ZUR EINFÜHRUNG – REDETEXT

|

Erster-Eindruck-IMG_3048

 ….. Ich habe dreißig Jahre in der Nachbarschaft, an der Altkönigschule in Kronberg unterrichtet: Geschichte, Politik und Ethik. Ich hatte die letzten zehn Jahre einen eigenen Unterrichtsraum, den ich gemütlich einrichtete. Denn die Umgebung ist wichtig, damit das Publikum neugierig ist und gerne bleibt.

Schon als Lehrer habe ich lieber etwas gezeigt und dann besprochen als Vorträge gehalten. Für dieses Konzept ist Sammeln nützlich. Ich habe im Laufe der Jahre vieles gesammelt: Informationen, Eindrücke und Fotos auf Reisen. Ich flog auf eigene Faust in die Ferne, auch nach Afrika, zwischen 1975 und 1990 – aus heutiger Sicht in einer idyllischen Zeit, aber davon später – flog in den Senegal, nach Kenya, nach Algerien (auch das ist ein wenig Afrika), an die Elfenbeinküste und zuletzt 1990 in den Benin, das ehemalige Dahomey. Das Land war gerade pleite, aber nach dem Tauwetter in der Sowjetunion unter Gorbatschow hoffte man auch in Afrika auf eine Paristroika, auf Diktatorendämmerung und Demokratie.

 Erst nach den Reisen wuchs meine Afrika-Sammlung. Bestimmend blieb dabei das Interesse an den Menschen, die ich etwas kennen gelernt hatte. Ich wollte an den erworbenen Dingen nicht bloß Freude haben, sondern durch sie etwas verstehen. Seither gehe ich in der Frobenius-Bibliothek in Frankfurt ein und aus. Die häufig gestellte Frage, ob ich die Möglichkeit genutzt habe, die Dinge ‚im Land’ zu erwerben? hat sich im Grunde bereits beantwortet: Nein. Ich fand: auf dem Dorf hätte ich die Frage nach Objekten unanständig gefunden, in den Städten sah ich bei den Leuten wenn überhaupt nur traditionslose Folklore und Importschrott. Und der afrikanische Kunsthandel war längst international orientiert. Da verließ ich mich lieber auf deutsche Kaufleute im Rhein-Main-Gebiet, die in Westafrika regelmäßig ihre Kontakte zu Händlern pflegten.

 Nun zur Ausstellung in der Ausstellung:

   Was ist afrikanisch? Stichproben

Was dürfen Sie erwarten?

Paul Pfeffer hat mich im Sommer eingeladen, Kunst aus Afrika beizusteuern zur Künstlerausstellung, die schlicht und einfach den Titel Afrika trägt. ‚Afrika’ – das heißt doch wohl freie Bahn für Phantasie und Inspiration. – Ich bekam für meinen Raum freie Hand, aber was hieß das praktisch? Ich konnte bis zum Aufbau am Dienstag nichts Genaues über die Exponate der anderen erfahren. Ich ahnte aber schon, dass die Arbeiten freie Assoziationen artikulieren oder die Andersartigkeit Afrikas gegenüber Europa thematisieren.

Ich habe mich aber in Afrika immer nur in Reichweite der Überlandbusse und Buschtaxis bewegt, bin an Tierparadiesen oder Reservaten vorbeigefahren oder habe sie mit den anderen geschäftigen Fahrgästen eilig durchquert. Nie habe ich in einem Landrover Platz genommen und bin Löwen und Zebras nur in europäischen Zoos begegnet. Stattdessen traf ich im Umkreis des Dorfes kleine Herden magerer Kühe, Ziegen, Federvieh, ängstliche Hunde, die davonliefen, wenn man nur die Hand hob, nicht einmal Kaninchen oder Vögel. Schließlich gingen die Bauern jeden Tag mit ihrem Vorderlader oder der Zwille aufs Feld. In der Vitrine liegen ein paar Zwillen. Sie sehen schon grimmig aus und sind sehr effektiv.

Es wäre angesichts der regelmäßigen Hiobsbotschaften aus Afrika angesagt gewesen, Afrika wie Hans-Uwe Hoffmann mit der Installation Boat People zu begegnen. Aber funktioniert das denn mit afrikanischen Dingen, die man wegen ihres ästhetischen Reizes und ihrer Ausstrahlung erworben hat?

Vor allem lassen sich traditionell afrikanische Figuren oder Motive kaum ihr Geheimnis entlocken. Eben im Geheimnis lag während ihrer aktiven Zeit die Quelle ihrer Wirkung. Sie sind also nicht auskunftsfreudig, erst recht, wenn es um dunkle Geheimnisse geht. Afrikanische Macht wirkt traditionell diskret, mit seltenen Ausnahmen.

Sie haben alle schon von Initiation gehört oder gelesen! In einem vorderen Raum hängen Fotografien von Initianden bei den Massai. Sie können einem fast leid tun, / mir als Pädagogen und 1968er sowieso / die Halbwüchsigen, die unter Angst und Schmerzen in ausgewählte Geheimnisse der Männerwelt eingeweiht wurden oder werden. Auch in meinem Raum können Sie Spuren von diskreter Macht oder offener Drohung wahrnehmen, wenn Sie nur darauf achten. Ich gebe in den Wandtexten und mit sparsam verteilten Titeln in der Vitrine Hinweise.

Die erste Ortsbesichtigung mit Paul Pfeffer – wir hatten ein paar potentielle Exponate unter dem Arm – setzte uns austellungstechnisch auf das richtige Gleis. Die weißen Wände laden dazu ein, Textilien und Bilder aufzuhängen und sie mit Gegenständen zu kombinieren. Sie erzielen ihre Wirkung erst einmal frei von bedeutungsschweren Gedanken. Damit begegnen sie auf einer Ebene den vor ihrer Tür ausgestellten Bildern. Das gilt auch für die Figuren vor den weißen Wänden und bunten Tüchern. Die geringen Abmessungen des Raums erlauben Besuchern wenigstens genauere Beobachtungen. / Bitte aber behutsam! / Manche Objekte sind allerdings zu klein oder empfindlich. Sie kann man aber in der Vitrine von mehreren Seiten sehen.

Der Aspekt Farbe hat sich nicht erst beim Schreiben der Rede ins Zentrum geschlichen.  Farbe spielt in Afrika eine wichtige Rolle und sagt jeweils etwas Reales aus.

Drei Beispiele:

Man verwendet bei Objekten und Tüchern seit den 50er Jahren meist Industriefarben. Ausnahmen machen in der Regel Künstler in der Erwartung, ihre hochwertigen Arbeiten an ein urbanes Publikum in der Metropole zu verkaufen oder gleich ins Ausland zu exportieren, wie die blauen Tücher der Yoruba in der Ausstellung, die mit Indigo, dem Blau des späten 19. Jh. eingefärbt wurden. Sie werden traditionell als Batik hergestellt.

Senufo-Tücher mit Maskentänzern sind auch weltbekannt. Ich habe meines 1985 in Korhogo, einer geschäftigen Kleinstadt im Norden der Elfenbeinküste auf dem Touristenmarkt gekauft. Es hat eine starke robuste Ausstrahlung, die es drei Faktoren verdankt: der Kraft der Zeichnung, der ‚authentischen’ Schlammbatik und der ebenso traditionellen Webtechnik in schmalen Streifen auf einem Flachwebstuhl, allerdings jetzt für ein Querformat und eher grob zusammengenäht. Souvenir, Touristenkunst, aber von hoher Qualität.

Wenn Sie das Fahnentuch gleich links vom Eingang aus der Nähe betrachten, wird Ihnen auffallen, wie dünn das Tuch ist. Kompanie-Fahnen der Fanti an der Goldküste wurden bereits im 18. Jahrhundert – Atlantikhandel – aus leichtem englischem Industriestoff genäht. Außerdem ist es verschlissen. Der Stoff ist vom ewigen Hin- und Her-Schwingen bei den Auftritten mürbe geworden. Verschlissene Tücher sind für niemanden ein Vergnügen – bis auf  in Ehren gehaltene Erbstücke. Man war also froh, den Fetzen an europäische Sammler verkaufen zu können. Alle Welt weiß ja, dass man in Europa der Ruinenromantik huldigt. Wir entgegnen dann vielleicht: Gebildete Europäer haben eben noch historisches Bewusstsein.Na ja, wir haben gut reden! Wir können wir uns doch auch jederzeit neue Sachen und frische Farben leisten, sogar sündhaft teure Fetzen vom Designer!

Armut kann das nicht. Darum muss wenigstens der Auftritt bunt sein! Es hat mich schon in den achtziger Jahren immer aufs Neue beeindruckt, mit was für billigen Stoffen Afrikanerin-nen aus dem einfachen Volk einen fröhlichen Gesamteindruck zauberten – natürlich vor allem aus der Ferne betrachtet.

Ein paar Tücher haben in der Ausstellung technisch eine Signalfunktion: Sie sollen das fehlende Kostüm der Aufsatz-Masken andeuten. Denn afrikanischen Kunstobjekten wird seit hundert Jahren auf ihrem Weg in den Kunsthandel gewöhnlich alles abgenommen, was nicht Holz ist. Danach gehen die Objekte durch die Reinigung und werden für ihr zweites Leben aufgehübscht. Nur Flohmarktware kommt oft schmutzig daher. Das soll dann Echtheit beweisen, und das Publikum ein wenig gruseln. Fetische! Opferblut! Was aber bereits für den Gebrauch bunt angestrichen wurde, hat beide Verkaufstricks nicht nötig. Es macht Stimmung, es macht etwas her.

Lassen Sie sich kurz  in die Zeit versetzen, in der die schönen bunten Dinge entstanden sind, die irgendwie das Beste aus zwei Welten vereinen sollten. Nach der Unabhängigkeit schien das in Westafrika greifbar. Entwicklung durch Bildung schien noch aussichtsreich, die Entwicklungshilfe machte vollmundige Versprechungen. Es schien Platz genug und menschenwürdiges Auskommen für alle zu geben. Schule und Militär würden die jungen Nationen schon zusammenschweißen. Benachteiligungen und Zwist in den ethnisch zusammen gewürfelten jungen Staaten schienen durch Wachstum lösbar, echtes Wachstum und nicht nur die Aufblähung von Bürokratien. Die Diktatoren waren noch jung und vielleicht waren sie ja heimlich Demokraten, so wie Leopold Cédar Senghor, der als erster und einziger 1980 freiwillig zurücktrat. Irgendwann waren aber der innere Verfall der meisten westafrikanischen Staaten und der Niedergang der Lebensqualität selbst von Europa aus nicht mehr zu übersehen. Sogar die vergleichsweise stabile und wohlhabende Elfenbeinküste wurde seit 2002 in einem Jahrzehnt der Bürgerkriege ruiniert.

Ich will das alles hier nicht weiter vertiefen. Wir alle mögen schon gar nicht mehr daran denken. Angesichts der ständigen Meldungen aus Mali, Niger, Tschad und Nigeria möchte ich aber einen besonderen ‚afrikanischen’ Aspekt ansprechen, den Islam:

Der Islam gehört zu Afrika, seit vielen Jahrhunderten. Er wurde zwar durch kriegerische Reitervölker mit denselben brutalen Mitteln verbreitet, die wir von den neuen Barbaren über die Medien kennen, aber er hat sich vor langer Zeit so stark afrikanisiert, wie wir das uns als Europäer gar nicht vorstellen können. Vom Senegal bis zum Sudan ist er Teil der kulturellen Identität, soweit, dass der afrikanische Islam selbst Angriffsziel des islamistischen Terrors wird oder dahin degeneriert.

Das gibt mir Gelegenheit, ein Versäumnis der Beschriftung in der Ausstellung auszubügeln.

Dort steht ein Fez und er steht für Würde und Erfolg. Streng und selbstbewusst tritt die Figur des Muslimen auch in den Voodoo-Kulten auf, deren Programm es ja ist, mächtige Geister aus aller Welt für ihre Anhänger einzuspannen.

Für den Handel der Sansibari und Suaheli im Osten und in der Mitte des Kontinents mit den kleinen Herrschaften im Busch wie die Kuba oder Cokwe stehen in der Vitrine bescheidene Holzsandalen. Doch das Design kam aus Sansibar. Elfenbein, Metall und Sklaven gegen die feineren Waren des Orients – und Feuerwaffen! Der kreuzförmige Kupferbarren aus dem Gebiet zwischen Katanga und Zimbabwe war über Jahrhunderte die Handelswährung.

Also, was ist nun afrikanisch? Sie könnten sagen: Ich bin so klug wie vorher.

Aber der Vortrag und selbst die Gegenstände der Ausstellung sollen ja nur dem eigenen Nachdenken etwas Material geben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und ihre Geduld.