Nolde im Städel – viel Lärm um …

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Nolde-IMG_7259  Nichts

Der Gang durch die Frankfurter Ausstellung ist nicht nur enttäuschend, er ist gründlich ernüchternd. So genau wollte ich es nicht wissen. Bisher hatten wohl gelungene Werke aus anderen Museen und vor allem die Reproduktionen in allen denkbaren Formaten bei mir für ihn Stimmung gemacht. Der Clou dieser Ausstellung soll aber gerade sein, aus dem Depot in Niebüll ein nie gesehenes ausdifferenziertes Bild seines Werkes zu zeichnen.

Im ersten Raum gewinnen mich noch zwei fast monochrome Seebilder, stark in äußerst gedämpfter Farbgebung, ganz traditionell, aber nur ein Schritt vor der Abstraktion: 1901. Dann übernehmen wohl unvermischte Tubenfarben das Regiment, die Öl-Palette wird zum Verteiler greller Buntheit. „Die Pracht der Farben“, titelte das Burda-Museum in Baden-Baden letztes Jahr begeistert. Ja, Farben stehen uns aber allen zur Verfügung. Die Nordsee deliriert und sie wird es noch fünf Jahrzehnte tun. Wer diese Landschaft kennt und liebt, muss das für Maskerade halten.

Der chronologische Ansatz  der Ausstellung lässt Hoffnung: ja, die Suche nach dem eigenen Stil zieht sich eben lange hin. Beim Hingucken sage ich mir irgendwann: Ach – mit 40 immer noch!? Aber da kommt ja noch eine Südseereise wie bei Gauguin oder Nordafrika für Klee und Marc!?  Ja, 1913. Resultat sind ‚Kanaken’ und Sonnenuntergänge über dem Meer, bloß: Noldes Nordsee ist durch die Südsee nicht mehr zu toppen, und der farbige Himmel hat nicht die von vielen bezeugte Transparenz, er ist mit Farbe zugeschmiert. Das bestätigt sich auch zuhause am Wiener „Nolde und die Südsee-Katalog“ von 2002. Die Aquarelle von den Eingeborenen sind dekorativ, aber nicht einmal als ethnografische Dokumente verwendbar. Dazu ist der Pinselstrich zu breit. Im Werk vorher und nachher finden sich van Goghs, aber im Friesennerz, die Fauves, Ensor, Munch, Liebermann aber grell, sogar William Turners Dampfschiffe, aber immer nur das Motiv, natürlich auch Kirchner und die restliche Brücke, Grosz und Dix, alles ausprobiert und mit den zwanzig bunten Tubenfarben hingeschmiert und in die lärmende Schlacht des Kunstmarktes geworfen.

Die aus Blumen-Aquarellen montierte Ausstellungswand wirkt harmonisch – der Internetauftritt nutzt sie effektvoll – aber die einzelnen Bilder sind grob, ohne Geduld, ohne Gefühl für die Eleganz und die Zartheit von Blüten hingehauen. Durfte er vielleicht nicht anders unter dem Diktat des Zeitgeistes?

1937 angekommen, bin ich fast bereit, das berüchtigte Urteil „Entartete Kunst“ anzunehmen. Wenn die Begründung auch anfechtbar ist, das Ergebnis ist für mich nachvollziehbar. Die große Wand mit der Kreuzigung etwa könnte Christen jederzeit beleidigen. Der Jesus Pasolinis hätte die Schwarte als dreisten Auftritt aus dem Tempel geworfen. Sie wirkt kalt wie eine Karikatur auf Otto Dix. Aber was hat Nolde eigentlich an Grauen im Krieg, auch nur an Leid erlebt? Geboren 1867. Alles riecht nach greller Scheinradikalität – und nach Kitsch, wenn’s erotisch wird: nach verklemmten Männerträumen unterm Rieddach oder nach einem Plagiat der Kokotten, die durch die zeitgenössische Kunstwelt geisterten.

Dann die Jahre des Malverbots. Ein eigener abgedunkelter Raum in der Ausstellung überrascht mit vielleicht zwanzig starken, sehr kleinen Aquarellen, die Traumgestalten mittels schwarzer  Konturen auf einem Teppich von verdüsterten Farbflecken hervor treiben. Da muss ich an die bittere Untertitelung einer polnischen Karikatur in den dreißiger Jahren denken: „Poesie ist gebundene Sprache“. Und die Frage: War das Verbot etwa heilsam nach seinem Herumbrüllen und Dragonern? Die verwendete Technik war zwar nicht besonders anspruchsvoll, sie nähert sich dem Ausdrucksmalen, könnte auch ein Kniff für creative painting sein, aber sie hat Nolde schon vor 1937 vereinzelte freiere, transparentere kleine Bilder beschert.

Der letzte Raum soll seine Nachkriegszeit repräsentieren: Rückfall ins alte Elend, wie im Alter fast zu erwarten: knallbunte Ölbilder mit den üblichen Verdächtigen, eine delirierende Nordsee….,  derselbe breite Pinsel für dieselben kleinen Formate, Und dann lese ich: Preise, Ehrungen, Süßholzraspeln.

Ich verstehe den – bis auf die Nazís (Goebbels privat ausgenommen) – durchgehenden Erfolg Noldes nicht mehr: Für mich waren das keine formalen, stilistischen, technischen (im besten Sinne) Experimente, ist keine künstlerische Entwicklung erkennbar. Die Aquarelle mildern nur die krassen Plumpheiten, zeigen dafür eigene Ungeschicklichkeiten. Gerade die im Städel übliche weihevolle Inszenierung – diesmal fehlt der Blumenstrauß im Eingangsbereich – entlarvt den Stuss. Was Malerei seit Jahrhunderten konnte und immer noch kann, hängt wie zum Vergleich verlässlich im Hellen in den Sälen der Dauerausstellung. Ich finde Nolde peinlich wie damals den Gipsbildhauer im MMK, der seine vage Ahnung von Werken der Kunst frischfrommfröhlichfrei in Großformate übertrug.

Ein paar Anlässe für Scherze gäbe es schon, wenn ich nicht so missgestimmt aus der Ausstellung gekommen wäre: Etwa die tragische Groteske des Provinz-Nazi Nolde, der als Maler Berufsverbot erhielt und dafür nach dem Krieg – als Verfolgter – exkulpiert wurde. Viel Lärm um Nichts. Warum sollten uns seine politischen Auffassungen  aufregen, auch nur interessieren? Soll er etwa heilig gesprochen werden? Die Ausstellungsführer und der Audioguide tun sicher, was sie können. Ich meinte immerhin auch ein paar glänzende Blicke und einverständiges Kopfnicken zu sehen.

P.S. Die Zigeunerin auf dem in der Stadt verbreiteten Plakat ist eins der stärkeren Blätter (schon eine Rarität bei der Motivauswahl für Ausstellungsplakate), aber nur, weil Nolde das Aquarell nicht vollständig bemalt hat und die weißen Flächen mitspielen – über große Augen und roten Mund kann ich hinweg sehen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was Nolde an dem Blatt noch alles hätte verderben können.

21.3.2014