Meisterkurs an der Hochschule fĂŒr Musik und darstellende Kunst in Frankfurt/Main am 14.-16.4.2015 Kleiner Saal
Abgelauschte Interventionen
 FĂŒr den SiebzigjĂ€hrigen ist Scholl schlicht ein attraktiver junger Mann, der etwas von einem Faun hat, tiefschwarzes Haar, der T-Shirt und helle Sommerhose trĂ€gt und eine freundliche, ja vergnĂŒgte Ruhe ausstrahlt. Weiche und bewegliche Sprechstimme. Aus allem entsteht ein wie naturgegebenes Lehrer-SchĂŒler-VerhĂ€ltnis.
An zwei Tagen habe ich Scholls EinwĂŒrfe und Stichworte aus improvisierten KurzvortrĂ€gen spontan notiert. FĂŒr mich gewinnt das Fragmentarische daran den Reiz antiker Textfragmente (Alles flieĂt …. Alles kommt aus dem Wasser oder Was ist dein eigen?). Es fiel mir vor allem am zweiten Tag nicht leicht, den âSpruchweisheitenâ in der Textmontage auch den nötigen Raum zu geben. FĂŒr MissverstĂ€ndnisse ĂŒbernehme ich die alleinige Verantwortung.
Mittwoch, 15.4., ab 10.30 aus zwei Einheiten zusammengetragen
Energie anzapfen, die im StĂŒck steckt.   (SpĂ€ter einmal:) Im Moment erzeugst du den Stimmfluss als zweiten Motor
Nicht stillstehen, auch wenn sich fast nichts tut
Das BedĂŒrfnis, das du fĂŒr dich selbst erzeugst: …. zu schweben … nicht schleppen
Wie können wir den gesunden schönen Klang behalten?   …. âTRTRTRâ schnĂŒrt uns zu
Zu viele Dinge, die der Stimme im Wege stehen
Stell dir vor, du dirigierst dich selbst
Nur mehr reinlegen in das schöne Lied
Wir wollen die Stimme frei halten
Alles ist musikalische Geste
Vergiss die Noten, du kennst das StĂŒck so gut, das sehe ich … vielleicht die Augen schlieĂen
„VergnĂŒgte Ruh …. Seelenruheâ … Jeder Atem ist in dem StĂŒck, als ob du eigentlich seufzen wolltest, aber singst
Affekt ist schon eingebaut …. ein Legato-Atem …
IntensitÀt statt Kraft
Sich spĂŒren, dazu tanzen können …. hilft gerade im Barock … SpĂŒren, wo ist denn mein Schwerpunkt?
Wir wollen gar nicht sehen, ob du damit zufrieden bist
âDas ist notiert!â ? Was notiert ist, ist ja nur eine Andeutung. Der Vivaldi vertraute darauf, dass die Leute verstehen, was der wollte.
Vielleicht finden wir eine Geste … dichtes nach vorn DrĂ€ngen (spielt das selber expressiv vor)
12 Takte, die eine Binnenstruktur geben. Du hast erkannt, das ist dreistufig, da baut sich etwas auf
Jetzt habe ich nur die Dynamik gehört, nicht den Affekt. Piano ist nicht nur leise
Gerade bei den Sachen, die wir sportiv singen …Â Du spielst?
 Donnerstag, 17.4. ab 10.45 â aus vier Einheiten
Experimentieren, Laboratorium!
(Denn:) … Unter Stress greifen wir immer zurĂŒck auf das, was uns am nĂ€chsten liegt
Muscle Memory: Wie habe ich mich gefĂŒhlt â Der Atem auf der Pause ist wichtig
Freier Klang, weniger Ăsthetik durch ZurĂŒcknehmen!
NatĂŒrliches Mezzoforte ist besser als kĂŒnstlich kontrolliertes Pianissimo ….
(Etwas spÀter:) Viel stÀrker, aber mit geringerer Amplitude!
GefĂŒhrtes Singen: das Bewusstein, wohin die Phrase fĂŒhren soll
Nie den Tanz vergessen, der darin steckt!
Erst ganz tiefer Atem reicht aus, ein krĂ€fteraubendes StĂŒck!
Bach schreibt instrumental, eigentlich eine Oboen-Stimme!
Atemdisziplin, sonst kommt man ins Eiern  … Der Atem wird auch animiert im Gesicht, mit der Geste …. Was verĂ€ndert sich hier im Affekt?
Von Anfang bis Ende im StĂŒck drin zu sein, nicht zu denken. Schalte mal alle Filter ab.
Die persönliche Teilnahme setzt auch Kraft frei.
(Sie kann) uns auch der LĂ€cherlichkeit preisgeben. …. Man kann als âzu religiösâ beurteilt werden â statt auf der sicheren Seite zu bleiben und âschönâ zu singen.
Bei Liederabenden ist das Interesse an deiner Person ausschlaggebend. Je mehr ich mich reingebe ….  je frĂŒher einer damit anfĂ€ngt. umso individueller und einzigartiger (wird er fĂŒr das Publikum sein).
Arien sind aus dem Kontext (der Oper) genommen â trotzdem etwas verstĂ€ndlich machen. Ein Liederabend wechselt von einem Charakter zum anderen.
Spielen: …. Du hast etwas Wichtiges zu erzĂ€hlen!
Was helfen wĂŒrde fĂŒr die Koloratur: Koloraturen, Melismen brauchen stĂ€ndige Animation. (Koloratur) arbeitet mit VergröĂerung. Zeig es, warum es zweimal vorkommt!
…..SPIRITUS SANCTUS… Vergessen lassen, dass Bach den Satz zwanzig Mal sagen lĂ€sst … dass du weiĂt, was du singst …  und Leichtigkeit. Sie (die Passage) kann lang werden. … Dass du uns mitnimmst, wenn etwas Neues kommt – nicht in die Noten guckst
Dass die superlangen Melismen eine Ăberraschung bereithalten (damit sie nicht) klingen wie Verzierungen, sondern wie etwas, das dir gerade eingefallen ist. Das Nachdenken ĂŒber Verzierungen hat dich aus dem StĂŒck herausgeholt. Dieses StĂŒck hat einen wahnsinnigen Zauber. Frage: Was nehmen Verzierungen davon weg? … kleinteilig .. Verzierung muss ja fĂŒr etwas gut sein
Bach hat geschrieben, um Menschen zu retten. In diesem Moment, fĂŒr den Moment muss ich es nachvollziehen, auch wenn (es mir persönlich fremd bleibt). Es hat eine Dringlichkeit. Ich wende mich euch zu! Energie spĂŒren â schwierig, weil diese Musik aus den RĂ€umen herausgenommen (ist) … Idee der Maske, z.B. Prediger
… das sind wir Bach schuldig.
Hinweis:
Am 10.Mai 2015 wiederholte ARTE das ausgezeichnete Feature des HR ( 52′, 2013), „Andreas Scholl – der CĂ€sar der hohen Töne“, das Auftritte mit Interview und Unterrichtsszenen an der Musikhochschule in Mainz kombinierte.