Versuch einer Entscheidungshilfe
(Ich bot damals offenbar sogar in beiden Fächern Leistungskurse an)
Etwa in Geschichte?
Geschichte ist auch gut für politisch engagierte Leute? – Ja: Ihnen tut eine ‚Impfung‘ mit historischer Erfahrung gut; und sie selber können Konzepte, Biografien und Taten ihrer Helden erforschen.
Das 19. und das 20.Jh. (ab 12 I ) waren Großlaboratorien politischer und sozialer Ideen.
Insoweit, als Politiker sich auf Ideen, „Werte“, Utopien, „Visionen“…stützen , ist das Studium der ‚Originale‘ sehr erhellend.
Viel kann man aus der Geschichte für die eigene Praxis nicht lernen, weil die Umstände bekanntlich immer andere sind. Das Wenige bestünde darin, Grundfehler zu erkennen, und das wäre schon viel. Geeignet ist die Geschichte deshalb, weil wir den ‚Splitter im Auge des anderen besser wahrnehmen können als den Balken im eigenen.‘ *
– Für all das ist der gegenwärtige Kosovo-Krieg ein (trauriges) Beispiel, aber die nächsten Anwendungsfälle werden folgen.
Die Klasse 11 klärt auf über„die erste Demokratie“, die„Wiege des Abendlands“, die Funktions-weise des erfolgreichen IMPERIUM ROMANUM, das Politologen heute als interessanten Vorläufer einer technokratischen multikulturellen EU sehen, und als bescheidene Wiege der modernen „westlichen Welt“.
Geschichte ist gut für philosophische Köpfe, die ‚dem Menschen‘, ‚der Menschheit‘ auf die Schliche kommen wollen. Unter dem buntscheckigen kulturellen Gewand der Menschheit – den „Epochen“, „Kulturen“, Nationen“ u.s.w. – sind ein paar elementare soziale Regeln und Gesetze* wirksam; die gilt es sich zu eigen zu machen, um sie für das Verständnis einer scheinbar unübersichtlichen Gegenwart – und das Selbstverständnis darin – zu nützen. In diesem Sinne kann der Lk gerade auch für an Literatur und Kunst, doch auch an den Naturwissenschaften Interessierte nützlich sein.
Den Lk-Geschichte unterscheidet vom Grundkurs-Geschichte:
1. eine verminderte Zeitknappheit und damit…. 2. mehr Stabilität gegenüber den Unberechenbarkeiten des Schuljahres, sowie…
3. Freiheit für die selbständige Erarbeitung von Themen. Medien – von der Originalbroschüre bis zum Film – sind zB in R 248 reichlich vorhanden. Sie warten auf euer kritisches Interesse. Anderthalb Jahre sind dem 20.Jh. gewidmet; und im Unterschied zu früheren Zeiten hält dieses Jahrhundert für jede Fragestellung reichlich Informationen bereit.
Ein paar Anforderungen( aus der Erfahrung formuliert):
– Überhaupt ‚Fragen an die Geschichte‘ zu haben und verfolgen zu können;
– menschliche Äußerungen, „Texte“ immer deutlicher lesen zu können – dazu gehören auch das gesprochene Wort, das Bild, der Film, die Statistik; meine berühmten „Videos“ nicht nur anzuglotzen, sondern nutzen zu können, muß so mancher Gewohnheitszapper erst lernen!
– sich Informationen aus Schulbüchern und Nachschlagewerken aneignen zu können,
– ein offenes, unabgeschlossenes Weltbild zu ertragen und als kleinen Ausschnitt davon: in Kursarbeiten ( für die Benotung sehr wichtig!) offene Aufgaben, die zur mutigen Sachargumentation herausfordern, bewältigen. Denn ich verstehe mich nicht als „Schulungsleiter“ für bequeme Menschen, nicht als „Erzieher“ irgendwelcher Eliten für irgendwelche „Verantwortungen“, aber auch nicht als Samariter für selbstverschuldete Sozialfälle der gymnasialen Oberstufe. Solche Leute werden auch bei mir nicht glücklich, denn „Theorie“ ist einfach nicht jedermanns Sache!
… Oder doch vielleicht Lk Gemeinschaftskunde?
– ein Fach am Puls der Zeit: Spontanes Interesse an der Aktualität ist Voraussetzung. Politische Nachrichten oder Magazine zu verfolgen, Zeitung zu lesen, darf überhaupt keine Arbeit sein. Dann habt Ihr einen grossen Vorteil gegenüber den ‚Historikern‘, die sich den Kontext ‚ihrer‘ Ereignisse und Gestalten wirklich erst erarbeiten müssen!
Wenn ich selber nach 40 Jahren Tagespolitik darin ermüde, brauchen wir diese Energien von Eurer Seite!
– Wir leben in einer Zeit des „Reformstaus“ , zugleich auch schneller und kaum begriffener Veränderungen, sowie immer neuer Lösungsvorschläge für Probleme aller Art:
Der Themenplan schreibt folgende Bereiche vor: Sozialisation und Ökologie ( 11), Wirtschaft, Recht, Politik in D und EU(12) , sowie Internationale Beziehungen (13).
– Die Analyse des( angeblichen) Ist-Zustands und die Auseinandersetzung mit Zukunft – als dem, was auf uns zukommt – bilden den Kern dieses Fachs. Geschichte läßt sich nicht immer ausschließen, aber wird äußerst selektiv, also verkürzt wahrgenommen. Es geht um das Verständnis – geschichtlich gewordener, aber – heute funktionierender Systeme, sowie um ihre Veränderung und den angemessenen Eingriff in solche Systeme. „Politisch“ ist dies in einem anderen Sinn als in „Geschichte“:
Während der politisierte„Historiker“ träumen darf, leichthin Parallelen ziehen, immer im Bewußtsein, daß Geschichte sich nicht wiederholt ; während er oder sie sich mit dem politischen „Hintergrund“ beschäftigen darf (mit Rechtfertigungs-Strategien, mit Ressentiments, mit Erinnerungen, mit Ideologien, „Tendenzen“, auf der anderen Seite mit Ideen, moralischen Prinzipien, und allem , was sonst zur Fundamentalopposition gehört ….) lege ich im Lk-Gk wert auf die nüchterne Betrachtung politischen Handlungsspielraums, also auf eine Politik des Möglichen mit realen Partnern: Am täglichen (theoretischen) Umgang mit „Investoren“, „Lobbyisten“, „Konsumenten“, „Rechtsanwälten“, „Politikern“ und „Militärs“ (beiderlei Geschlechts) führt kein Unterrichtsweg vorbei. Ein unerschrockener Blick auf die Grenzen politischer Einflußnahme ist gefordert im Kontrast zu beinahe grenzenlos erscheinenden Herausforderungen und Bedrohungen der Zukunft
Gk ist das Gegenteil von einem Nischenfach. Ihr setzt euch – in einem begrenzten Rahmen und kontrolliert – einer „Welt“ aus, die eine Menge unerfreulicher Seiten hat – und dies ohne den (schwachen) Trost des Fachs Geschichte, es sei ja jetzt wenigstens vorbei (so wie Hitler, der 2.Weltkrieg, die kommunistische Diktatur, u.s.w. )
Doch die verstärkte Beschäftigung mit Wirtschaft, Politik und Recht – jeweils mit Zukunftsperspektive – für zwei, drei Jahre ist ein Luxus, den ihr euch vielleicht später, im Studium, im Berufs- und Familienleben kaum mehr leisten könnt.
Laßt Euch die Alternativen auf der Zunge zergehen! Prüft euch, redet mit euren Freunden!
Der LVK 11 kann – aufgrund der Themen und der nur in Geschichte kaum erweiterten Stundenzahl – allein nicht Klarheit über eure tieferen Neigungen verschaffen. Es geht nicht um Theorien, um intellektuelle Herausforderungen, um schulische Qualifikationen an sich, sondern um die Frage, ob wir begreifen können, was mit uns (und ohne uns) geschieht. Wie sonst können wir vernünftig und im eigenen Interesse handeln?
Die Noten erhaltet ihr nach den üblichen Grundsätzen, also zum Marktwert. Wunder darf niemand erwarten. Doch manchmal bewirkt die eigene Motivation ja wahre Wunder. Das ist mein pädagogischer Optimismus
28.05.1999