UdSSR als Freakshow in der Schirn fĂŒr sieben Euro wie auf dem Rummelplatz.
Die Eingangsinszenierung ist genial, sie erschlÀgt: Roter Teppich. Gruftig, sage ich spontan. Und das war noch vor kurzem der Raum von Matisses farbigem BlÀtter-Altar!
Eins folgt dem Anderen im Schirn-Karussell. Die Besucher gehen stumm herum, wenn sie nicht eine vorgestanzte Nische zum Absitzen nutzen.Â
Kabakows Tonkabine beim Ausgang rĂŒhrt mich, sie vertritt die in der Schau systematisch unterschlagene menschliche Ebene, die sich ĂŒber den Ton vermittelt, die Ebene der GefĂŒhle und menschlichen BedĂŒrfnisse, wie auch den Hintergrund von Angst im Stalinismus, aber schon Michael scheint darin die Menschlichkeit nicht mehr zu spĂŒren. Sonst aber findet eine triumphierende Entwertung der Russen, ihre zweite Erniedrigung in unseren Augen keine Korrektur.
Ich phantasiere eine entsprechende Ausstellung ĂŒber das Dritte Reich: ohne die uns allen bekannten HintergrĂŒnde, mit den zweitklassigen Kitschmalern, Deutschen als Freaks…. ein Sturm der EntrĂŒstung und âRichtigstellungenâvon allen Seiten wĂŒrde wohl losgehen.
Die Polen waren in den 80ern peinlich berĂŒhrt vor ihrer ersten Stalinismus-Ausstellung im Gefolge vom sowjetischen Glasnost. Doch ihr Interesse, soweit ich es mitbekam, fokussierte sich auf die Frage: âWer war dabei?â Und das von Leuten, die immer noch (1987) selber âdabeiâ waren, ohne sich viel Gedanken dazu zu machen.
In Franffurt kann so etwas nur Exotismus sein, historischer Voyeurismus mit den bekannten KrokodilstrĂ€nen ĂŒber immer neue âso noch nicht wahrgenommeneâ Opfer. Das signalisiert die Schirn. – Nichts mehr von einer SelbstaufklĂ€rung des Publikums, wie sie Kant erhoffte.
 Nur eine dĂŒnnes PrĂ€parat wird unter ein dummes Mikroskop gelegt. Im drögen Katalog stehen âEssaysâ. Filme spielen ohne Ton. Es gibt Vertow neben unsĂ€glichen Vergottungen und schwachsinnigen Abbildern Stalins. Michael fragt, warum denn Vertovs Film âDer Kameramannâ als âformalistischâ unterdrĂŒckt worden sei, ich antworte: Er verfĂ€lschte nicht. Dabei werben in seinem Film Arbeiterinnen, die einfach gut drauf sind, raffinierter fĂŒr die SU als die Ălschinken nebenan. Und – eine weitere SĂŒnde – der Beobachter ist der âHeldâ des Films.
Bitte ein Spotlight auf die WiderstĂ€ndigkeit von Malern in der Abbildung unpathetischer Badefreuden und von Fettpolstern anstelle marmorner Muskulatur! Ein âFotorealistâ – der mit den vielen SS-Typen im Sonnenschein – hatte SpaĂ am Detail, schon wurde er kritisiert. Erst der trĂŒbe Pinsel, der Licht und Schatten ignorierte, der Holz und Haut und Teppich zu Schlieren verrĂŒhrte, erschien dem Regime sentimental genug, ein kastrierter Impressionismus war erwĂŒnscht, wo Stalin wie ein Hase vor Gorkis Sterben hockte.
Was wird herĂŒberkommen ohne die unterlassene AufklĂ€rung? Dass die Russen so ‚uncool‘ waren, dass derartige Badehosen âunmöglichâ waren, dass der Stalinismus eine geschmacklose Angelegenheit war.
Wie dröge die Texte! Auch der Katalog. Schweigen ĂŒber den alltĂ€glichen Terror und die Angst. UnsĂ€glicher Kitsch – Michael sucht das Positive, wĂŒrde „fĂŒrs Sofa kaufen“. Er relativiert wo er kann: âWĂ€re auch in den USA damals …â Er sieht die Verriegelung des Meereshorizonts nicht – und wer sonst nicht?
Die schmachvolle Kapitulation des Kasimir Malewitsch (Suprematist) wird erst im Buch des Museumsshops entschlĂŒsselt: Bedrohung seit zwei Jahren und seine schwere Krankheit. Nur seine fĂ€lschende RĂŒckdatierung wird in der Ausstellung hinterlistig vermerkt.
Und jetzt bin ich gespannt auf die âAusstellungskritikenâ in der FAZ usw.. Â Â Â 28.9.2003
Das Licht als Held der Sowjetunion:Â Alexander Laktionows „Brief von der Front“ (1947), FAZ 26.9.2003 S.35
P.S. 19.7.2014 Ich drucke âTransformation der Heiterkeit â Stalin und die heroischen KĂŒnstlerâ von Lorenz JĂ€ger, 26.9.2003 Nr.224/S.35 hier ab. Zum Lesen bitte 2x anklicken