Dienstag, 13. Mai 2014, auf Kreta
Der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin schrieb gegen Ende seines Essays âKurzer Aufenthalt in Triest oder Koordinaten der Psychoanalyseâ :
Freud hat sich mit der Erfindung des Setting zum Fremden seiner Analysanden gemacht. Er setzte sich hinter die Couch, erwartete Vertrauen und erwies sich als vertrauenswĂŒrdig… – natĂŒrlich eine starke Behauptung, aber nicht anders zu erwarten – … ohne dass sich daran etwas Ă€nderte, dass er ein Fremder war und blieb. Die neue Methode, die als Behandlung begann, erwies sich sogleich als Instrument einer radikalen Kulturkritik. Wer ihr folgen wollte, musste imstande sein, die eigenen kulturspezifischen Vorurteile und Illusionen in Frage zu stellen und sich als subversiver Geist gegen die etablierten Werte seiner Kultur zu erheben. Freud meinte, dass seine jĂŒdische Abkunft ihn fĂŒr diese Aufgabe befĂ€higte…“ (Traute Hensch, Hrsg.: Paul Parin – Lesereise 1955 â 2005, 46 – ursprĂŒnglich aus: Subjekt im Widerspruch, 1986)
Wenn ich Freud diese Leistung zubilligen muss, so könnte ich fragen: Und Flusser, hat er etwa nichts erfunden? Wenn auch nicht ein naturwissenschaftlich inspiriertes experimentelles Setting? Und sind die Unterschiede zwischen phÀnomenologischer Introspektion und SelbstverstÀndigung einerseits und Interpretation und Kommunikation mit einem Klienten andererseits wirklich entscheidend?
Wenn ich mit wissenschaftlicher Praxis vertrauter wĂ€re, wĂ€re mir auch gleich eingefallen, dass âbleibendeâ BeitrĂ€ge zur Forschung wohl eher in neuen Fragestellungen, Impulsen und methodischen Kniffen bestehen als in âForschungsergebnissenâ. Ich selber hĂ€nge spontan Vorstellungen vom âAutorâ an, gegen die Flusser durchaus mit Berechtigung polemisierte, auch wenn er sie selber durch sein Auftreten förderte, ebenso wie die Mechanismen, die in Gemeinden von Förderern und UnterstĂŒtzern wirken.
Flusser hat seine Praktiken des philosophischen Essays, seine aus Aufmerksamkeit auf Sprachen erwachsenen suggestiven Etymologien, das irisierende Geflecht von RĂŒckĂŒbersetzungen und schlieĂlich seine Art von Science-Fiction erfunden, ein Instrumentarium, das spontan im Vergleich mit dem Freuds bunt zusammengewĂŒrfelt und schĂ€big erscheinen mag. Doch ist schlieĂlich dessen GroĂartigkeit im letzten halben Jahrhundert zusammengeschmolzen, obschon er wie Flusser an der Systematisierung gearbeitet hat. Und bei unvoreingenommener Betrachtung kommen Doktrinen und Dogmen keine höheren WĂŒrden und Weihen zu als biografisch induzierten Fixierungen.
Dann bliebe mir heute nur die Feststellung, dass Flusser fĂŒr mich seine Wirkung eingebĂŒĂt hat â und zwar nicht zum ersten Mal – dass sich seine anfĂ€nglich von mir enthusiastisch aufgenommenen InitialzĂŒndungen abgenutzt haben. Manche meiner SchĂŒler konnten seinen verrĂŒckten GedankensprĂŒngen ja nie etwas abgewinnen. Ich habe ihnen bereits Abbitte geleistet. Doch warum sollte das anderen ebenso gehen?
Gestern, Notiz:
Hör auf keinen Philosophen, der die Natur missachtet ( oder sie als GröĂe vernachlĂ€ssigt) !