Verabschiedung 1.Juli 2010 von Renate Ahnert und Achim Bank in einer Kneipe in Oberhöchstadt. Ich bringe zwei Briefe mit, die auch als Reden funktionieren würden. Dazu kommt es nicht bei dem reichhaltigen Programm.
Lieber Achim
Bei solchen Verabschiedungen – notierte ich irritiert noch vor meiner Verabschiedung 2006 – holen uns die Geister der Ehemaligen zu sich. Und sie sind nicht bloß da, sondern machen sich auch bemerkbar. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich auch noch einmal heimsuche. Doch da Michael Gather wegen Krankheit nicht kommen kann – er ist auch pensioniert – muss ja jemand seine unverblümten Würdigungen übernehmen.
Du warst mir ein profilierter, soll ich sagen, unverzichtbarer Fachkollege? Bewunderung wechselte mit Kopfschütteln oder ein paar Mal in handfesten Ärger. Wahrscheinlich ging es dir ähnlich.
Doch Bewunderung für mich? Nicht selten kamst du im Lehrerzimmer auf mich zu und hast ein Gespräch angefangen – eigentlich hast du mir jeweils eine Frage gestellt, die ganz speziell war, nicht einmal du hattest die Antwort – und sie lag regelmäßig auf einem Gebiet, das mich nicht interessierte, gewöhnlich das Deutsche Reich im 19.Jahrhundert. Stand dahinter eine pädagogische Absicht? Ich hätte dir gern so viel anderes erzählt.
Wir unterrichteten Jahrzehnte in derselben Schule und in demselben Schulsystem, auch wenn wir jeder anders darauf reagierte. Ich sage heute vereinfachend: Wir haben in dem chaotischen, desorganisierten System „Hessen“ unterrichtet. Verwaltung und Lehrplanmacher waren mit ihren eigenen Interessen und Problemen vollauf beschäftigt.
Du warst darin nicht glücklich – so schien es mir – und wolltest in deiner engsten Umgebung – sagen wir mal – gegensteuern. Ich fühlte mich schlussendlich darin frei. Ich konnte meine Konzepte entwickeln.
Und dann kamst du, klagtest in der Fachkonferenz über die „Vernachlässigung durch den Dienstherrn“, der es versäumt hatte zu irgendwelchen Plänen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Ich weiß das noch, weil ich sofort dachte: Lächerlich, er hat das doch gar nicht nötig. Und schon das Wort „Dienstherr“ – wir sind doch kein Fürstenknechte!
Mir stand die freie Gelehrtenrepublik vor Augen, so wie die Hochschule in England – wie mir ehemalige Schüler erzählt haben – noch heute ihre Bräuche und Missbräuche pflegt.
Derselbe „Dienstherr“ ließ deiner Ansicht nach auch zu, dass massenweise „zu gute“ Noten in den Zeugnissen standen, was sich an Abiturnoten klar beweisen ließe, wenn man dich nur nachschauen ließe. Da gab ich ein einziges Mal zu irgendwas meinen formellen Einspruch zu Protokoll. Inzwischen hat der Dienstherr sein Versäumnis aus drei Jahrzehnten mehr als gut gemacht. Ich fühlte mich nicht erst 2006 als 1968er-Fossil. Ich ging gern unter Wahrung des Gesichts mit 62 in den verdienten Ruhestand. Ich wüsste gern, wie es dir unter dem neuen Regime weiter ergangen ist. Vielleicht hattest du noch einmal eine gute Zeit, vielleicht auch nicht.
Heute steht mir das Gemeinsame an unseren teilweise konträren Positionen viel stärker vor Augen: an erster Stelle einmal Inhalte, gleich danach Verantwortung für den einzelnen Schüler und das Ganze – die AKS. Wir haben den Verfall der äußeren Ordnung, der Sitten und des Niveaus beide schlecht ausgehalten, ich reagierte mit Rückzug in mein Biotop, du anders.
Beide haben wir heute unsere Fans und Leute, die nicht mit uns und mit denen wir nicht zurechtkamen, was sie einem beim zehnjährigen Wiedersehen manchmal unvermutet an den Kopf werfen. Mir geht es jedenfalls so. Da du im gewöhnlichen Leben kantiger, schroffer auftrittst als ich, hattest du vielleicht mehr von der zweiten Sorte als ich. Die große Menge der Schüler sah neben dem Notenerfolg hauptsächlich unseren Unterhaltungswert.
Auch du bist ein Freak, ein Original an der AKS gewesen. Insofern wusste ich immer: Gerade du trägst zu meinem Ideal, dem Kollegium von Individualisten bei. Wir Kollegen haben speziell davon profitiert, bei Konferenzen, bei Fortbildungen – ich denke noch an die letzte „Erste Hilfe“ (Ich habe davon einen Film für dich) – und natürlich im Medium der Musik. Wenn du am Klavier gesessen hast, war ich einfach glücklich.
Ich habe also, wie du siehst, den löchrigen Fehdehandschuh gewendet und werfe ihn dir zu, als herzliches Angebot. Mail: …..
P.S.
Eine Antwort erhielt ich nie, aber immer wenn wir uns an einer Veranstaltung treffen, herrscht reine Harmonie. Ich hefte das ab als weitere Facette einer langen beruflichen Beziehung. – 17.6.14
Mit den Worten ‚Dein Brief‘ hast du mich heute bei der Trauerfeier für Michael Stadtler begrüßt. Deine Frau hat ihn auf der Webseite gefunden und du wolltest mir danken. Der Umschlag muss damals auf dem Fest verlorengegangen sein. Ich habe den Brief nochmal gelesen. Alles okay. 9.6.2016
Liebe Renate!
Starke Kontraste erzeugen starke Emotionen. Damit kann ich dir nicht dienen. Das hat auch sein Gutes. Wir erkannten und anerkannten uns in in unserem pädagogischen Eros und sahen einander die Schwächen gerne nach. Als Oberstufenleiterin hast du darin die größere Leistung erbracht als ich. Du warst nicht zu beneiden mit meinen Abituraufgaben und meiner notorischen Sehschwäche für Vorgaben.
Ich fand, dass du den Schülern gut tust, auch wenn ich in den letzten Jahren deine kleine Fluchten in irgendwelche Exkursionen und Planspiele nicht billigte, natürlich wegen der organisatorischen Konsequenzen für meinen Unterricht, den ich verteidigte wie ein Juwel. Jeder hat seinen Stil.
Mir fällt auf, dass ich „inhaltliche“ Unterschiede nur mit Mühe erinnere, obwohl sie existierten, weil das so unwichtig ist für unser Wirken. Ich denke heute: Der Wahrnehmungsfilter der meisten Schüler ist zu dicht, als dass Inhalte, geschweige denn der Differenzen, überhaupt eine Rolle spielen.
Respekt, Zuwendung, die Chance, sich zu zeigen und damit verbunden Freiheit von Angst machen den Kern der pädagogischen Beziehung aus. Und dich haben die Schüler weniger „launisch“ als mich wahrgenommen, wie immer dieses Image von mir zustande gekommen ist. Ich meinte es doch auch nur gut.
Ich war dreißig Jahre an der AKS und du wahrscheinlich auch. Du kamst aus Berlin und fandest uns – wie du später sagtest – „undurchsichtig“. Ich fand die AKS anonym – wie meine Heimat Frankfurt . Bekanntlich – nach dem Urteil von Soziologen wie Richard Sennett – bedeutet „Anonymität“ Freiheit, doch auch Unsicherheit. Das müssen die meisten Kollegen so empfunden haben, denn man tat sich lieber nicht weh. Diese Toleranz war nicht das Gelbe vom Ei – und als wir zehn Jahre lang keine frischen Kollegen bekamen, wurde sie fad. Anschließend bekamen wir oft für kurze Zeit so viele neue Kollegen, dass ich gern Namensschilder gehabt hätte. Doch dann hätten wir das Problem ja zugeben müssen. Und Probleme gab man an der AKS nie gern zu, bis eine Direktorin den Knoten platzen ließ – leider (oder doch lieber Gottseidank?) nach meiner Zeit.
Ich vermisste sehr persönliche Kontakte. Die anderen Frankfurter zogen fast alle in den Vordertaunus. Wie alt ist dein Sohn jetzt? Bei unserem letzten Besuch hüpfte er noch auf unserem Autodach herum, der ungebärdige Bub.
Und allmählich hatte ich den Eindruck, dass wir immer mehr in die Mangel genommen wurden. Jeder war ausgebucht. Dem schien nur der stabile Kreis der Kronberger gewachsen zu sein. Und da Lehrer auch noch viel in Urlaub fahren, vertröstete man sich auf die Zeit nach der Dienstzeit. Nun ist es so weit, Renate. Ich hoffe nur, du hast nicht schon „Enkelchen“, deren Eltern bloß auf deine Freistellung warten.
Doch erst einmal: Du hast gedient, lass es hinter dir. Es ist ein wunderbares, unwirkliches Gefühl, jeden Monatsersten ein Gehalt nur für die selbstbestimmte Muße (oder vielleicht bürgerschaftliches Engagement) überwiesen zu bekommen. Alles Gute!
Mail: ….
Anhang: Renate Ahnerts gehaltene Abschiedsrede