Neid des Mandarin / Höhlengleichnis

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                                  Der Neid des Mandarin

Der Neid chinesischer Mandarine auf ihre Untergebenen muss ungeheuer gewesen sein. Eine Vermischung hat wohl nie stattgefunden. Anerzogener Dünkel, Berührungsängste gegenüber den „Erdmenschen“. Man rekrutierte hoffnungsvolle Exemplare im Kindesalter. Erfolgreiche Geschäftsleute versuchte man klein zu halten. Das mag ja aus geschichtsphilosophischer Sicht klug gewesen sein, machte darum aber nicht glücklicher. Sexuell aktiver waren die wohl auch, behaupten wenigstens klassische Romane aus dem 17. Jahrhundert.

Dem eigenen Verhalten waren mit der Etikette enge Grenzen gesetzt, auch was das Vergnügen anging. Das Volk schrie und lachte, prügelte sich und heulte, das Volk liebte es laut und bunt, der Mandarin malte mit schwarzer Tusche. Sehen wir uns seine Tuschmalereien an. Auch sie waren ein Feld der Nachahmung, der Rituale und Haltungen, das heißt generell der Selbstbeherrschung.

Wie viele – dezent – mehrfarbige Tuschbilder haben sich denn in tausend Jahren erhalten? *

Und die Motive? Weitgehend Musterlandschaften und symbolisch aufgeladene Stilleben. Das konnte doch nicht alles sein, was einem Menschen, der bei Sinnen war, wert schien, aufgezeichnet zu werden.

Nur das Wesen des Gegenstandes durfte gestaltet werden: das Singvogelhafte des Singvogels, die Essenz des Wasserfalls, der stille Heroismus der Bergkiefer… Notfalls tat es auch das kalligrafierte  Schriftzeichen.

Jede Eintragung des stolzen Erwerbers einer Bildrolle war ebenso der Stempel einer ästhetischen Zensur, der zudem das Dargestellte mehr gegenüber den Kommentaren ins Hintertreffen geraten ließ. So wurde Tradition kanonisiert und registriert. Wirkt deshalb der Bestand deshalb so harmonisch und zugleich eingeschränkt?

Die Freigeister von Yangzhou (Malerschule), haben sie wirklich mehr erreicht als Reiswein zu saufen und Lieder zu grölen?

Übertreiben wir nicht: Bei seltenen Gelegenheiten begegnen uns in Museen unglaublich intensive Meisterwerke, die uns den Atem nehmen, die Zeit stillstehen lassen. Authentische und nochmals authentische Kunst (B.Wyss), aber so etwas kann sich – forsch dahingesagt – in jeder Kultur ereignen.

                                    

                                     Höhlengleichnis verkehrt

Wer hat denn nun mit Schatten zu tun? Etwa der Bauer, der Handwerker, der Tagelöhner, die Hausfrau und Mutter, Liebende…. ? Am ehesten noch schwer Erkrankte, Geängstigte oder Traumatisierte unter ihnen.

Beat Wyss zitiert in seiner Studie „Trauer der Vollendung – Zur Geburt der Kulturkritik, Köln Dumont 1997“ in extenso Platos berühmtes Höhlengleichnis. Dabei  fällt mir auf, wie ungereimt es ist: von wegen „Puppenspielern“ und „Menschen“, die „allerlei Geräte vorbei (tragen)“..! (200) Die weit verbreitete Verehrung ist eigentlich erstaunlich! Und als Wyss das Gleichnis kommentiert, wird mir klar, dass das Modell „einer unterirdischen höhlenartigen Wohnstätte“ nicht nur auf „Durchschnittsmenschen“ passt, sondern  auch auf Mitglieder sozialer Eliten. Die Art der „Fesseln“ ist doch unerheblich: „Konventionelles Denken war festgelegt durch eine starre Blickrichtung“ und: „So beschäftigt sich der Durchschnittsmensch mit den  Kunststücken des alltäglichen Schattentheaters.“ (201)

Die Eliten, die bereits seit dem Alten Ägypten oder China mit Schatten Umgang hatten samt ihren eingesperrten Frauen und singenden Kastraten, sie haben in den vergangenen Jahrhunderten alles dafür getan, damit das Volk, ihr Volk auch mit immer mehr Schatten zu tun hat. Vor allem im letzten Jahrhundert haben sie sinnenfällige körperliche Arbeit fast ganz vernichtet und körperliches Vergnügen reglementiert.

Neidvoll blicken sie auf das wimmelnde bunte Völkchen, das sie in Daten, in bits and bites verwandeln müssen, dem sie mittels Comoputerprogrammen begegnen, wenn nicht gerade ausnahmsweise in Gestalt des Callgirls im Hotelzimmer, oder sonst wieder bloß als Schatten.

Wenn man die Komposition Platos unbedingt bewahren möchte, bleibt immer noch als Denkanstoß das Bild eines blinden Sehers, von der Sonne geblendeten Sehers, der glaubt, etwas zu sagen zu haben.

 

* Nachtrag

Bei Ch’i Pai Shih blühen die Farben auf.  Er wurde 1863 geboren, war kleiner Leute Kind und musste zunächst Zimmermann lernen. Mit der starken volkstümlichen Farbigkeit wuchs er selbstverständlich auf.

Albumblatt, entnommen dem Inselbändchen Nr. 636, Lpz. o.J

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