ICH RUDERE ZURÜCK
Mein Titel „Der Mann im Mantel malt Landschaften“ war nicht ganz falsch, und die Ablehnung der Instrumentalisierung von großartiger ‚Landschaft‘ für persönliche, oft mythologisch verbrämte ‚Botschaften‘ ehrlich, aber ich beschäftigte mich damals wenig – auf touristischen Reisen – mit Malerei und konnte auch aus der Rezension Christian Gamperts im dradio (Siehe unten) für mich nichts gewinnen. Erst jetzt durch mein Projekt “ Fritz Wiegmann – Verschiedene Perspektiven ausprobieren“ sehe ich auch Max Beckmann neu, stehe nicht mehr hilflos vor seinen bildmächtigen Kompositionen. 5. Mai 2023
ZWEI ILLUSTRATIONEN
Vorab zwei Abbildungen aus dem Katalog zu Max Beckmann – Landschaft als Fremde“ Hatje bereits 1998, die das Thema Biografie in der Rezension Gamperts gut veranschaulichen können:
ERSTURTEIL
Ich besuchte die Ausstellung im Kunstmuseum Basel, am 7. November 2011. Die Bilder hängen spärlich an den weißen Wänden verteilt – Max Beckmanns Landschaften sind ein Randthema. Die weißen Wände vertreten das ganze übrige ausgeblendete Werk.
Der Mann im Mantel sitzt auf Hotelterrassen oder steht an Aussichtspunkten oder hinter Hotelfenstern und in Badekabinen, wenn Quappi nicht einfach entsprechende Postkarten besorgt hat. Es ist, als ob er ab und zu durch die Fenster des großen Innenraums der Fähre nach Amrum blickte und dann wieder auf die illustrierte Tageszeitung. Er verlässt nie seine Themen, er schleppt wie manche Touristen den halben Hausstand („Seekoffer“) mit, jedenfalls alle Sorgen, Mißstimmungen, Laster und Komplexe. Der Gestus der Beiläufigkeit.
Eigenartig, dass seine mir eindrücklichsten Landschaften auf Postkarten vorliegen. Eine Stimmung wie in denen, die in meinem Jugendzimmer entstanden. Blinde Scheiben – die Begriffe des Katalogbuches erweisen sich als Schlüssel, so auch „Projektion“, „Sehnsuchts“bilder, Wunschbilder eines (in Amsterdam) eingesperrten großen Jungen.
Beckmann malt auch Schauplätze. Er entwickelt dabei Licht-Farb-Konstellationen für andere Gelegenheiten, er probiert sein malerisches Instrumentarium aus, prüft Anwendungsmöglichkeiten.
Deutsche Maler schmieren, spätestens seit 1900. Diese gewagte These leite ich von Liebermann und Co. ab, woher auch B. sich ableitet. Ein irgendwie innerlicher Impressionismus (Expressionismus ohnehin), der sich sogar seine eigene Laterne anzündet, sprich: die eigene Farbpalette über die Kraft der Kontur oder des Lichts stellt. Schade, dass zum Farbvergleich gestern kein Tryptichon oder Porträt zur Verfügung stand! Lieblos würde ich das Geschmiere nennen, und achtlos. Es sind auch keine Skizzen, keine spontan durch Bewegungen der Hand vermittelte Eingebungen. Motive und ihre symbolischen Beziehungen dominieren, nah an Gedanken, an Selbstgesprächen.
In den anderen Sälen waren de Chirico, Modigliani, Picasso, ja Hodler so etwas von subtil, ja erotisch!
Die unmittelbare Wirkung auf die eben mal eingenommene Position und Distanz kalkuliert, reicht ihm schon hin. Das Geschmiere ist immer schon und nie fertig, es schleppt achtlos jede Nachlässigkeit mit, solange nur der Hauptgedanke, die interessierende Wirkung eines Aspekts oder einer Ecke erkannt und geschätzt wird. Da werden Inhalte notiert, vergegenwärtigt, nicht eigentlich Formen, die transportieren sie bloß, machen Inhalte anschaubar ein wenig attraktiv.
Wolken am Meer, das sind die berühmten gespensterhaften Gebirge, die sich auftürmen und bei jedem Menschen andere Assoziationen auslösen, ähnlich einem Rohrschachtest. Wir haben sie alle erlebt, in der Natur zuerst – oder auf Bildern. Wir sehen sie durch die Bilder anderer (dann sammle ich sie) oder in der Natur. Wenn wir sie umformen, tut das ihrer Wirkung keinen Abbruch. Beckmann verschönert, intensiviert den westfriesischen Meeresblick z.B., er setzt einen stärkeren aus der Erinnerung darauf. Er spielt mit ihnen.
Er nimmt Postkarten und andere Vorlagen (etwa: Rousseau), er staucht und streckt sie, er färbt sie stark ein oder um, er entleert sie teilweise und füllt sie mit neuen Bildelementen. Und er prüft ihre Wirkung. Alles was man heute auch am PC machen kann oder früher mit Schere und Pinsel. Ein Patchwork, eine Collage von Bildelementen, ja Recycling.
Was? So etwas soll der alte Grandseigneur getan haben?
*
7.11.2011 nach 23.oo Markierungen von mir.
Christian Gampert dradio am 2.9.2011 über „Max Beckmann als Landschaftsmaler“ – Ausstellung im Kunstmuseum Basel vom 4. 9.2011 bis 22.1. 2012
Max Beckmann sei der wichtigste Landschaftsmaler des 2O. Jahrhunderts, sagt der Kurator der aktuellen Beckmann-Ausstellung im Baseler Kunstmuseum. Das Gesamtwerk des Künstlers lässt sich tatsächlich von der Natur, dem Park, der Stadt, dem Strand, dem Meer aus erzählen: Sämtliche Brüche und Weiterentwicklungen sind auch hier präsent.
Kurator Bernhard Mendes Bürgi:
„Wenn wir bei den Landschaften bleiben, kann man sagen: Das ist eigentlich ein aussterbendes Genre im 20. Jahrhundert. Kandinsky, Mondrian, Malewitsch kommen von der Landschaft her und stoßen sie alle zugunsten der Gegenstandslosigkeit ab. Die Kubisten interessieren sich nicht mehr groß für die Landschaft. Und er gewinnt diesem traditionsmächtigen Genre nochmals alles ab. Und in diesem Sinne würde ich behaupten: Er ist der wichtigste Landschaftsmaler des 20.Jahrhunderts.“
Darauf muss man erst mal kommen: Beckmann als Landschaftsmaler. Man lässt einfach alles weg, was diesen Künstler berühmt gemacht hat, die gotisch wegfliehenden Schreckensbilder nach dem ersten Weltkrieg, die gnadenlosen, scharfkantigen, schwarz gerandeten Figurenstudien, die Mythologisierungen des Fremdseins und des Exils – und macht einen Nebenaspekt zum Hauptereignis. Und siehe: Man kann das Gesamtwerk auch von der Natur, dem Park, der Stadt, dem Strand, dem Meer aus erzählen; sämtliche Brüche und Weiterentwicklungen sind auch hier präsent.
Eigentlich müsste die Ausstellung heißen: Beckmann als Landschafts-Arrangeur. Denn im Grunde behandelt Beckmann die bei ihm oft chaotisch getürmte Weite nicht anders als seine anderen Motive: Aus einem Eindruck, einem Natureindruck wird retrospektiv das Bild entwickelt, wie aus einem Modellbaukasten wird Landschaft aus Einzelteilen zusammengesetzt und zu einer meist bedrohlichen Kulisse aufgebaut.Das fängt ganz zart an: Noch auf der Weimarer Kunstschule malt Beckmann 1902 kleine, graue Strand-Impressionen mit breitem Strich, Priele, Watt, Schneebänke, Wanderdünen, hochformatige dunkle Wälder, später dann, in Berlin, den Bahnhof Gesundbrunnen im Gegenlicht mit großstädtischem Gleisfeld und Passanten als blickleitender Staffage.
Dann aber, nach seinem Nervenzusammenbruch im Ersten Weltkrieg, wirken Beckmanns Landschaften wie leer gefegt, neusachlich verknappt. In den Frankfurter Stadt-Studien werden erstmals markante Einzelelemente schief montiert, vor kahlen Alleen schweben Fesselballons, Bäume stehen wie große Einsame, und bei den Reisen begegnet uns ein stahlblaues, abweisendes Meer vor schwerem Himmel, nur das Méditerranée hat ein warmes Blau.
Ein grandioses, wegweisendes, ungeheuer lakonisches Bild ist der großformatige „Hafen von Genua“ von 1927 mit seinen Hell-Dunkel-Schüben, weiße Häuser vor schwarzen Industrieanlagen, mehrere Perspektiven werden im Bild verzahnt; auf anderen Arbeiten stehen vereinzelte Strandkörbe wie Stellvertreter im Sand, Morgenstimmungen in Holland, abendliche Blicke von der Hotel-Terrasse.
Beckmanns Seestücke sind immer Seelenlandschaften, und sie sind arrangiert wie Stillleben: Ein Buch, ein Brot, ein Fisch liegen auf einer Fensterbank, die den Rahmen bildet für eine zu bewältigende Außenwelt, und die wird mit großer Distanz betrachtet. Wuchtig schlägt das Meer an den Strand oder liegt, im Süden, als plane blaue Fläche, auf der Dreiecke als Boote tanzen – aber es ist Regisseur Beckmann, der hier seine eigene Befindlichkeit als Panorama organisiert, oft in überraschend leuchtenden Farben.
Diese Phase Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Denn obwohl Beckmann in Briefen vom feuchten Frühlingsgrün schwärmt, also eher in Stimmungen denkt, sieht man in seinen Bildern untergründig auch die Kunstbewegungen der klassischen Moderne, die er ablehnt. Aber zumindest den Zusammenbruch des Raums hat der an den alten Meistern geschulte Beckmann den Kubisten abgeschaut, und mit den Expressionisten teilt er die Sucht nach Sinnlichkeit.
Mit Beginn der Naziherrschaft wird alles dunkler, grober, klobiger, und die Fluchtbewegungen nehmen zu. Eindrucksvoll, wie stark sich Beckmann an Berliner Motiven wie dem Tiergarten abarbeitet: ein schwarzes Gitterwerk aus Baumstümpfen vor rotem Himmel, ein grünes Labyrinth, eine Eiswüste – je nach Jahreszeit. Die Baden-Baden-Bilder versammeln Dekadenz-Elemente unterm Mond, und selbst im immer als freundlich wahrgenommenen Süden ragen nun großfingrige Bäume und Agaven drohend ins Bild.
Nicht reisen zu können, muss im Amsterdamer Exil das Schlimmste gewesen sein. Beckmann, der nie vor der Natur malte, imaginiert nun südfranzösische Landschaften, die fast nur aus Fels bestehen, er inszeniert große Gewitterwolken über dem Meer, lässt holländische Polder endlos zum Horizont ziehen – die Phase wird ausführlich gezeigt.
Amerika ist dann nur ein Epilog: Als er 1947 endlich dort ankommt, malt er, sehnsuchtvoll und aus der Erinnerung, die weit ausschwingende „Promenade des Anglais“ in Nizza, neben dem Genua-Hafen das zweite Jahrhundertbild der Ausstellung.
Kurz vor seinem Tod malt Beckmann, symbolschwanger wie so oft, leere Schwimmbecken vor Blütenstauden oder einen abgestorbenen Baum im „West Park“, während im Gras sich die Jugend sonnt. So ist er 1950 am Central Park gestorben – ein großer Reisender, ein großer Einzelgänger.
@ 2011 Deutschlandradio pdf: Beckmann als Landschaftsmaler