Flusser und die Musik (R.Guldin). Aber auch Schopenhauer und die Musik.

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Der Essay : „Mit Einbildungskraft musizieren – Zum VerhĂ€ltnis von Musik und Mathematik in VilĂ©m Flussers Werk“ wurde von Rainer Guldin  fĂŒr den  Kongress in Natal im Dezember 2012 geschrieben und ist in dem Kongressband “Vom Begriff zum Bild” ( Tectum Verlag, Marburg, 2013) abgedruckt. – Die Seitenangaben beziehen sich auf den Manuskripttext. Meine Rezension ist mit der damaligen eMail identisch.

 

Frankfurt, den 20.12.12

Lieber Rainer,

Dein Vortrag mobilisiert mich noch einmal vor Weihnachten! Nun will ich meine RĂŒckmeldung auch noch auf den Weg bringen – in einen vermutlich ruhigen Moment hinein. Störe dich bitte nicht an gelegentlichem Pathos, schrĂ€gen Formulierungen und Übertreibungen. Ich habe getan, was ich in  den zwei Tagen konnte. Abstand ist nicht zu erwarten.

Zuerst scheint Ihr beide wieder das bekannte Spiel Flussers mit KulturphÀnomenen zu treiben. Diesmal muss Musik als Anschauungsobjekt dienen. Ich halte mich heute gar nicht auf bei der Kritik an dieser Art von PhÀnomenologie, aber warum?

Mir wird beim Lesen klar, wie frĂŒh Flusser diese Konzepte ausbrĂŒtete. Ich verstehe nun deine Andeutungen vom FrĂŒhjahr besser (dank S.13: kreativer Mahlstrom, innere Kongruenz). Alles was Marburgers Dissertation mir nicht ĂŒberzeugend vermitteln konnte, von wegen Vereinigung von Kunst und Wissenschaft, entschlĂŒsselt sich hier wie von selbst.

Du betonst, dass diese Konzepte eine Grundströmung bilden, egal, was spĂ€ter sich alles an neuen Aspekten und rhetorischen Strategien darĂŒber legt. Und er hat ja regelrechte Palimpseste hinterlassen.

1. Annahme: dass es ihm sehr ernst mit dieser theoretischen Grundströmung gewesen ist. Das wĂŒrde fĂŒr mich seine bemerkenswerte Motivation und Ausdauer begreiflich machen. Warum diese Annahme? Wegen des jugendlichen Alters und seiner Biografie. Ich komme auch nicht von ungefĂ€hr darauf, hat mich doch ĂŒber ein Jahr verteilt regelmĂ€ĂŸig eine Schopenhauer-Studie beschĂ€ftigt: Urs App hat in „Schopenhauers Kompass“  – bei UniversityMedia, Rorschach-Kyoto 2011 erschienen/ www.universitymedia.org. –  sozusagen aus der NĂ€he verfolgt, wie Arthur Schopenhauer zwischen dem 19. und 28. Lebensjahr seine Philosophie entwickelt hat, aus disparaten Quellen und mit einem „Kompass“, den man mit Weltverneinung umschreiben kann. Mir ist immer noch nicht erklĂ€rlich, woraus dieser junge Mann ein so starkes ErlösungsbedĂŒrfnis entwickelte und dann unbeirrt an seiner mystisch und buddhistisch inspirierten Idee der universaler Wiedervereinigung der getrennten SphĂ€ren festhalten konnte, im Geiste des „Willens“ – wovon er die Musik als letztlich unbedeutende, aber doch unmittelbare Manifestation verstehen wollte. Er ließ jedenfalls in den folgenden vier Jahrzehnten dieses BedĂŒrfnis durch penible begriffliche Arbeit und engagiertes sich Informieren ĂŒber alle Aspekte des Lebens reifen. Ich habe gestern noch einen speziellen Aufsatz zu Rate gezogen, der zu dem Schluss kommt, dass Schopenhauer die der Musik zugedachte Rolle in spĂ€teren Auflagen nicht ĂŒberzeugend an den PhĂ€nomenen konkretisieren konnte. Die entsprechenden Versuche, seine individuellen Musikerfahrungen zu generalisieren und metaphysisch zu verankern, sind offensichtlich gescheitert, fĂŒr mich in unserer Zeit keine Überraschung. Christoph Almuth: Musik als Metaphysik – Platonische Idee, Kunst und Musik bei Arthur Schopenhauer (erschienen in: Philosophischer Gedanke und musikalischer Klang. Zum WechselverhĂ€ltnis von Musik und Philosophie. (Hg.) Chr. Asmuth u. a., Frankfurt M 1999,S.111-125 – und als pdf im Netz)

Gerade wegen dieser NaivitĂ€t bzw. Verankerung in der philosophischen Tradition – um die wir ihn ja auch beneiden könnten – möchte ich ihn nicht in einem Atemzug mit Flusser und seinen theoretischen Operationen nennen, erst recht nicht denen der Utopien der spĂ€ten Jahre, die du so referierst: „Flusser geht es nicht um einen neuen Mystizismus, sondern um ein Leben in einer ganz vom Menschen entworfenen …. Welt, die zugleich in vollem Bewusstsein gelebt wird.“ (12) Die von dir weggewischte Frage nach dem mystischen Zug in Flussers Denken ist fĂŒr mich damit aber auch nicht erledigt, im Gegenteil.

2. Annahme: Er konnte sich nur nicht so zeigen, wie es noch Schopenhauer möglich war. Salopp gesprochen: Hegel war ein toter Hund, seine Dialektik genoss schon lange keinen Markenschutz mehr. Marxisten und Kommunisten verfuhren damit nach Belieben. Und verbot nicht Wittgensteins ‚Tractatus‘ ĂŒberhaupt jeder philosophischen Spekulation den Mund? Warum ließ sich aber der ‚shooting star’ Heidegger davon ĂŒberhaupt nicht abschrecken, poussierte aber dafĂŒr gleich mit den Nazis?

Im Prager Milieu war Flusser eine Orientierung naturgemĂ€ĂŸ noch leichter gefallen, aber welche Sprache konnte der traumatisierte junge Mann nach der Weltkatastrophe fĂŒr sich fruchtbar machen? Darin sehe ich gute GrĂŒnde fĂŒr die 3. Annahme, die seiner Hinwendung zur poetischen Sprache und zu unverblĂŒmt literarischen Mitteln, der Ironie, des Paradoxes, ….  Die intellektuelle Umgebung Brasiliens (tropicalismo, anthropophagia) trug – auch „Bodenlos“ zufolge – das Ihre dazu bei.

Wenn ich seine unverbrĂŒchliche Verankerung im traditionellen Arbeitsethos und den – wenn auch frustrierten – Rationalismus der  abendlĂ€ndischen Schriftkultur  in Rechnung stelle, könnte ich seine utopischen Anwandlungen als Gedankenspielereien und Tribute an die Eitelkeit des Zukunftsforschers abtun. Im Reprint in den aktuellen Flusser Studies 14 lĂ€sst du ihn gerade wieder das „globale Paradies“ als Alptraum schildern. Seine Figur ist der Vertriebene, der den Ablösungsschmerz in allen Formen und auf verschiedenen Gebieten durchlebt, schreibend zelebriert.

Da die Visionen schon so frĂŒh auftauchen und seit den achtziger Jahren – von seinen Siebzigern weiß ich zu wenig – als telematisches Szenario bestĂ€ndig wiederkehren, im Grunde immer prĂ€sent sind, ist es wohl angemessener, sie als stĂ€ndige Versuchung, als Hang, als (schĂ€dliche?) Neigung zu bewerten, als diabo, der ihn geritten hat. – Das ist ja alles nichts Neues.

Also: „Flusser geht es nicht um einen neuen Mystizismus, sondern um ein Leben in einer ganz vom Menschen entworfenen …. Welt, die zugleich in vollem Bewusstsein gelebt wird…“ (12) ? Spannend finde ich, wie ansteckend das sein kann. Der zunehmend euphorische Ton deines Vortrags zieht den Leser hinein in Flussers ĂŒberbewusste Traumwelt (12) der Zukunft. Ich sehe die neue Ebene der Verbindung (11) praktisch erst einmal auf einem Flachbildschirm vor mir, dann schon im umgebenden Raum dank eines intelligenten (z.B.Kampf-)Anzugs, die Situation von ’Total Recall’ wird auch außerhalb des Kinos vorstellbar. Aber das ist doch die Botschaft des ‚Transhumanismus’ !! Vor dem Abheben gibt es von dir nur ein kurzes, leicht ĂŒberhörbares Warnsignal. (13)

Eine 4. kleine Hypothese: Der untergrĂŒndige Mystiker Flusser spĂŒrte und feierte am Ende das Absolute noch in der Ă€ußersten VerdĂŒnnung. Dem nĂŒchternen Systematiker waren die sich revolutionĂ€r gebenden KĂŒnste etwa ebenso regelmĂ€ĂŸig ‚Gadgets’. Nach dem Aufsatz ĂŒber Schopenhauers VerstĂ€ndnis von Musik wĂŒrde ich sagen, dass Musik fĂŒr ihn – anders als fĂŒr sein bildungsbĂŒrgerliches Publikum – auch nur ein Palliativum war, und dazu ein eingĂ€ngiges Beispiel bot, um seine Lehre verstĂ€ndlich zu machen, im Grunde wie Flussers ‚Garten’, beide eingekesselt in aussichtsloser Lage.

Noch etwas aus Schopenhauers Perspektive: Der „Wille“ in seiner ganzen Wucht, so wie er ihn theoretisch konzipiert hat, ist aus unserer Erfahrung der Welt nicht ohne Strafe der Verblendung zu streichen. Ich bin versucht zu sagen: Das ist der Mensch, sowohl außerhalb wie innerhalb irgendwelchen Studios der VirtualitĂ€t. Und das sind auch die ideologischen wie politischen Sinnsetzungen, deren Druck immer wieder die GlashĂ€user zum Platzen bringt und ihre Bewohner hart auf dem Boden aufsetzt. KĂŒrzlich hast du in einem e-Brief Flussers Ignoranz fĂŒr den Körper erwĂ€hnt. Das gilt jedenfalls immer, wenn er telematische Utopien spinnt.

Gut, dass du mit deiner Darstellung in die Offensive gehst, indem du die Konsequenzen fĂŒr die Gesamtsicht Flusser explizit formulierst (13), und du bahnst darin noch Kritik an – in dieser verengenden Version (ebd.). Da sollte es vielleicht weitergehen.

Ich lasse nun den Text los. Keine weiteren Korrekturen!  (….)  Herzlich  Detlev

 

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Die Antwort Rainer Guldins am 26. Dez 2012  ist so direkt und gedankenreich, dass ich sie einfach mit abdrucken muss. (25.3.14)

 

Lieber Detlev,

vielen Dank fĂŒr deine spannenden Bemerkungen. Das mit dem Mystizismus stimmt, da hast du recht, und es hĂ€ngt wohl auch mit Flussers ReligiositĂ€t zusammen. Flusser betont zwar immer seinen Rationalismus, ich nehme ihm das aber nicht so ganz ab. Und vielleicht geht es bei der telematischen Gesellschaft eben doch um so etwas wie Erlösung, Erlösung vom Körper, vom Tod, vom Vergessen, endgĂŒltige Befreiung aus dem Tal des Todes. Aber diese sĂ€kularisierte Dimension des Fortschrittglaubens ist doch dem ganzen Projekt der westlichen Moderne unterlegt. Du hast Recht, da mĂŒsste man noch offener kritisieren. Zum Beispiel die Enge und BanalitĂ€t des Digitalen, die auch bei Flusser hier und da anklingt. Flussers spĂ€te Wendung zum Utopischen ist nach der Ă€usserst kritischen Phase der 70er eine Überraschung. Ich habe „Nachgeschichte“ auf Portugiesisch gelesen und dort ist der Ton sehr dĂŒrr, sehr pessimistisch. Und dann kippt plötzlich alles. Frage mich, was wohl der Auslöser gewesen sein muss. Und auch deinen Hinweis auf Schopenhauer: die frĂŒhe Ausarbeitung eines Systems, das dann immer wieder neu aufgelegt wird. Und genau: was speist diesen Drang? Gute Fragen.

einen guten Rutsch auch dir            herzlich Rainer

 

 

 

 

 

 

 

 

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