Dies Interview ist im Kontext eines soziologischen Projekts von Marianne von Graeve entstanden. Von Heinz Bude (Das Altern einer Generation, 1995) und anderen Autoren angeregt, befragte sie damals acht Lehrer und Lehrerinnen, welchen Einfluss ‚1968‘ auf ihr Leben und ihre spätere pädagogische Arbeit hatte.
Ihre Auswertung, die damals leider nicht den Weg in eine Fachpublikation fand, veröffentliche ich erstmals hier als Gastbeitrag. Die Texte stellen auch meine Äußerungen in einen größeren Zusammenhang.
Damals habe ich die Tonbandabschrift auch zu einem Beitrag für die Abiturzeitung verarbeitet, zu einer hochnotpeinlichen, aber leider fiktiven Befragung durch kritische Schülerredakteure. Daher deren ironische Schlussbemerkung: ‚ultimative Lektion‘. dvg 30.10.2013
Der Fragenkatalog
Wenn ich im folgenden von „1968“ spreche, ist dies eine Kurzformel für alle möglichen anderen Benennungen, wie z.B. „Bewegung von 1968,“ „APO“ „Studentenbewegung“ usw. MvG
1. Würden Sie – aus Ihrer damaligen Sicht – beschreiben, wie Sie persönlich 1968 erlebt haben?
(1b) Welche Personen, Ideen, Bücher oder Zeitschriften haben Sie besonders beeindruckt?
2. Wie sieht Ihr Urteil über 1968 heute aus?
3. Wollen Sie etwas darüber sagen, wie sich 1968 auf Ihr persönliches Leben und auf Ihre Unterrichtspraxis ausgewirkt hat?
3b) Hat sich 1968 auf Ihren Umgang mit den Schüler(innen) ausgewirkt?
4. Hat 1968 Ihre Ansichten über das Fach Geschichte beeinflusst? 5. Welche Inhalte über 1968 müssten nach Ihrer Ansicht im Geschichtsunterricht vermittelt werden? 6. Haben sich nach Ihrer Ansicht die Ideen von 1968, ganz allgemein gesehen, durchgesetzt oder nicht?
7. Warum?
8. Gibt es außer dem bereits Besprochenen noch etwas, was Sie über 1968 sagen möchten?
Tonbandabschrift
Interview Nr. 4, geb. 1944, Lehrer für Gemeinschaftskunde und Geschichte, 19. März 2001
Frage 1
Ja, also 1968, als ich aus der Schweiz, bereits 1967, zurückgekehrt bin, hatte ich das Gefühl, dass der politische Zug schon abgefahren war. Das heißt, ich stand eigentlich schon auch ein Stück vor dem, was da passierte an Streiks und sonstigen Aktivitäten. Es war für mich auch ‘ne Situation, dass eigentlich, ich mit ‘n paar Dingen schon abgeschlossen hatte. Es war schon Einiges vorbei. Ich hatte ja von der Schule her, nach der Schule, die Frankfurter Schule an der Universität kennen gelernt, und, ja und die wichtigste Erfahrung war eigentlich, als ich dann 1966 Frankfurt verließ, dass eigentlich schon sehr bald die Frankfurter Schule und die ganze Problematik hinter dem Horizont verschwunden war, und eigentlich kein Mensch mehr wusste, wer das eigentlich ist, also, ich hatte erst das Gefühl, im Zentrum einer…in einem intellektuellen Zentrum zu leben und zu studieren, und hatte dann das Gefühl, dass ich eigentlich an einem Ort neben manchem anderen studierte. Also z. B. die Professoren, die ich besuchte in Frankfurt, die waren außerhalb Frankfurts nicht bekannt. Und das fand ich schon einmal sehr ernüchternd. Und der Professor, der die Frankfurter Schule am ehesten noch in Wien repräsentierte, ,Professor Heintel, (H.?) der erschien mir faul und gedankenlos. Das ist schon mal das eine.
Zudem natürlich, wenn man dann noch sieht, was gemeinsam ist , mit dieser Opposition an der Universität, ist natürlich eine ziemliche Distanz zur Gesellschaft der damaligen Zeit. Und das war natürlich mit der Frankfurter Schule schon mal theoretisch vorbereitet, oder noch mal formuliert. So der Stil: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen…“, war natürlich schon, war sozusagen ein theoretischer Rahmen…
(Da warst bei Adorno?)
Ja. … Ja, es ist schwierig mit dieser Frage 68, wie man das persönlich erlebt hat.
Ich glaube, ich sollte noch etwas zu den konkreten Erfahrungen sagen, mehr als irgendwelche theoretischen, also theoretische Übereinstimmungen fand ich eigentlich so die Erfahrung mit der Staatsmacht, die war durchaus parallel. Ich war damals in einem Studentenheim, der evangelischen Kirche, und ich konnte da zweierlei erfahren, einerseits eine autoritäre Führung, die bevormundend auch noch Theologiestudenten zur abendlichen Andacht verdonnern hilflos war gegenüber den Studenten, die zum Teil aus Nigeria und zum Teil aus der abtrünnigen Provinz Biafra kamen, was eigentlich nur dazu führte, dass man dann alle gekündigt hat, und dann eben diese Art, was ich dann als Korruption verstand, dass dann eben ein der Kirche nahe stehender Rechtsanwalt sozusagen hundert Mal die Kündigung schreiben und abrechnen durfte.
Zugleich, an der Universität, ich muss sagen, gibt es ein paar Szenen, da gibt es einmal die Szenen, dass ,ich hab’ wenig an Demonstrationen teilgenommen, und, glaub’ ich, an der einzigen, wo auch mal geschlagen wurde, war ich sehr ambivalent. Ich hatte das Gefühl, da schickt uns eine Führung, sozusagen, steht im Rücken und treibt uns den Knüppeln in die Arme. Und wir sollen dann auf eine bestimmte Weise reagieren, nämlich, wir sollen dann empört sein, sollen bestimmte Erfahrungen machen. Das war so das eine.
Das andere war, dass ich ja eigentlich meine Freiheit schon hatte, im Studium, durch mein Erbteil und dann die Entscheidung, frei zu studieren, erlebte ich, dass meine Professoren unter Druck gerieten. Und zwar waren das ohnehin Leute, die nicht besonders auffielen, aber für meine Begriffe gute Arbeit leisteten, und die dann zum Beispiel, unter die…der Philosophieprofessor Liebrucks gleichzeitig unter Angriffe von Marxisten und Logistikern oder Sprachphilosophen, wie die Chomsky – Schule dann kam, verbündeten sich sozusagen, ihn da weg zu ekeln. und Ähnliches habe ich auch bei dem Althistoriker, ich glaub Kraft (K.?) hieß er, erlebt. Und da hab’ ich meine …Idee war damals schon, dass, also der moralische Impuls, ja, Ungerechtigkeit, und Borniertheit, und Herrschaft, abzulehnen, und zu bekämpfen, das fand ich in Ordnung, aber ich konnte feststellen, dass das auch irgendwie nach Parteibuch beziehungsweise nach Cliquen ging.
Insofern bin ich… meine stolzeste Tat in der Zeit war, dass ich in einem Fall den Versuch einer Sprengung, den Versuch, eine Veranstaltung zu sprengen, durch mein Eintreten wieder – abgebogen hab’. Die verließen einfach unverrichteter Dinge wieder den Hörsaal, und wir hörten weiter.
(War das bei Liebrucks?)
(War das bei Liebrucks?)
Das war nicht bei Liebrucks. Das war dann bei diesem Althistoriker.
Gibt’s noch Fragen, oder irgendwie. Weil, sonst ist’s viel einfacher, am Manuskript herum…
Frage 1b): Gibt es Personen, Ideen, Bücher, Zeitschriften, die dich damals besonders beeindruckt haben?
Also, wiederum, also das Wichtigste hab’ ich, das hab’ ich für mich beim Nachdenken festgestellt, ist vorher geschehen. Ich habe, mit dieser Frankfurter Schule, und mit dem Professor Liebrucks den Hegel studiert. Und das hieß, an einer großen Ideologie zu arbeiten, sich herum zu schlagen, an einem Berg zu klettern, und keinen eigenen Standpunkt entwickeln zu können. Und ich hab’ das ja unverrichteter Dinge dann ja auch aufgegeben. Und ich war nachher nie mehr bereit, z.B. eine Kapitalschulung oder Lesung, oder so was zu machen, das hab’ ich vielleicht mal versucht, ein, zwei Stunden, aber – das war’s dann. Ja, also, im Grunde genommen, wollte ich nicht weiter einfach an irgend was blind mehr, ja, an irgend einer Theorie herumarbeiten. Mir war der Marx also mehr so ‘n Stück unheimlich, oder -ungenießbar, um’s mal so auszudrücken.
(Hast du am Gymnasium, als Schüler, Marx kennen gelernt?)
Ja, so ein paar Ansätze. Auch an der Universität, die Frühschriften, und das war für mich, blieb für mich der Zugang, die aktuellen Schriften. Auch nachher, in den Siebzigerjahren, über die Pariser Kommune bin ich noch mal draufgekommen. Aber, sozusagen ein theoretisches Konzept, ein revolutionäres theoretisches Konzept, hat mich nicht mehr so interessiert, das war dann eigentlich ein Teil…ich wollte doch lieber die Welt anders interpretieren…als zu glauben, sie verändern zu können.
Ja, was hammer da noch, in der Ecke. Ja, vielleicht noch zum Personal, ja. gut. Ich steh ganz am Rande, in dieser Zeit, auch dadurch, dass ich ja zwischen Bern und Frankfurt pendle, dann in den Schuldienst gehe, bin ich also…sowieso nicht…ich weiß nicht einmal, bis auf das eine Haus im Westend, wo der Alexander Kluge wohnte, kenn’ ich überhaupt keinen Ort, an dem sich die Truppen irgendwo getroffen haben, oder so. Und ich muss auch sagen, irgendwie, ich hab’, ich habe, zwar, ja, irgendwie hatte ich für mich auch eingeprägt, dass die… dass eigentlich die Universität weiter ihren Gang ging. Als ich dann in die Politologie ging, um rasch ein Examen zu machen, hab’ ich langweilige Leute getroffen, ich hab’ Formalisten getroffen, Ortwin Massing, es lief eigentlich business as usual, ging das weiter. So auch, nachdem mal die sozusagen die ersten großen Impulse, oder die großen Explosionen da gewesen waren. Und insofern, die Folgenlosigkeit, erst einmal, dieser Bewegung, zeigte sich schon gleich an der Uni, das war dann einmal so ein Aufblähen, und ein Knallen, und dann war’s das.
(Wie war das eigentlich in Bern?)
Ja, also, in Bern, das ist ja das, was eigentlich meine Erfahrung ausmacht. Dass es immer überall anders ist. Dass es nicht ‘ne Epoche ist, oder so etwas, sondern in Bern war man ja schon als Deutscher ein ganzes Stück frecher, revolutionärer, lauter, selbstbewusster, auf der anderen Seite hab’ ich in Bern eben auch eine persönliche, kleine Universität erlebt, und behalt das auch in sehr guter Erinnerung, da gab es eben doch so etwas wie einen Jahrgang, ein Seminar, da gab es diese Kontakte und Frankfurt war eben damals schon dieses Monstrum, so eine anonyme, hässliche Universität, und wenn ich überlege, schon die ersten Semester, das in Frankfurt, diese grauenhaften Hörsäle V und VI, die waren so schrecklich, da hätte man ja eigentlich gar nichts drin stattfinden lassen dürfen. Ja, die waren so unmenschlich, wie Toiletten, oder B – Ebenen, oder so was. Das fiel ja eigentlich niemandem auf, aber die…insofern, ich hatte in Bern war eine ganz, war an sich schon ein menschlicheres Klima, für mich, wobei ich natürlich die untergründigen Dinge, ja, die vielleicht die Einheimischen kennen, das war mir natürlich fremd. Wenn ich an deine Dissertation denke, oder die… Aber diese Härte, die war unnötig, die ist ja noch schlimmer geworden.
Als ich dann in den Siebzigerjahren wieder hin ging, war’s ja noch schrecklicher. Aber da hat sich das relativiert .Ja, zu dieser, zu einer sachlichen Öffnung, einer Aufklärung, einer kritischen Generation, die sagt: He, was passiert da in Vietnam, wie ist denn das mit der Atomrüstung, da abgesehen, ja, wie stellen denn die sich das vor, wenn hier die Atombomben fallen, und wir dann, da gab’s einen, von Peter Watkins (?), einen Film,. ja,…Aber es entsprach alles auch weit mehr meinen eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten,…Selbst also die sexuelle Revolution, oder einfach, dass man die Zensur bekämpfte, das mal die Zensur überwunden wird, da „Ich bin neugierig“, das fand ich das war ein highlight, ein Film, der war halt frech, und der hatte Schwierigkeiten, und da ging man hin, und das passte mir viel mehr, als irgendwelche Geschichten, ja… Und insofern habe ich auch mit dem ganzen, als das jetzt, in den vergangenen Wochen da, wieder kam, die Frage, was hat Joschka Fischer gemacht, oder so, im Grunde sind mir die Leute eh fremd gewesen, sowohl die einen Theoretiker, wie die anderen, die da irgendwie geübt haben, und irgend welche Aktionen machten, mit denen hatte ich damals schon nichts zu tun, und mit denen habe ich auch eigentlich keine Sympathie. Alles, was ich inzwischen gelesen habe darüber, ist, das dass damals Machtmenschen waren, die haben damals Machtstrategien gehabt, und die haben sie fortgesetzt, und insofern lässt mich das kalt, es ist also…Die Ideale die waren schon damals, also die Ideale, meinetwegen eines Antiautoritären, eines, sozusagen einer Brüderlichkeit, Abbau der Hierarchien, Konsensprinzip, niemand wird diskriminiert, und alle diese Dinge, die hat man schon, in den, damals im SDS, und dann in den werdenden Kaderparteien, die waren schon, die galten schon gar nicht, und die Leute, die paar Leute, die fanden ja keine Nachfolger, offensichtlich, da die Leute von der Spaßguerilla, sondern, das ist doch eigentlich sehr diese Imitation von Revolution mit Straßenschlachten, oder, ganz abgeschmackt, nachher auf der Zeil, diese Fahrpreisaktionen vom KBW, Anfang der Siebzigerjahre. Jeweils samstags, wenn die einfache Bevölkerung einkaufen ging, wurde das lahm gelegt, und so, das war einfach abgeschmackt,…
(fandest du damals?)
Damals, ja. Vielleicht müssen wir, ich weiß nicht, wie das mit deinen Fragen weiter geht, wie das mit den…
(Ich lass’ es mal laufen, ich denk’, das ist schon o.k., wenn auch hin und her geredet wird…)
Du hast dann mehr Arbeit, wenn alles Mögliche…
(Du hast ja, jetzt wesentliche Ideen genannt, Abbau der Hierarchien, Gerechtigkeit, das hast du nicht gesagt, aber ich denk’ das war so etwa,)…
Ja.
(Wo kam denn das hier her, im Kopf? Irgendwo muss es ja her gekommen sein, diese Ideen? – – – – – Ich hab’ nach Lektüre gefragt…)
Also, da kommen wir mal in die, auch ein Stück in die Fünfzigerjahre. Und, die Fünfzigerjahre, zu denen habe ich auch heute ein ganz schlechtes Verhältnis, die sind in ihrer…obwohl: Es war ein Glasglocke, wir waren auch unendlich behütet, aber wir wurden für dumm gehalten, die ältere Generation hat nicht mit uns gesprochen, ob das nun der Vater war, der Stiefvater, ob das die Mehrheit der Lehrer war, und ich hatte in der Schule ein paar Lehrer, die Außenseiter waren, und die also es gewagt haben, z. B. der Deutschlehrer hat den Heinrich Böll, en Andersch, der Englischlehrer hat den Ambrose Bierce (?), über die Absurdität des Krieges, oder wie der Mensch … oder z. B die Phantasien eines Mannes aus den Südstaaten, der in den Nordstaaten gehängt wird, und dann läuft vor ihm im Moment des Hängens, läuft vor ihm das Leben ab, und so…Also diese psychologische, auch auf die Absurdität der Verhältnisse, auf die wirkliche Erfahrung aber auch zielend, und das .
Oder dann der Pfarrer Winkler, der also die Kriegsdienstverweigerer unterstützt hat, ich war zwar kein Kriegsdienstverweigerer, weil ich mich einfach, ich hab’ mich erlebt, dass ich – in diesem Sinne, wie das damals gefordert wurde, – ich bin kein gewaltfreier Mensch. Ich wusste, hab’ ich dann mit zwanzig mal aufgeschrieben, warum ich keiner sein konnte. ja, ich…Gut, ich würde auch sagen, das war auch richtig, so. Das war in Ordnung, weil…eigentlich bin ich schon Pazifist, dem man einfach sozusagen den Hals rumdrehen kann, ohne dass er sich wehrt, oder so.
Ich bin jemand, der seine Emotionen, ja, der versucht, die zu zivilisieren, und, und,,,ja, der darüber nachdenkt und Schuldbewusstsein hat, der sich zurückhält, oder, ja, aber nicht jemand, der da ……
Da gab es also solche Leute am Rande. Und da gab es einen, ja, dann, aus der Religion, aus dem Deutschunterricht, der Englischlehrer, dann aber auch solche Leute , und das führte dann schon ein bisschen, wie den Franz Hebel, das führte dann natürlich schon ‘n bisschen zu Musil und so…da war man schon auf halbem Wege bei Adorno ..dem „Mann ohne Eigenschaften“, und beim Zuschauen, also nicht beim politischen Eingreifen, oder so,
Nee. Ich hab’ schon als 1957 (1956?), hat mich zu Tränen gerührt, als Kind, da war ich dreizehn,..als die Ungarnaufstand den letzten noch die Rundfunkbotschaft rüberbrachten (mhm), und so.
61 hat mich sehr beeindruckt, obwohl ich dann in meiner Schülerzeitung schrieb: „Man weiß nie, ob nicht vielleicht die Freiheit nur in Inseln da ist, also nicht im Westen, nicht Osten, sondern nur…auf Inseln, und so was.
Und dann schrieb ich in der Schülerzeitung: „Es empfiehlt sich einzuschlafen, bevor die Stromversorgung ausfällt“, was ja schon wieder zeigt, für’s Subjekt, ich würd’ mal so sagen: für’ Individuum ist er vielleicht empfehlenswerter, oder es ist glücklich, wenn es so passiert, und alles weitere schafft nur Probleme.
Ich war damals war ich, gut. In dieser Frühzeit, die Fünfzigerjahre, das war ein Generationenkonflikt, das ging auch mit der Frisur, dass der Friseur einem regelmäßig – ich sagte: bitte nur knapp über die Ohren – und dann hat er wieder die Schermaschine genommen, und hat wieder fünf Zentimeter darüber gemacht, und dann bin ich zwanzig Jahre nicht zum Friseur gegangen, hab mir nachher selber geschnitten, irgendwie. Und als die ersten Jugendlichen wieder damit ankamen, war ich richtig geschockt.
(Mit den kurzen Haaren?)
Mit den kurzen Haaren. Allerdings, habe ich dann nach einigen Jahren Lehrer hab’ ich dann gefunden, ich bin einer der letzten, und die halten mir für einen, so ‘nen Sozialtrottel, ‘nen sentimentalen Kerl, der, bei dem man noch ein bisschen was mit Noten rauskriegen kann, und dann hab’ ich mich auch geschoren, weil ich fand, also so ‘ne Natur, so was bin ich nun auch wieder nicht, für euch, und so hat das halt wieder seinen Kreis gemacht. Dann war ich sehr froh, dass ich so aussah wie mit zwanzig, als ich wieder meinen kurzen Meckischnitt hatte, und…
Aber diese Kleinigkeiten, diese Sachen. Das versteh’ ich auch, das war mir auch an der DDR unerträglich, und das versteh’ ich auch, das, das ist für mich das. ja, gut.
Das seh’ ich auch da, und davon müssen die halt weg kommen.
Frage 2: Und wie sieht dein Urteil über 1968 heute aus?
Also, wenn ich mir vorstelle, dass da ein paar Leute, dass auch der Rudi Dutschke, oder andere Leute, waren, kleinere Leute, die uns da schubsen wollten, und revolutionieren,… dann bin ich heute sicher, die wurden selbst geschubst. Die ganze, das war eigentlich nur, das war, da war eine Energie, die hat ein paar Dinge zertrümmert, die hat ein paar Wege geöffnet, hat ein gewisses Personal in die Bildungsanstalten gebracht, aber letzten Endes sind diese, sind die Entwicklungen, seither, soviel, ja, ich denke, diese Ziele, da ist eine Generation gewesen, die hat aufbegehrt, mehr oder weniger, ja, und dann ist aber letzten Endes, die wirklich einschneidenden Dinge, die sind von außen gekommen. Ob das jetzt die Medien waren, diese Privatmedien, ob das die Kommunikationstechnik generell war, das Fernsehen, die Globalisierung, diese Europäische Union, die gar nicht von den Studenten, in keiner Weise, angedacht war, das alles, die wirklich, das, was unsere Welt total auf den Kopf gestellt hat, das ist nicht aus dieser Bewegung gekommen, und es wär’ auch so gekommen, ja, sondern… Ich denke, das das einfach so ein Stück frei gemacht hat. Allerdings war der Preis hoch. weil es war mindestens ein Jahrzehnt, der Ideologisierung, das Links – Rechts – Schema wurde wieder aufgekocht, das war ja,…man hatte ja angefangen , in den Sechzigerjahren, mit der Zulassung der DKP, das alles nicht mehr so ganz so hart zu sehen, Brandt mit der Ostpolitik, so ein bisschen Wandel durch Annäherung, so, das alles zu zivilisieren, das Verhältnis. So. Und nun kommen dann diese Jugendlichen, greifen sich dann wieder diese Klassenkampflehren, und überlegen, wann sie zum bewaffneten Kampf übergehen wollen, und der Staat wird völlig hysterisch, und sieht auch nur noch Staatsfeinde, und wenn man an die Bildungspolitik denkt, in Hessen geht’s dann wieder um die, ja, auch wieder Gesamtschule oder gegliederte Schule, als Glaubensbekenntnis, oder diese Rahmenrichtlinien, diese Verteufelung, und so Sachen, wobei wirklich die wichtigen Schulprobleme nicht gelöst worden sind. Die Schule ist vemasst, ist primitiv geworden, die Versprechen der Gesamtschule sind nicht eingelöst, und den Preis zahlen wir aber, und es hat unendlich viel Ideologisierung und Unruhe gegeben einen, nicht nur Atomstaat, es hat erst einmal diesen deutschen Herbst, gegeben, also insofern sind wir, ist das teuer bezahlt, eigentlich. Und es wäre – aber das Wichtigste war ja, und das hat sich ja schon gezeigt, Öffnung Deutschlands, Jugend hinaus, die Leute, die reisen, die Reisefreiheit, die Möglichkeiten, von außen Informationen zu bekommen, und – es war ja nicht direkt mit dem Aufbegehren verbunden – dass man diese Verlage (?) plötzlich haben konnte, Ende der Sechziger, ich sehe das, gut, da gab’s so Leute wie Wagenbach, aber die waren ja noch, ja, diese intellektuelle Seite, diese Möglichkeiten, o.k., so in der frühen Zeit, wo auch die Frankfurter Schule ein bisschen stärker war, und so, aber an sich, der studentische Kampf, und diese Geschichte mit der Dogmatisierung, und mit den K – Gruppen, und so, und die Siebzigerjahre, das war schon weit, viel zu viel, und hat nur Schaden angerichtet, seh ich gar nichts Gutes bei.
Frage 3: Willst du etwas darüber sagen, wie sich 1968 auf dein persönliches Leben und auf deine Unterrichtspraxis ausgewirkt hat?
Ich hab’ mal überlegt, was ich dem verdanke. Und da ich finde, dass ich ein guter Lehrer bin, hätte ich auch so meinen Weg gefunden. Es war, hat mir sicher den Eingang in einen bürgerlichen Beruf erleichtert. Ja, wir Referendare haben uns den Rücken frei gehalten. Das heißt, wir haben uns gegenseitig besucht (im Unterricht?),wir haben unsere Noten verbessert, indem wir da ordentlich mitdiskutierten, aber wenn ich das sage, dann gilt das für Frankfurt III, aber nicht für Frankfurt I, auch nicht für II .-
(die Studienseminare?)
die Studienseminare. Im Studienseminar Offenbach hat es zur damaligen Zeit zwei Selbstmorde gegeben. Ja? Ich erlebe, wiederum: Ja, wenn du an der richtigen Stelle warst, dann hast du vielleicht davon profitiert, aber vielleicht hätte ein Mann wie Dingeldey (D.?) oder Otte (O.?) oder so, auch sonst – mal fünf gerade sein lassen, oder ein anderes Konzept ausprobiert, oder so. Also, ich kann daraus nicht eine, ja, so eine breite Sache erkennen. Das wär’ ja wunderbar, und ich erlebe seither nur noch, dass ja, kann man weglassen, das bringt’s nicht.
Also, persönlich, gut, da mag der eine oder andere was verdanken, ich hab’ dem nichts Entscheidendes verdankt. Ich bin ja meinen Weg gegangen, ich hab’ mich dann, Anfang der Siebzigerjahre sehr für China interessiert, aber nie so dogmatisch, dass ich die Geschichte weggelassen hätte, oder so, da hatte ich auch verschiedene Zugänge, und dann hab’ ich nach dieser Enttäuschung dann mit Afrika gearbeitet, (?) ich hab’ mir, ich hab’ immer weiter, auch das, was ich erfuhr, auch erarbeitet und ich hab’ von nirgendwo her Rezepte bezogen.
(China – war eine Enttäuschung? Hab’ ich das richtig verstanden?)
Ja nun doch, es war in gewisser Weise eine Enttäuschung, weil – zunächst – weil ich wusste, ich wusste, wie grausam, wie hart die chinesische Gesellschaft immer gewesen ist. Und die Maoisten hatten versprochen, oder behauptet, dass sie diese Barbarei, die Barbarei eines agrarischen Totalitarismus, das sei die beendet hätten.
Und man musste halt feststellen, sie hatten sie nicht beendet. Und dass es dann noch viel schlimmer war, die Kulturrevolution, als das, was man, mit einem geöffneten Auge dem „Spiegel“ entnommen hatte, was man nie so recht glauben wollten, das kam noch dazu. Aber eigentlich – es war ein Traum, war ein Traum, und da dieser Traum weit genug weg war, exotisch war, der hat vieles erfüllt. Und wenn, z. B. der Mao Tse-tung dann erzählt, dass er als Schüler unter der Bank Romane gelesen hatte, wenn der Unterricht zu langweilig war, ich weiß gar nicht, ob er das konnte, aber das war erfreulich. Oder, es lohnt, zu rebellieren. Oder wenn man kommunistische Kader, Funktionäre, Straßen kehren sah, das war natürlich im Vergleich zu Rußland, zu einem Ostblockland, war das toll. Aber, man wusste darüber ja nichts. Aber dann, bei der Reise, war
(du warst 73 in China?)
73, ja. Wobei natürlich, da waren am störendsten die Mitreisenden, die sich in Fraktionskämpfen zerrissen haben, wo wir nachher eine kollektive Führung hatten, wo der Streit ging, soll die Freundschaftsgesellschaft national oder dezentral gegründet werden, wobei der Marx doch sicher gesagt hätte, viele kleine Gesellschaften , die ein Netz bilden, und die dann sich – wie nennt man das – föderalistisch, nicht, eine Föderation bilden, während die Kaderleute, im Grunde die Stalinisten, ein zentrale Freundschaftsgesellschaft mit Ortsgruppen wollten usw.
Und dann weiß man, wusste man ja bald, dass der KBW, die KPD/ML und so, dass die versuchten, ihre Leute da in die Führung zu bringen.. usw. Und dagegen waren die Chinesen direkt sympathisch, ja, und entspannt Aber es …nach vier Wochen China hatte ich das Gefühl, dass jede Hand, die ich geschüttelt hatte, eine diplomatische Hand gewesen war. – Ich hatte ja auch versucht, z.B. mal auszubrechen, und hatte dann dasselbe Ritual als einzelner erlebt, wie ich es als Gruppe erlebt hatte. Gut, also China, das ließ mich dann auch schon,…das erkaltete so allmählich, und als es nach Mao zu diesen Machtkämpfen kam, da war halt der Lack ab.
Dann hab’ ich mich wieder diesen Afrikanern zugewandt, und sozusagen mehr so in die wahre Exotik, die Exotik einer erdgebundenen und vitalistischen Gesellschaft, und hab’ aber auch wieder studiert, Politik studiert.
(Und Unterrichtspraxis?
Ja, also, wenn ich’s mir überlege, haben auch – unser Englischlehrer hatte, unser Englischlehrer, der uns den Ambrose Bierce (?) mal mitbrachte (?)der hat sich innerhalb kürzester Zeit in jeder Stunde ins Deutsche bringen lassen. Wir haben mit ihm deutsch diskutiert, er hat sich im Grunde einen Dreck um den Rahmenplan gekümmert, ja …Der Deutschlehrer hat einfach Böll und Andersch statt
(kleines Stück fehlt durch den Bandwechsel, aus der Erinnerung: statt Droste -Hülshoff o.ä.)
…und ich kann nur sagen, dass ich immer an der Schule auch Beschützer gefunden hab’ ob das nun an dieser Berufsschule war, wo ein Kollege gefeuert wurde, und fast aus dem Schuldienst geschasst wurde, nicht nur, weil er KPD war, sondern weil er eigentlich, weil er aneckte, in seiner Art,
(Weißt du noch das Jahr?)
das war 1974, aber ansonsten erlebte ich eher, dass die KBW – Leute, und so, dass die dann eher nach oben befördert wurden, wenn sie es erst mal geschafft hatten, per Arbeitsgericht oder Verwaltungsgericht sich zu wehren. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat diese ..wovon ich ausgegangen bin, das war der Ansatz: Team-Teaching. Das war Reflektieren, das war: neue Versuche, Versuche machen. Und das war eine ganz kurze Phase. Und sehr bald fing diese sogenannte Professionalisierung an, die hat sich durchgesetzt, und von der Freiheit ist nicht mehr viel, ist schon seit langem nicht mehr viel zu spüren. Beim Referendariat, und in der Ausbildung. Also auch da würde ich sagen, die Studenten, und dann vor allem, wenn ich an meine Kollegen denke, ist ein ganz großer Teil ganz stark im Schema, was da vorgeschrieben wird, das müssen wir auch machen. Und selbst da, wo überhaupt kein Risiko besteht, bleibt man bei der Vorschrift.
(Auch die sogenannten Achtundsechziger?)
Bei den sogenannten Achtundsechzigern würd’ ich halt sagen, da sind dann mehr so sentimentale Themen dran, ja, also so Themen, die man – die möchten – die machen z.B. keine vernünftige Wirtschaftskunde, sondern da wird immer mal die Geschichte der Gewerkschaften – also immer wieder, oder, wenn es um internationale Beziehungen geht, dann geht’s halt immer um Entwicklungshilfe, und die Ausbeutung der Entwicklungsländer, aber, mir fehlt da einfach das, was zu einem geraden Blick dazu gehört. Zum Beispiel auch, die Selbstverantwortung der Eliten dort, oder die grundsätzlich ökonomische Grundsätze. Oder die Errungenschaften der ökonomischen Theorie, ja, z.B. so etwas wie, wie soll man sagen, also, dass der freie Markt erst mal was Gutes ist, wenn man ihn im Griff, wenn man ihn, also, das Äußerste verhindert, und dass erst mal Planung schief geht, oder z.B. alles, was, …
z.B. ein Begriff vom sinkenden Grenznutzen, also, dass das erste Stück Schokolade gut schmeckt, und dass es dann immer weniger schmeckt, je mehr man davon haben kann, aber wenn er wieder rar wird, oder es wird teurer, oder es wird auf andere Weise plötzlich attraktiver, dann wollen die Leute das wieder haben, und so. Und diese ganzen, einfach viele Mechanismen, die es in der Wirtschaft gibt, auch im Leben – sonst gibt – so etwas auch zu sehen, und zu studieren, manchmal kommt ’n linker Schüler : „Wieso machen Sie so ‘was, das ist doch irgendwie zynisch, das Sie solche Mechanismen untersuchen“, – wieso ist das Zynisch? Weil, die Tatsache ist doch, dass die Arbeitskraft so auf den Markt gestellt wird. Und zwar, wenn es in Deutschland begrenzter ist, ist es doch in allen möglichen anderen Ländern doch so. Die Hemden, und die Hosen, und alles, was wir anhaben, stammt ja doch aus dieser mehr oder weniger Sklavenarbeit, und Proletarierarbeit., aus der Ausbeutung und so. Wir sind ja umgeben davon … wir leben auch als Volkswirtschaft von den härtesten ökonomischen Mechanismen.
Als Achtundsechziger hat man, als echter Achtundsechziger, scheint’s ein wenig Probleme, sich mit diesen Fragen so zu beschäftigen. Und nicht zu sagen, ach, diese Liberalen, liberal ist schlecht, ja. Und dann eben, es war doch immer, …irgend etwas Gutes ist dran, an der anderen Seite. Ja, z. B. mal über China oder Sowjetunion so zu reden, was es ist, für die, die’s erleben müssen, und nicht, wie man’s gerne hätte.
Ich hab’ lange gehofft, eigentlich, sie hätten nicht gefoltert, unter Stalin, sie hätten die Leute anders, irgendwie, mürbe gekriegt, nein, sie haben sie auch gefoltert, und zwar in der ganz banalen Weise, und wir haben seit zwanzig Jahren die Chance, uns so allseitig zu informieren, dass daraus auch ein, ja, daraus müssen wir Lehren ziehen, aus allem was wir erfahren, und die Achtundsechziger, erleb’ ich so, dass sie doch ein bisschen auf einem Auge doch kurzsichtiger sind als auf dem anderen. Und das finde ich nicht gut, weil, es nutzt ja nichts. Nicht mal für den Frieden, weil für den Frieden müssen ja beide Seiten ja so Ihres (?) bekommen. ich denk’ an die Heimatvertriebenen. Das ist ein ganz hartes Thema. Also jede Erinnerung daran, bittschön, uns ist was passiert, damals, und zwar wahllos, ob die nun Nazis gewesen waren, ob die irgendeine Verantwortung dafür … wie die Juden, ob sie jetzt Verantwortung hatten oder nicht, das hieß schon Revanchismus usw.
Und – nur nicht drüber reden. und ich weiß noch, wie im „Spiegel“, dann gibt`s dann immer solche Nummern, 78, gibt’s mal über diese Todesmärsche, zum ersten Mal wird dann da berichtet – wow – natürlich wurde auch über die Wehrmachtsjustiz, wurde auch mal zuerst berichtet, und jedem gingen die Augen über: „Was, 20 000 deutsche Soldaten sind hingerichtet worden von ihrer Armeeführung, während des Zeiten Weltkriegs,…“ und so Sachen. Aber, dass es einfach so Tabus gibt, und diese Tabuthemen, das war ein Impuls, übrigens, ein ganz wichtiger Impuls, mal aufzubrechen, sagen, wir dürfen Tabus, …wir müssen ran an die Tabus, das galt vielleicht für’s, ja für 65, 66 , 67, gegen die Zensur, Tabus, und so weiter, Enzensberger: Schau mal, was schreibt die FAZ über’n Vietnamkrieg, oder, beziehungsweise, was schreibt sie nicht, das war toll, dieser Mechanismus, er hat doch mal einen Artikel geschrieben, der nur aus den, von der FAZ unterdrückten, aber in amerikanischen und englischen großen Zeitungen gedruckten Sachen bestanden. (hat). Und das war so was von einseitig, und ‘s war genau die fehlende andere Seite, aber, so, in dem Anfang.
Frage 3b: Noch zu den Auswirkungen der Ideen von 68: auch der Umgang mit den Schülern, es geht auch darum: Ist der Umgang zwischen Lehrern und Schülern verändert worden?
Sicher. Also, wobei ich denke, ja .. man kann sogar so sagen: dass die vaterlose Generation zum erstenmal Vater wurde, dass man Lehrer wurde, und da wir schon mit schwachen Autoritäten zu tun hatten, z. B. nicht mehr auswendig lernen, z.B. im Konfirmationsunterricht unser Buch unterm Tisch hatten, und dann so taten, als hätten wir’s vorgesagt, und so, dass man nicht mehr singen durfte, dass die das nicht durchsetzten, zum Teil, oder auch nicht wollten und so, ,ja, und diese Generation hat nun erst mal gemeint, sie muss jetzt die Autoritäten ganz abbauen. Und was ich sehr klar, rasch erfahren habe, war gleich, als ich mit meinem Sohn, da diese Kinderbetreuer, diese Ideologen, die zum Beispiel
Angst haben, dass ein Kind ein Kapitalist wird, weil es nämlich schon früh sein Spielzeug nicht teilen möchte, und das zweite war, was ich sehr böse aufgefasst hatte, weil ich ein sehr freiheitlicher Mensch bin, bockig, dickköpfig, war, dass die Peer-group einfach an die Stelle trat. Dass jetzt einfach die Autorität, die die Eltern aufgeben, einfach von den Gleichaltrigen, mindestens so dumm, übernommen wird, und dazu kommt dann noch, dass wieder dann, vielleicht ‘ne Reaktion, fällt mir jetzt gerade ein, möglicherweise, dass dann wieder die Kinder, die nicht mehr in der Hand ihre Freunde sein wollen, und doch alle Spielzeuge selber haben, damit sie von den anderen doch nicht so kontrolliert werden, was ich erst mal nicht verstand, dass jetzt jeder immer alles haben will, weil es doch gut ist, wenn man austauscht, weil es doch ‘ne Gesellschaft zusammenhält, und wir haben jetzt, und das hat sich fortgesetzt, und das war nicht mehr zu stoppen, das ist natürlich erschreckend, jetzt, nach fast dreißig Jahren, Unterrichtszeit, Lehrzeit, es sind keine Grenzen mehr gesetzt worden, also, seither gibt’s keine Grenzen mehr, sondern, was immer damals noch, vor dreißig Jahren gestanden hat, oder vor fünfundzwanzig oder zwanzig Jahren, das sind immer weniger Grenzen, und ich erlebe jetzt nur noch eigentlich Erwachsene, die ihren Kindern, es sei denn in irgendwelchem sektiererischem Rahmen, ihren Kindern keine Grenzen setzen, wo die Kinder alles durchsetzen, wo sie wegen allem gefragt werden, wo sie…über alles diskutieren, und wo sie auch unanständig sind, und, und …komischerweise aber auf die geringsten, auch die Größeren, sich asozial verhalten, aber auf den geringsten Hinweis, „So geht das nicht, das machst du jetzt anders“, klein beigeben und doch wieder – funktionieren. Und auch eben dann solche Sachen wollen, die wir aus amerikanischen Schulen kriegen, da, wie ’ne Schulfahne, vielleicht mal ‘ne Schulhymne, und wir haben ein Jahrbuch der Schule, und jetzt gibt es also Leistungsbüchlein, wo man Extraleistungen reinbringen kann, und, alles Mögliche, für Schule, Abitur – T-Shirt, Logo, Party, und so ein ganzes soziales Ritual, um dies Abitur, das ja in sich so entwertet worden ist, in den ganzen Jahren, also dass eine, im Grunde genommen wieder versucht wird, sowohl die Übergangsriten als auch Formen wieder zu bekommen, wenn unsere Schule ein besonderes, ja, ein bestimmtes Mitglied der Schulleitung jetzt anfängt „Verträge“ mit den Schülern zu schließen, Verhaltensverträge, oder in den Klassenräumen steht, das ist bald schon wie in einem totalitären Land: „Wir mache unsere Aufgaben regelmäßig, wir stören nicht den Unterricht, damit wir andere Schüler nicht am Lernen stören, und so,“ da geht’ mir’s Grausen…
(welches Schuljahr?)
Ja, das geht mit der Fünften an, ja, das geht dann bis in die Achte, und dann reißen sie das Ding von der Wand, ja.. also wo auf ganz naive, aber doch eben sehr blöde Weise, auch gefährliche Weise, wo ganz autoritäre, oder konventionelle Formen wieder reinkommen.
(Ich meinte auch – Unterrichtsmethoden, Stichwort „Selbsttätigkeit“)
Ha, (lacht), naja, gut. da kann man nur eins, ich muss lachen, weil, die Gymnasiallehrer haben damals keine didaktische Ausbildung erhalten in Deutschland, also das war ein Klacks. Und wenn jetzt nun permanent der Stoffdruck wächst, das Alter wächst, die Störungen des Unterrichts wachsen, da werden die allermeisten Leute, also zu 99 % gehen die jetzt zu Frontalunterricht zurück, sind jetzt zurück gekehrt. Ich selber mache jetzt immer wieder… aber das ist ein Luxus, stört direkt das System, wenn ich zwei, drei Wochen keinen regulären Unterricht mache, sondern die Schüler eines Kurses betreue bei selbständigen Arbeiten, ist das die absolute, ist das die Ausnahme an der Schule, das machen zwei Leute, und es ist also – fast gegen die Logik
(Das machen zwei von den Lehrern?)
Zwei von den Lehrern.
(Wie ist es gegen die Logik?)
Ja, gegen die Logik des Systems, ja permanent diese Arbeiten zu schreiben, weil ja so viele Vorschriften, unsere Schule wird ja durch mehr Vorschriften, vielleicht doppelt oder dreimal so viele Vorschriften gesteuert, wie vor dreißig Jahren. Ja, und auch das ist kein Ergebnis der Studentenbewegung, von 68, sondern ist einfach ein ausgereizter Bürokratismus, der sich modernisiert hat, der durch Gerichtsurteile, durch diese neue Moral, dass man eben auch alles einklagen kann, und dann die Schulen oder die Institutionen sich dagegen wehren, indem sie formale Sicherungen einbauen, die fomalen Sicherungen stören wieder den Unterricht, die Arbeit: „Nicht mehr als drei Arbeiten in einer Woche, muss vorangekündigt werden, muss eine Mindestlänge haben“, und, und, und, was der Sachen mehr sind. Das alles sind Korsette, sind dann ein Korsett, und man kann, als Außenseiter, kann man immer noch – in Hessen – das machen, vielleicht, weil ein paar 68er in der Schulverwaltung hoch gekommen sind, die alles nicht so grade nehmen.
Ich hab’ immer das Gefühl, dass Tolle ist, dass in Hessen zwar ein Haufen Vorschriften gemacht werden, aber diese Vorschriften nicht kontrolliert werden. Und damit ist es ja dann auch wieder… Also, es wird eigentlich nicht kontrolliert. – Noch nicht.
(Noch mal: Umgang mit den Schülern? Chancengerechtigkeit, Noten?)
Die Noten sind wieder so schlecht wie – wie immer, und, ich denke, bei so vielen Schülern und bei dem… erst mal: die Schule lässt, hat ihren Stellenwert verloren. im Leben der Schüler. Es wird früher gejobbt. Es wird früher ausgezogen. Es ist früher Privatleben da, Paarbindungen und so. Dann eben ein Dreifaches an Schülern, die da Abitur machen wollen. Die Angebote außerhalb der Schule sind sehr viel größer, während der Woche gehen die auf Partys, sind nicht ausgeschlafen am Morgen und so weiter. Das heißt, die Schule… wie sollen dann die Noten sein, woran kann ich das messen? Ich kann sagen, da ich immer ein guter Schüler war, ist für mich ‘ne Vier ‘ne schlechte Note, und da ich ein weiches Fach habe, wo man immer noch, wenn man wiederholt, was man gelesen hat, ja schon ausreichend ist, kommen die Leute bei mir über die Runden. Aber, aber, so…am, es sind immer…
Frage 4: Jetzt geht’s noch mal über Ansichten zum Fach Geschichte. Hat da 1968 deine Ansichten verändert? Was Geschichte sein soll?
Ja. Da ist natürlich der Geschichtsunterricht der traditionelle Unterricht, politische, kriegerische, und überhaupt, nationale Geschichte, das hat man erst mal verlassen, obwohl natürlich nicht in den Universitätsseminaren, ich würde auch sagen, Frankfurter Schule, Walter Benjamin, diese geschichtsphilosophischen Fragmente haben mich sehr bestimmt, bis heute noch, man muss so…“die Geschichte blitzt auf wie eine Warnung, in einem kritischen Moment,“ und, dass man die Geschichte immer wieder retten muss vor dem Verschüttetwerden, und dass die Geschichte den Siegern gehört, und man sie in jeder Generation den Siegern wieder abringen muss, ja, um… nicht die ewig Unterdrückten, sondern immer um diejenigen, die, ja, deren Geschichte halt verwischt wird. Also nicht unbedingt im marxistischen Sinne, aber in einem Sinne, dass die Geschichte nicht etwas Sicheres ist. Damit ist man natürlich bei Benjamin, und nicht grad beim normalen Historiker. Und – dann würd’ ich sagen, mit der Horizonterweiterung, Einbeziehung des Vietnamkriegs, Einbeziehung der USA, mit dem Ost – West – Konflikt den Entwicklungen im Ostblock. und so, da ist natürlich eine…kann sich Geschichte öffnen. Für mich, ich habe das in diesem Sinne immer… ich hab’ ja, als Kind wollte ich ja Völkerkundler werden, und wahrscheinlich eigentlich hier abhauen, na, und ich weiß, dass der große Teil meiner Kollegen deutsche Geschichte ganz im Zentrum sieht, und, was vielleicht dann auch so zum Teil eben, vielleicht „68“ ist, dass man sich mit dem Dritten Reich sehr ausführlich beschäftigt. Aber auch wieder auf eine sehr ängstliche Weise, und ich fand einfach: „es ist – nicht ängstlich sein! Wir Altachtundsechziger sind sicher nicht ängstlich. (Gelächter)
(Würdest du dich denn dazu zählen, jetzt sagst du plötzlich „wir Altachtundsechziger“?)
Ich vertrete also so die – ich würd’ sagen, wenn es so etwas gibt – die Grundwerte – ja, vertrete ich diese Grundwerte, nur dass diese Grundwerte so wenig – ja, z.B. auch anarchistische Grundwerte, ,ja, auch die Grundwerte von Marx, was er sagte, entweder Barbarei oder dieser Humanismus, dass man arbeiten soll, dass man auch selbst darüber bestimmen… dass man gefragt wird, und dass man sozial ist, also, all diese Dinge, aber.. die sind ja, die sind ja nirgendwo an die Macht gekommen, diese Grundsätze. Ich hab’ mir überlegt, warum bin ich nicht Anarchist geworden, na, weil ich die auch nur als „Loser“ kenne, weil das auch nur da ‘ne Sekte ist, die die heiligen Schriften studiert, und es ist ja dann, wie wenn man hundert Jahre nach Jesu’ Tod dann da sitzt und versucht, diese Botschaft wieder weiter zu bringen, ja, dazu bin ich, nee, das…
(Kann ja doch geschichtlich noch erfolgreich werden?) Hundert Jahre nach Jesu’ Tod?)
Aber wie? Nur in der Gegenrichtung, genau, genau in der Gegenrichtung! Irgendwann mal muss man ja begreifen, was die aus dem Marx ge… was der Lenin aus dem Marx gemacht hat, ja. Der Marx, der noch die Pariser Kommune nach ihrer Niederschlagung .ja, gefeiert hat, gesagt, ja, die haben aber gezeigt, so müsste es eigentlich aussehen, und die waren schon in Ordnung, und so, und nachher kamen die Bolschwiken und schrien dann 1921, da, beim Jubiläum: „Nur Fehler, also es hat was gefehlt, es hat die KP gefehlt!“ – Genau. – Also, wenn die KP da gewesen wäre, dann wär’ alles weg gewesen, was der Marx an der Pariser Kommune gut gefunden hat. (Gelächter)
(Und was hat er gut gefunden?)
Das war die Selbstorganisation der produzierenden und sozial tätigen Leute ,ja, die sich auch kontrollieren – natürlich steckt da so was wie „neighbourhood watch“ drin, ja, dass die Nachbarn aufeinander gucken, und ich hab’ grade heute, – gestern hab’ ich, also – Solschenyzin – eine Schrift, wo er – wie heißen diese Kantone, Innerschweizer Kantone,
(die Urschweiz)
da war der 1975, bei der Wahl des neuen Landammanns,
(auf der Landsgemeinde)
an der Landsgemeinde: Und dieser Mann, der ja sehr aristokratisch ist, auch, und findet, dass vernünftige Leute die Führung haben müssen, der war begeistert, wie ein Mann, wie diese Leute ihren Willen bekundet haben. Obwohl er – völlig – mit Distanz das gesehen hat: Sie haben die zehn Ausländer, die eingemeindet (eingebürgert?) werden sollten, haben sie abgelehnt. Steuererhöhungen – haben sie abgelehnt. Die Erhöhung der Sozialhilfe haben sie auch abgelehnt. Und dazu hat er sich inhaltlich gar nicht geäußert, hat auch nicht drüber gejammert, sondern die Kraft, (Mhm), die von den Leuten ausgeht, dass die Leute da stehen, erst wählen sie den, und dann – kommt der, und will bestimmte Sachen, und da sagen sie: „Nee. Das wollen wir nicht“. Ich hab’ dann auch ausführlich mit den Schülern drüber diskutiert, was ist denn eigentlich gut, wenn – ich hab’ mich ja dran erinnert, Kampf ums Frauenstimmrecht, und so (mhm) und das einzig Gute ist doch nur, dass im Grunde dann so eine Öffentlichkeit (sich) mit dem Problem immer wieder beschäftigt, und dann letzten Endes die Chance zu ‘nem Lernprozess hat. Und nicht, wie bei uns, Todesstrafe wird von sechzig Personen abgeschafft, und die anderen achtzig Millionen die können dann. naja, so wie in Deutschland, wo alle Fortschritte gratis gekommen sind, und entsprechend halt auch an der Oberfläche sind. Und, ja in diesem Sinne, also der Geist der Aufklärung. Und die Bereitschaft , was zu tun, und inzwischen bin ich bei Chomsky, und und hab’ jetzt , Kursbuch von 1967,
(hm, mhm)
wieder entdeckt, über die Verantwortung der Intellektuellen. Da sitz’ ich ganz aktuell da drauf.
(Das ist 67?)
Das ist 67. Das ist Kursbuch.
(Hast du das Kursbuch damals gelesen?)
Ich hab’ das damals gelesen, aber es hat mich nicht so überzeugt, weil damals waren dann auch wieder die Inhalte wichtig. ja, zum Beispiel Vietnam, und so. Und es war auch nichts Besonderes, wie der dann enthüllt hat, wie die gelogen haben, und so, das war wieder dieser unmittelbare Streit. Aber jetzt les’ ich auch Anderes von ihm und krieg’ auch was mit, und erfahre, dass das eine bestimmte Haltung ist, und dass diese Haltung gut ist. Und die – will ich weiter tradieren. Aber ich weiß nicht, dass das irgendwie, ja…Er müsste eigentlich eine hohe Position haben.
(der Chomsky?)
Der Chomsky.
Frage 5: Immer noch zum Geschichtsunterricht: Wenn du das Thema 1968 Im Unterricht behandeln Geschichte würdest, welche Inhalte müssten nach deiner Ansicht vermittelt werden?
Also, erst mal habe ich’s lange nicht behandelt, ich kam nicht dazu, obwohl wir ja jetzt schon so viel frühere Geschichte abgegrenzt hatten. Und dann hab’ ich mich mal geschämt, und hab’ gedacht, ich hab’s meinen Geschichtslehrern vorgeworfen, dass sie die letzten vierzig Jahre vergessen hatten, und jetzt machst du schon dasselbe…Ja, und jetzt lass’ mich mal einen Moment überlegen…
Also, unter den ganz vielen Möglichkeiten, dies da gibt, habe ich jetzt erst einmal die Schwabinger Krawalle von 1962, die mir völlig unbekannt waren, nicht wahrgenommen hatte, und damit auch die Art und Weise, wie die Staatsmacht wahrgenommen wurde von den Leuten, das war ein Film, ich bring’ überhaupt gerne Filme, wo man noch ein bisschen was sieht. Dann, geht es natürlich um, versuche ich, die hohe Sensibilität, die man den allerersten, diesen Vietnaminformationen, Bildern, noch entgegen brachte, z.B. diese Mädchen, die da nach der Napalmbombardierung ( ja), hab’ ich auch das als Thema einbezogen.
Dann reden wir über die Medien, die Schüler wissen da schon einiges, ich mach das ja in der Oberstufe…Dann habe ich aber auch über die Dogmatisierung, da gab’s jetzt einen Artikel über den KBW, wie der noch zu einer Zeit die Leute abgezockt hat, als in China schon der Mao tot und die ganze Sache auf dem Rückweg war, und habe dann auch diese Dogmatisierung und so weiter, was den Schülern übrigens schwer zu vermitteln ist, dass Leute bereit sind, sich so zu unterwerfen…und ich wußte aber, habe ja eigentlich auch nie geahnt, warum man nicht in den KBW aufgenommen hat, ich hab’ ja keinen Bürgen gefunden (Anarchist, Gelächter), aber ich begreife das natürlich, die Zeugen Jehovas würden mich ja auch nicht nehmen, aber diese Dinge, diese Seite, dass man dann auch sieht, wo die, wo der Irrweg abgeht. Auch die Frage des …Ich habe auch schon dies und Texte der RAF, wo einfach auch schon von der Sprache her, oder die Entwicklung der Ulrike Meinhof, und so, das sind alles so Themen. Aber es ist eigentlich ein ganz weites Feld.
Ich würde auch immer sagen, man soll sich mal dann diese Siebzigerjahre, die auch schrecklich waren, wo unsere Umgebung, Griechenland, die Diktatur, wo in Chile die Diktatur und so weiter, noch mal so’ ne schwache Hoffnung, mit Portugal, aber auch da ja kaum irgendeine Chance, das war ja auch , so mal romantische Momente, hab’ ich mich auch nur noch begrenzt drauf eingelassen, und als dann Nicaragua kam, war ich eigentlich schon ganz cool, weil ich schon wieder wusste, da läuft…das geht wieder seinen Gang, diese ganze Geschichte…
(Jetzt hast du dich doch auf einen revolutionären Ansatz…
Ja! – Revolution. Hast du noch , hast du noch Platz, … Also ich hab’ die Idee der Revolution, die hab’ ich wirklich bis zum Rest wegarbeiten müssen. Das heißt, diese Romantik, ich hab’ ja noch mal studiert (Französisch), die Pariser Kommune noch mal studiert. Und es hat also sehr sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass Revolutionen, wenn sie entstehen, ist es ein Zeichen, ist es schon schlimm, dass sie nichts Gutes bringen, was nicht auch vernünftigere herrschende Klassen durch Reformen bringen würden, oder, ja, sie wecken zwar gewaltige Träume, die Träume, die sind ja immer das, auch die 1789, wenn man sich anschaut, was die den Franzosen gebracht hat, diese Revolution, dann kann man nur sagen, sie waren vorher rückständig, und sie waren nachher rückständig, und Napoleon hat sie dann noch mal in Kriege herein gezogen, und ihnen ein Gefühl von Großmacht gegeben, aber dann blieben sie,…die Industrialisierung kam nicht voran, die Republik blieb – ziemlich roh, und, es blieb ein Traum zurück, ein Traum nämlich, was das ganze 19. Jahrhundert in Frankreich vergiftet hat. Nie wieder 1792/93! Das war so. Auch als diese Leute 1871, recht harmlose Leute, zivile Leute, auftraten, die haben nur noch Jakobiner gesehen, und, 48 haben sie auch wieder – immer Panik hat das ausgelöst. Und ich hab’ insofern auch die Russische Revolution, auch, wird man ja dann auch, wie soll man sagen, ernüchtert, wenn man weiß, dass die Bolschewiken da einfach ‘n Putsch gemacht haben, dass sie, ja wie die überhaupt erst mal sich an die Macht geputscht hatten, während eines Rätekongresses, der gerade eröffnet werden sollte, wie sie sofort – die vielen, die man dann gar nicht kennt, diese Anarchisten, und Bauernparteiler, und Liberale, und Sozialdemokraten und so, was es da alles gab, und die einfach wegrasiert werden, und da kann man nur sagen, gut, irgendwann ist der Lack ab, und man weiß, dass ‘ne Revolution einfach, es ist manchmal ‘ne Not, es ist ein Unglück. Und das Unglück hätte man vermeiden können. Wenn’s aber so weit kommt, dann muss es geschehen, ist nicht mehr aufzuhalten. Aber, was dann passiert, ist also -ja, – wenn ein sehr ziviles Volk, wie die Portuguiesen, das macht, das ist aber die Ausnahmen, da fließt dann kaum Blut usw. Das war ein Wunder, sollte man noch mal studieren, und ich warte schon auf’s …Material bereit legen (?) für den nächsten… aber sonst.
Frage 6 Ich wollte mit meiner Frage darauf hinaus, ob nach deiner Ansicht die Ideen von 1968, ganz allgemein gesehen, sich durchgesetzt haben, oder nicht.
Ich würd’ sagen, generell nicht, generell nicht. Ja, wohl, was soll man sagen? Kann man sagen: Ja, kann man sagen : Nein. Wenn ich hier, mitten in dieser Konsumgesellschaft, lebe, und es ist ein Imperialismus, und es herrscht, also der Zynismus, ich würd’ sagen, wir sind vom 20. Jahrhundert gleich wieder ins 18. Jahrhundert rein. Wir haben eine zynische, eine konventionelle Welt, ängstliche Leute, nur nicht die falschen Schuhe kaufen, und…und immer an jedem richtigen Event dabei sein, nicht verpassen, und so, weiter anpassen, da muss ich sagen: Was hat sich da durchgesetzt? In der Praxis nicht. würd’ ich sagen. Sondern, es haben sich ein paar Paradigmen gewechselt, haben sich geändert, in einigen Bereichen, im Freizeitbereich hat sich , was weiß ich, die sexuelle Revolution hat sich in den Freizeitbereich geflüchtet, die Frauen haben ihre Position – erkämpft – würd’ ich schon sagen, also sie, aber sie haben einfach, sie haben vieles erduldet und sind vorangeschritten, und haben politisch – haben die Gleichberechtigung ein ganzes Stück weiter gebracht als vor dreißig Jahren. kann man wohl sagen, oder?
(Anmerkung der Interviewerin: da spiegelt sich meine sehr skeptische Miene in der Entwicklung der Rede!)
Aber, das ist doch, was heißt denn da… das waren Gerichtsurteile, das waren schlechte Erfahrungen, die die Menschen machen, das darf man nicht vergessen, wenn diese Leute, die jungen Frauen von 68, wenn sie dreißig Jahre älter sind, haben sie dreißig Jahre Erfahrung, und lassen, in dieser ganzen Zeit, man lässt sich weniger bieten, man hat Erfolgserlebnisse und kämpft, man organisiert sich, man.. ich weiß es auch nicht, und wenn ich jetzt die Mädchen anschau’, die ich da im Unterricht habe, in großer Zahl, die haben mit der Frauenbewegung nichts am Hut, die profitieren davon, aber, wenn ich die jetzt anschau’, wenn ich deren Denken, da frag’ ich mich: Ja, was hat, haben sich jetzt die Ideen von 68 der Frauen, haben die sich realisiert oder nicht? Da kann man sagen: Ja, also so haben die 68er gewollt, dass sie sind, aber sie hätten doch gewünscht, dass sie mehr historisches Bewusstsein haben, und dass sie mehr soziales Bewusstsein haben, usw.
Also, ich finde immer halbe – halbe, wenn du irgend was findest, wirst du immer auch eine ganz wichtige Seite von 68 nicht finden, in dieser …
Nachträgliche Erinnerung
Wie bei allen Interviews, ergaben sich auch hier nachträgliche Informationen, nachdem das Band nicht mehr lief.
Zum Tod von Benno Ohnesorg:
Er hat den Film Roman Brodmanns über den „Staatsbesuch“dreimal gesehen, bei jedem Sehen war es weniger Empörung und gab mehr kritische Fragen. Wurde da nicht ein Buhmann aufgebaut, gab es nicht andere schlimme Diktatoren außer dem Schah?
Was war eigentlich mit den sogenannten „Prügelpersern“?
Warum hörte man nichts über Verletzungen?
Haben die Latten niemanden getroffen?
Damals war die Empörung möglicherweise sogar ausländerfeindlich: Wie kamen Ausländer dazu, hier in Deutschland „unsere Leute“ zu schlagen?
Informationen über die Diktatur in Persien , SAVAk etc. hatte man schon vorher, z.B von Taheri (??)
Die Fotos des eigenen Unterrichtsraums
Der Autor des Interviews zeigte mit im Anschluss an das Interview Fotos seines eigenen Fachraums, auf denen der Unterrichtsraum sehr behaglich, privat, aussah, fast bemerkte man die Schüler-Arbeitstische nicht. Eine wohnliche Couch, mit einer Decke , weiß-schwarz gestreift, ein Paradies von wuchernden Grünpflanzen, die tausend (eigenen, privaten?) Bücher sah man auf den Fotos nicht, aber das Ganze wirkte fast wie ein Kinderladen, wie „Kuschelpädagogik“, mit dem diffamierenden Wort der CDU, ich hatte den Eindruck, dass es ein angenehmer Ort zum Lernen sei, der den Schülern viel Raum ließe – im Widerspruch zu manchem im Interview Gesagtem.