Schwester Margaret Mead – Bruder Derek Freedman

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Derek Freedman : Liebe ohne Aggression – Margaret Mead Legende von der Friedfertigkeit der Naturvölker, Kindler 1983 – „gewidmet Karl R.Popper“. Die inzwischen vergilbte Seite aus dem  Newsweek/February 14, 1983, 61 hatte ich im Sinn, als ich das Buch im Februar 2008 ĂŒber ZVAB bestellte.  

                                   Schwester Margaret (Mead)

Die Eilige, die Ängstliche, die Intuitive, die Enthusiastische, die OberflĂ€chliche, die aber von einer Welle des Erfolgs empor getragen wurde. Sie wurde erwartet! Mit fĂŒnfundzwanzig war sie berĂŒhmt, meine Schwester. Auf halbem Wege wartete schon Ruth Benedict, und der schwesterliche Austausch der Frauen gab ihrem Ergebnis die windschnittige Form, den unaufhaltsamen steilen Bug, der sich durch alle WellenkĂ€mme schnitt. Bilderbuch-Ethnologie! Sarotti-Album.

Vor 25 Jahren notierte ich in einem Mead-Taschenbuch: „ein amerikanischer Tourist, aber sein Kritiker ist feige“. Stimmt das?

Ich persönlich kann mir es kaum vorstellen, ein ganzes Leben damit zu warten, meine EnttĂ€uschung auszuleben. Schließlich ging Freedman als AnhĂ€nger der Mead 1940 nach Samoa. Den Vorwurf der Feigheit nehme ich zurĂŒck. Er scheint ein bedĂ€chtiger Mann zu sein. Vielleicht musste der NeuseelĂ€nder auch das Ende seiner Karriere befĂŒrchten. Seit 1969 jedenfalls setzte er der berĂŒhmten Autorin zu –  parallel zu „gebildeten Samoern“. Er durfte ja andere wissenschaftliche PrioritĂ€ten setzen als sie.

Unfair war er nicht. Sie hatte selber jede Revision des „Klassikers“ verweigert  und  sich bei einer unĂŒbersehbaren Fan-Gemeinde ausgeruht. Die Sache aussitzen wollen? Das Buch – so erscheint es heute – war ja wohl nicht zu retten, sollte es wenigstens noch eine Generation zum Guten beeinflussen. Und damit kommt meine Generation ins Spiel! Gut, dass „Kindheit und Samoa“, das ich im Februar 1972 erwarb, als dtv-Taschenbuch so klein gedruckt ist. So habe ich es nicht gelesen! Selbst wenn, es wĂ€re nur eine Wand mehr gewesen an meinem idyllischen Kartenhaus, das schon 1977 zusammenkrachte! An dem PortrĂ€t der drei kleinen Niugini-Gruppen, im 3. Band der Ausgabe, an die ich mich noch gut erinnere, interessierten mich die kontrastierenden RollenzwĂ€nge, die jeweils die Norm bildeten. Mir fiel auf, dass immer die Abweichler unglĂŒcklich waren. Die Gretchenfrage: Erbanlage oder Umgebung interessierte mich nicht. „Das Kapital“ war mir ja auch schnuppe.

Kuhn und Feyerabend – Popper wird zitiert – werden wieder einmal  bestĂ€tigt in ihren Aussagen zu den Mechanismen des Wissenschaftsbetriebs und in ihrer Entzauberung des Paradigmenwechsels. Freeman nutzt das Thema zu einem LehrstĂŒck in Wissenschafts- und besonders Rezeptionsgeschichte wissenschaftlicher Literatur. Frappierend ist, wie lange Margaret Meads Studie solide Arbeitsweise und seriöse Methode attestiert wurde. Angesichts ihrer freimĂŒtigen Aussagen zu ihrer Arbeitsbedingungen kann ich das nicht nachvollziehen. Und es geschah offensichtlich leichtfertig im Vertrauen auf den eigenen prominenten Status und die entsprechende AutoritĂ€t. Wo war da die Sorge um den Ruf? HĂ€lt man sich in solchen Kreisen fĂŒr unverwundbar?

Margaret Mead erscheint bei Freedman auch als tragische Figur, die sich in einer Legende einmauert und vor der öffentlichen Demontage schlicht verstirbt. Dem Shooting Star flicht die Nachwelt keine KrÀnze.

Freedman verkörpert einen anderen Typ von Wissenschaftler:  geduldig, ja penibel, bescheiden auftretend als eine Stimme im Chor, als ein RÀdchen im Betrieb, als ein Glied in der wissenschaftlichen Traditionskette. Die verstreichende Zeit scheint nicht zu zÀhlen, und vielleicht hat er damit ja Recht. Denn selbst 1983 war die Zeit noch nicht reif, wie man so sagt. Der Links-Rechts-Antagonismus war stark. Reagan und sein Krieg der Sterne stand gegen den real-existierenden Sozialismus in der letzten Runde. In Afrika und Asien tobten Stellvertreterkriege.

„Behaviorismus“ – was fĂŒr ein hĂ€ssliches Wort fĂŒr eine schöne Utopie! Ich muss gestehen, diese Namensverbindung mit Margaret Mead verdrĂ€ngt zu haben. Und noch eine Entdeckung: die Parallele zur intellektuellen SchwĂ€rmerei fĂŒr Kommunismus  und amerikanischem Fordismus. Die zwanziger Jahre erhalten fĂŒr mich immer deutlichere Konturen. Und die Front zum rechten Biologismus wird immer besser ausgeleuchtet. Was fĂŒr unangenehme Alternativen!

Aus so einem Fall konnte ich frĂŒher Unterrichtskonzepte schmieden oder vielleicht auch nur stricken.

 

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