überarbeitung! Anfangs hatte ich die für mich wichtigsten Passagen rot gedruckt; vielleicht werde ich mich wieder damit behelfen. Doch noch hat niemand ‘gemeckert’.   6.4.16