Stefan Haupts Dokumentarfilm „SAGRADA. Antoni Gaudí – Das Geheimnis der Schöpfung“ sah ich am 30.1.2013 in einem kleinen Programmkino und schrieb anschließend die folgenden Beobachtungen und Gedanken nieder. Heute nehme ich sie mir wieder vor, im Hinterkopf den Gedanken, die DVD zu kaufen (www.arsenalfilm.de/sagrada)
Der erste Eindruck ist vergleichbar mit Chartres. Kathedralen machen den Eindruck, immer schon da gewesen zu sein, anders die Sagrada Familia in Barcelona: Sie ist zwar bereits 125 Jahre alt, aber wird mitten in unserer Gegenwart weiter gebaut. Wie jung der Zustand ist, den wir kennen!
Der Einfluss des Klosters Montserrat auf Gaudì wird angesprochen. Das Bild der den Bau umgebenden Felswände beeindruckt, ich sehe in den gegliederten steilen, aber gerundeten Bergwänden das Urbild von Gaudís Kathedrale! Geradezu verwegen ist der gebaute Riegel des gewaltigen Klosters, einer Trutzburg des Glaubens! Nicht spirituell wie die Klöster in den Pyreneen! Und bei den noch heute täglich auftretenden Chorknaben musste ich wohl woran denken?
Wenn man weiß, dass Spanien auch vor hundert Jahren zutiefst gespalten war (Gerald Brenan), dass Anarchisten gerade auch in Barcelona zuhause waren (Victor Serge: Geburt unserer Macht; George Orwell: Mein Katalonien), dass über der Stadt nicht nur die Festung Montjuich thronte – Im einleitenden Stadtpanorama erscheint sie als erstes! – stellt sich die Frage nach dem den Orden, der den Kirchenbau in Auftrag gab und nach seinen Absichten. Davon ist nicht die Rede. Auch über Montserrat weiß ich zu wenig.
Obwohl oder gerade weil bis in die Achtziger eine bauhüttenartige Treue zu dem 1926 verstorbenen Gaudì herrschte, wollten viele Intellektuelle und Architekten in den fünfziger Jahren den völligen Baustop! Einstellung des Baues oder Architekten-Wettbewerb mit zeitgemäßer Aufgabenstellung, war ihre Forderung.
Dagegen standen der Geniekult und der Konservativismus der Betreiber. Nur in – allerdings wichtigen – Details wie der Passionsfassade wurde Neues gewagt, unter großen Protesten gegen das Ergebnis. Ein eingewanderter japanische Bildhauer trat während seiner Arbeit an der Geburtsfassade in die katholische Kirche ein, er wollte Gaudi berühren und sozusagen aus ihm heraus den Bau sehen. Ohne Anleitung – typisch japanisch – würde er, wie er sagt, ganz unglücklich. Für Leute wie ihn arbeitet eine Abteilung in der Bauhütte, welche Fragmente der Originalmodelle (bis 1:10) konserviert und bereithält. Daneben arbeiten Computer-Architekten an der Generierung gaudìesker Formen..
Konflikt: Das Testament Gaudis, wie es von seinen Jüngern verkündet wurde, bedeutete einen Weiterbau mit den Mitteln der Zeit. Um ihn zu ermöglichen, hatte er am Ende seines Lebens wenigstens Fassaden und 3D-Gipsmodelle vorbereitet. Zu Beginn des Bürgerkriegs 1936 zerstörten Anarchisten jede erreichbare Dokumentation. Dass es Anarchisten waren – nicht etwa die stockkatholischen Militärs um Franco – steht nur im Netz. Hier sind die Filmleute feige gewesen.
Gaudì konnte sich die heutige Situation nicht vorstellen, weder die Traditions-Verluste und den Glaubensverlust, noch die technischen Möglichkeiten moderner Rekonstruktion. Vom Nachkriegsdeutschland hätte man die Geste übernehmen können, historische Brüche als Ruinenaspekt zu behandeln. Die konservative Fraktion versucht die neuen technischen Mittel in Dienst zu nehmen, wägt Dissonanzen ab und schaut bewusst nicht so genau hin, etwa bei der Verblendung von Betonkonstruktionen mit Naturstein. Es ist ein naiver, vom Geschmack gesteuerter Historismus am Werk. Auf den Künstler und intuitiven copista der Natur Gaudì und seine Jünger folgt der Einsatz computergesteuerter Kopierprogramme aus dem Flugzeugbau und die Synthetisierung des Bauprogramms, das einst der Architekt und Künstler vor Ort weiter entwickelte. Wird das der Nationalstil des katalanischen Regionalismus werden, eben der Gaudíismus?
Die Gegner des Bauprojekts agieren indirekt, müssen es wohl. So haben sie 1976 das Machtvakuum für eine Änderung des Bebauungsplans genutzt und gerade die Freifläche im Handstreich überbaut, die der repräsentative Platz vor dem Hauptportal werden sollte. Gleichgültig gegenüber den Risiken für den Bau sind die Planer des Hochgeschwindigkeitsbahntunnels. Sind 30m Tiefe genug? Und wenn auch die Pedreira einstürzen sollte über demselben Tunnelbau? Man könnte sie heute leicht rekonstruieren.
Zwar funktioniert die vor 1926 geweihte Krypta schon seit Jahrzehnten als Kirche. Doch mit dem Touristen-Boom kam das Geld. Nun droht ein national-klerikales, auf die Attraktion von Massen zugeschnittenes Projekt. Papst Benedikt beeilte sich schon, den gewaltigen Innenraum zu weihen. Darin wird also nichts anderes passieren als das Übliche. Benedikts Erscheinen im Papamobil ist symbolträchtig: Wir blicken mit den begeisterten Massen vor allem auf riesige Projektionswände. Die Massen jubeln bei den entsprechenden Kameraschwenks und Sprechchöre lassen sich zu Trommelschlägen vernehmen: Wir sind die Jugend des Papstes. Symbolträchtig wie die gewaltigen Ausmaße des geplanten massiven Zentralturms. Gut, kaum mehr als die der Doppeltürme von Chartres. Man denkt dabei heute eher an Banktürme und die nationalen und religiösen phalloislamischen Kamine in der Dritten Welt.
Es stehen sehr fromme und treue Menschen hinter dem Bau. Die fragen nicht nach dem Sinn, brauchen es für ihren Teil auch nicht, als bekennende Katalanen und als bescheidene Katholiken. Emotional wollen sie aber gar nicht eine Fertigstellung, reden sich mit klugen Sentenzen heraus: Gott hat Zeit oder Bauen ist wichtiger als fertig stellen. Das Kirchenoberhaupt aber will fertig stellen. Und moderne Techniker wollen das auch, sie entsprechen damit dem Zeitgeist, dem halbfertiger Stillstand und Bauruinen peinlich sind. Das Geld und die touristische Rechtfertigung des Großbaus sind auch da. Die drei Faktoren entwickeln eine Schubkraft, welche die skrupelhaften und spirituell gestimmten Gemüter vor sich her treibt.Wird die sich aufbäumende Familia Sagrada einmal zum Symbol der monarchischen Papstkirche werden?
Ein Wort zur Spiritualität
Am Neuzugang aus Japan, der sich auch an theologischen Argumenten versucht, wird die Beschränktheit des Blicks deutlich: Er empfiehlt allen Weltreligionen solche Tempel zu bauen, selbst Buddhisten, und das soll dann Frieden bringen.
Der nach eigenem Bekenntnis agnostische, von Haus aus abstrakte Bildhauer, der die Passionsfassade vor zwanzig Jahren als Stilkompromiss mit den Konservativen gestaltete, sah sich zu dieser Arbeit noch als Mitglied christlicher Kultur befähigt. Könnte man das ehrlich heute noch erwarten?
Der britische Architekt am Computer scheint vor allem von der technischen Herausforderung des Auftrags fasziniert, ohne, dass er es sagt.
Ein Städteplaner fragt allerdings im Film nach dem Sinn in der heutigen Zeit. Seine eigenen ökumenischen und laizistischen Gedanken erinnern mich an ein Großprojekt vor über einem halben Jahrhundert: den Kulturpalast in Warschau, eine Art überdimensionierte Volkshochschule.
Am Schluss redet der Theologe Pannikar von Gott als Familie, die wir auch sind. Er lacht dabei plötzlich. Ich denke gleich an die Fiktion eines christlichen Monotheismus, er meint aber wohl: alle religiösen Menschen, vielleicht alle Menschen, auch die, die von dieser anachronistischen Weltkirche ausgeschlossen werden.
Nachwort 8.4.2014
Ein neuer Papst. Wie wird eine ‚Kirche der Armen’ mit der Sagrada umgehen? Und wenn ‚die Armen’ neue Kathedralen wollen? Wo doch hier bereits eine Bauhütte existiert? Und nicht zu vergessen: Die alten Kathedralen waren auch zum Geringsten Werke der Frömmigkeit! Der Film wirkt ganz stark in der Erinnerung, über seine Bilder und Kamerafahrten, über die atemberaubenden Aussichten und vielen unterschiedlichen Ansichten der Beteiligten, die er vermittelt. Ich empfehle ihn nachdrücklich, gerade, wenn man bereits einmal an den Warteschlangen vorbeigegangen ist oder gar drin war.