Verrückte Stöcke (Äthiopien)

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Stöcke-IMG_1960 Nackenstütze Größer? 2x klicken!Kalebasse,Deko Löffel

 

Die verrückten Stöcke hauen mich um. Der Oromo vor allem: ungewöhnlich gerades Gabelholz., das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Oben an der richtigen Stelle geschnitten und unten mit einem geschmiedeten spitzen Schuh auf die rechte Länge gebracht. Und was für ein Profil,  wie von Festungsbauer Vauban entworfen mit Wülsten nach vier Seiten, die keine offizielle Ikonographie mobilisieren. Oder doch? Schließlich soll er einem Pflanzendoktor gehört haben. Darin steckt Phantasie und Extravaganz – das fasziniert anders, als wenn etwas von höfischen Handwerkern für ein habituell anspruchsvolles Publikum erklügelt wird! Perfekt gefettet und schwarz. Mir will scheinen, dass er nicht wirklich lange benutzt worden ist, zu fettig, zu stumpf. C. widerspricht. Der zweite Gabelstock – von C. „Heugabel“ genannt und vielleicht mit Recht – ist von der gleichen Art.

Im letzten Moment sehe ich noch entsprechende Kalebassen – in zwei Dimensionen gemustert einmal wie mit Kaltnadel geometrisch geritzt, in einer zweiten mit großen breiten Strichen wie bei einer ‚Radierung’, und über allem satt glänzende braune Fettpatina.

Die dritte Angriffswelle läuft über Hornlöffel, graziles Gehörn kleiner Rinder, glatt und dunkel patiniert. ‚Für Linkshänder’ rufe ich einmal aus. Na klar, das gilt für fünfzig Prozent vom Doppel der Hörner. Auf der Hälfte der Länge der Einschnitt, und immer eine gegenläufige Spitze, wie der  Schutz eines Bootes gegen Spritzwasser. Die abgeschrägten Schaufeln könnten durch den Gebrauch abgeblättert, rissig und aufgerauht sein. Die von mir ausgewählten sind es aber nicht. Ein honigfarbener ‘junger’ Löffel lockt, ich widerstehe aber dem didaktischen Impuls zur Dokumentation.

Eigentlich bin ich wegen der Nackenstützen gekommen. Zwei sind raumgreifende kleine Skulpturen, funktional – vor allem die mit dem Griff aus kräftigem gebogenen Draht – Immer wieder in die Hand nehmen!

Das alles bietet Äthiopien, aber die beiden westafrikanischen glatten, glänzenden und dunklen Halsketten aus hunderten von Kokosscheiben greifen die Flanke an. Nicht einmal die Preise sind ein Schutz für mich Sammler. Ich denke dabei bloß an die Attraktivität von Büchern oder Fünfzig-€-Scheinen und kapituliere. Das ist in etwa die Sphäre. Eigentlich lächerlich.

Warum diese Hymne? Ich kriege für Momente den Mantel menschlicher Kreativität und ästhetischer Sensibilität zu fassen. Ich komme äußerst fremden Menschen nah in ihrer Leidenschaft für Schönheit, Schmuck und Design. Ich würde Handwerker und Auftraggeber gern kennenlernen.

 

Etwas Theorie

Hier drängt sich mir ein  von Manfred Sommer zitierter Grundsatz gelungener Gestaltung von Gebrauchsgegenständen auf: die Kunst, Kunst zu verbergen auf. Er hatte mich bisher noch nicht überzeugt, in: Design sammeln – Vortrag an der sechsten Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte e.V. im Mai 2013, S.7 

Gerade das macht die Verführung traditioneller Gebrauchsgegenstände aus, die durch glückliche Fügung in voller Integrität das Ende ihres Gebrauchs überstanden haben und in einer völlig anderen Welt als Objekte der Sammelleidenschaft erwachen. Etwas über die Zeit ihres – sagen wir es auf Katholisch – Fegefeuers zu erfahren, wäre natürlich sehr interessant, aber  vom Fährmann ‚Charon’ und seinen vielen Gehilfen kann man da wenig erwarten. Deren Zwischenlager sind nach vertraulicher Auskunft noch gut gefüllt. Sie funktionieren als Abkühlungsbecken in Richtung Kunstobjekt. Na ja, jede Existenzform hat ihre Misslichkeiten.

Hilfe, jetzt verfolgt mich auch noch die Erinnerung an die hölzerne Stützsäule des offenen Beratungshauses eines Mossi-Dorfes, die schlichteste Gestaltung, die man sich vorstellen kann, aber die dezente und authentische Stütze eines Beratungshauses! Wir alle wissen, was das heißt.                        – 19. Juni 2014 –

 

Zwei Tage später

Was mir an der Auswahl auffällt: Diese Objekte muss man als privat im Sinne von intim bezeichnen, weil sie außer der Bequemlichkeit, Schicklichkeit und Nutzen keine höheren Aufgaben erfüllten. Rituelle und oder öffentliche Funktionen kann ich nicht erkennen. Ob sie der Ethnologie überhaupt noch andere Fragen die nach einem Lokalstil stellen? Die schönste Kopfstütze ist aus ‘Bodi’.

 

Fremd

Sie werden selbst an ästhetischen Objekten erlebt haben: Ein starker ästhetischer Reiz kann andauern, weil er fremd bleibt. – Das beginnt hier mit den Materialien, etwa Kalebassen, den Hörnern sehr kleiner Rinder, ihrem Leder, oder bei einem Draht, der mit wenigen sicheren Handgriffen zurechtgebogen worden ist, und endet schließlich bei der Imprägnierung mit Butterfett und roter Erde, die man nicht ignorieren kann. Ich ertrage jedenfalls den strengen Geruch eines solchen Ensembles nur in Maßen, werde ein paar Stücke zurückgeben. Doch wenn dieser Duft einmal verschwunden ist, werden diese Gegenstände ganz leicht übersehen, sind gealtert, im besten Fall reif  für eine höhere Bestimmung. Amen.

 

Ein halbes Jahr später – ‚Omo People & Design’ 

2008 ist von Gustaaf Verswijver und Hans Silvester (Fotos) ‚Omo People & Design’ erschienen, ein  eleganter Bildband, der Alltagsgegenstände, Schmuck und Körperbemalung in ihrem Kontext darstellt, kongenial in Wort und Bild (Milieu, Stimmung und Objekte). Afrika-Museum Tervuren, Brüssel, der Text ist Englisch, Preis (im Netz) um 35 €.       –  21. Dezember 2014 –

Vorsicht! Das Buch kann als Wunschliste missbraucht werden!

 

 

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