Andreas Scholl Meisterkurs Gesang

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Meisterkurs an der Hochschule fĂŒr Musik und darstellende Kunst in Frankfurt/Main am 14.-16.4.2015 Kleiner Saal

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Abgelauschte Interventionen

 FĂŒr den SiebzigjĂ€hrigen ist Scholl schlicht ein attraktiver junger Mann, der etwas von einem Faun hat, tiefschwarzes Haar, der T-Shirt und helle Sommerhose trĂ€gt und eine freundliche, ja vergnĂŒgte Ruhe ausstrahlt. Weiche und bewegliche Sprechstimme. Aus allem entsteht ein wie naturgegebenes Lehrer-SchĂŒler-VerhĂ€ltnis.

An zwei Tagen habe ich Scholls EinwĂŒrfe und Stichworte aus improvisierten KurzvortrĂ€gen  spontan notiert. FĂŒr mich gewinnt das Fragmentarische daran den Reiz antiker Textfragmente (Alles fließt …. Alles kommt aus dem Wasser oder Was ist dein eigen?). Es fiel mir vor allem am zweiten Tag  nicht leicht, den ‚Spruchweisheiten’ in der Textmontage auch den nötigen Raum zu geben. FĂŒr MissverstĂ€ndnisse ĂŒbernehme ich die alleinige Verantwortung.

Mittwoch, 15.4., ab 10.30 aus zwei Einheiten zusammengetragen

Energie anzapfen, die im StĂŒck steckt.    (SpĂ€ter einmal:) Im Moment erzeugst du den Stimmfluss als zweiten Motor

Nicht stillstehen, auch wenn sich fast nichts tut

Das BedĂŒrfnis, das du fĂŒr dich selbst erzeugst: …. zu schweben … nicht schleppen

Wie können wir den gesunden schönen Klang behalten?    ….  ‚TRTRTR’ schnĂŒrt uns zu

Zu viele Dinge, die der Stimme im Wege stehen

Stell dir vor, du dirigierst dich selbst

Nur mehr reinlegen in das schöne Lied

Wir wollen die Stimme frei halten

Alles ist musikalische Geste

Vergiss die Noten, du kennst das StĂŒck so gut, das sehe ich  … vielleicht die Augen schließen

„VergnĂŒgte Ruh …. Seelenruhe“  … Jeder Atem ist in dem StĂŒck, als ob du eigentlich seufzen wolltest, aber singst

Affekt ist schon eingebaut …. ein Legato-Atem …

IntensitÀt statt Kraft

Sich spĂŒren, dazu tanzen können …. hilft gerade im Barock … SpĂŒren, wo ist denn mein Schwerpunkt?

Wir wollen gar nicht sehen, ob du damit zufrieden bist

‚Das ist notiert!’ ? Was notiert ist, ist ja nur eine Andeutung. Der Vivaldi vertraute darauf, dass die Leute verstehen, was der wollte.

Vielleicht finden wir eine Geste … dichtes nach vorn DrĂ€ngen (spielt das selber expressiv vor)

12 Takte, die eine Binnenstruktur geben. Du hast erkannt, das ist dreistufig, da baut sich etwas auf

Jetzt habe ich nur die Dynamik gehört, nicht den Affekt. Piano ist nicht nur leise

Gerade bei den Sachen, die wir sportiv singen …  Du spielst?

 

 Donnerstag, 17.4. ab 10.45 – aus vier Einheiten

Experimentieren, Laboratorium!

(Denn:)  … Unter Stress greifen wir immer zurĂŒck auf das, was uns am nĂ€chsten liegt

Muscle Memory: Wie habe ich mich gefĂŒhlt – Der Atem auf der Pause ist wichtig

Freier Klang, weniger Ästhetik durch ZurĂŒcknehmen!

NatĂŒrliches Mezzoforte ist besser als kĂŒnstlich kontrolliertes Pianissimo ….

(Etwas spÀter:) Viel stÀrker, aber mit geringerer Amplitude!

GefĂŒhrtes Singen: das Bewusstein, wohin die Phrase fĂŒhren soll

Nie den Tanz vergessen, der darin steckt!

Erst ganz tiefer Atem reicht aus, ein krĂ€fteraubendes StĂŒck!

Bach schreibt instrumental, eigentlich eine Oboen-Stimme!

Atemdisziplin, sonst kommt man ins Eiern   … Der Atem wird auch animiert im Gesicht, mit der Geste ….  Was verĂ€ndert sich hier im Affekt?

Von Anfang bis Ende im StĂŒck drin zu sein, nicht zu denken. Schalte mal alle Filter ab.

Die persönliche Teilnahme setzt auch Kraft frei.

(Sie kann) uns auch der LĂ€cherlichkeit preisgeben. ….  Man kann als ‚zu religiös’ beurteilt werden – statt auf der sicheren Seite zu bleiben und ‚schön’ zu singen.

Bei Liederabenden ist das Interesse an deiner Person ausschlaggebend. Je mehr ich mich reingebe ….   je frĂŒher einer damit anfĂ€ngt. umso individueller und einzigartiger (wird er fĂŒr das Publikum sein).

Arien sind aus dem Kontext (der Oper) genommen – trotzdem etwas verstĂ€ndlich machen. Ein Liederabend wechselt von einem Charakter zum anderen.

Spielen: …. Du hast etwas Wichtiges zu erzĂ€hlen!

Was helfen wĂŒrde fĂŒr die Koloratur: Koloraturen, Melismen brauchen stĂ€ndige Animation. (Koloratur) arbeitet mit VergrĂ¶ĂŸerung. Zeig es, warum es zweimal vorkommt!

…..SPIRITUS SANCTUS… Vergessen lassen, dass Bach den Satz zwanzig Mal sagen lĂ€sst … dass du weißt, was du singst …   und Leichtigkeit. Sie (die Passage) kann lang werden. …  Dass du uns mitnimmst, wenn etwas Neues kommt – nicht in die Noten guckst

Dass die superlangen Melismen eine Überraschung bereithalten (damit sie nicht) klingen wie Verzierungen, sondern wie etwas, das dir gerade eingefallen ist. Das Nachdenken ĂŒber Verzierungen hat dich aus dem StĂŒck herausgeholt. Dieses StĂŒck hat einen wahnsinnigen Zauber. Frage: Was nehmen Verzierungen davon weg? … kleinteilig .. Verzierung muss ja fĂŒr etwas gut sein

Bach hat geschrieben, um Menschen zu retten. In diesem Moment, fĂŒr den Moment muss ich es nachvollziehen, auch wenn (es mir persönlich fremd bleibt). Es hat eine Dringlichkeit. Ich wende mich euch zu! Energie spĂŒren – schwierig, weil diese Musik aus den RĂ€umen herausgenommen (ist) … Idee der Maske, z.B. Prediger

… das sind wir Bach schuldig.

Hinweis:

Am 10.Mai 2015 wiederholte ARTE das ausgezeichnete Feature des HR ( 52′, 2013), „Andreas Scholl – der CĂ€sar der hohen Töne“, das Auftritte mit Interview und Unterrichtsszenen an der Musikhochschule in Mainz kombinierte.