Grabrede auf die Mediation

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 Ein Beispiel für die Schulpolitik nach der Jahrtausendwende: 

Grabrede auf die Mediation. Am Sankt Nimmerleinstag zu halten.

Ich wollte niemandem den Spass verderben. Als ich das erste Mal das Fortbildungsangebot im Anzeiger las, freute ich mich ja selber: „Meditation“ las ich – das hätte ich damals gern versucht; geholfen hätte es vielleicht auch. Irritierende Zungenschläge fielen mir schon damals auf, etwa das Angebot: wir könnten „Konfliktfälle jetzt abgeben“. Später hörte ich es mehrfach.

Dann wurde über mangelnde Nachfrage seitens der „Kunden“ geklagt. Ja, wo ein Angebot auf den Markt tritt, sucht es die Nachfrage.

Um es deutlich zu sagen: Gesprächsführung und Konfliktbearbeitung halte auch ich für nützliche Übungsgegenstände, eigentlich unverzichtbar, wenn nicht eine diktatorische Ordnungsmacht alle „Störungen“ an den Rand der Stunden drückte. Ich hatte vor zehn Jahren selber Supervision an der AKS organisiert , nachdem ich „TZI“ kennengelernt hatte, über das HILF. Ein zentraler Satz lautete: „Immer erst die Störung beseitigen, dann im Stoff fortfahren.“ Hängen geblieben ist mir auch: dass alle Teilnehmer der Lerngruppe legitime Interessen haben, dass aber zugleich auch ein gemeinsames „thematisches“ Interesse existiere. Kann man davon heute noch überall ausgehen?

Auch dass die Randbedingungen immer gegenwärtig sein müssten. Heute sind wir weiter: Die Rahmenbedingungen haben sich zu immer drückenderen Zwängen entwickelt: Schülerzahl und Lehrerstunden bürokratisch verwaltet, eine perfektionierte detaillierte Schulaufsicht, mehr Pflichtstunden und Prüfungen für die Schüler, Personalabbau im unterstützenden Bereich. Wir sind aber keine Sozialarbeiter, Bibliothekare, Psychologen, Hausmeister usw.

Was ich im Rahmen der Sekundarstufe 2 tun kann und praktiziere: Unterricht umsichtig und konservativ planen, unnötige Belastungen vermeiden, die Schüler informieren und auf ihre Verantwortung für sich selbst hinweisen. Konfliktlösungen vielleicht noch anbahnen, aber dann ist Ende der Fahnenstange.

Eine Tutandenstunde gibt man uns so wenig wie Klassenlehrerstunden. Die Fassade, die „Ergebnisse“ sollen stimmen, und die verzweifelte Konkurrenz der Schulen gegeneinander um Ruf und Schüler verschärft den Trend. Da ist kein Raum im Unterricht für eine „Konfliktkultur“, jedenfalls nicht mehr ab der Pubertät, und deswegen bietet sich wohl die Auslagerung des Themas auf Mediationstermine und speziell geschulte Kollegen an. Wann wird man uns noch eine Lehrstunde mehr abverlangen unter Hinweis auf derartige Entlastungen? (Soll das ein Scherz sein, Herr von Graeve?)

Auch so scheint das Klima im Kollegium nicht besonders freundlich für das Angebot, das wie gewohnt ja „nur helfen“ soll.

Für mich passt es gut in einen Trend, der die Kompetenz des einzelnen Lehrers über Jahrzehnte vernachlässigt hat und die mit seiner Rolle verbundenen Kompetenzen geschmälert hat. Die vorgeordneten Behörden trauen ihm kaum noch etwas zu, was sich daran zeigt, dass sie immer weniger Vertrauen schenken: den Prüfern, den Schulleitungen, den Lehrerkonferenzen. Überall hat man Selbstverantwortung und Ermessensspielraum zusammengestrichen, per Erlass, ohne eine sichtbare Debatte mit den Praktikern in den Schulen. In drei Jahrzehnten an der AKS habe ich trotz vieler „Reformen“ Vertreter der Schulbehörde nie anders als in obrigkeitlicher Funktion auftreten sehen. Die „Implementierung einer Konfliktkultur“ müsste ganz oben beginnen, um ihrem Namen gerecht zu werden, nicht auf der Ebene der Kollegien. Oder sie wird Untertanenkultur.

Die Schulämter halten sich wohlweislich heraus und verweisen das Thema auf die Ebene pädagogischen HILFsorganisationen  (aktuell: HELP), damit wir besser funktionieren. Es würde sich zeigen, dass Behörden nicht konfliktfähig sind und dass sie Vorgaben exekutieren müssen, die einzig und allein der„Qualitätssicherung“ dienen bei schleichend verringertem Mitteleinsatz. Ein Teil der dem schulischen Alltag abgewonnenen Mittel müssen freilich wieder in den Reparaturbetrieb gesteckt werden, was öffentlichkeitswirksam zum Polieren des Schul“profils“ genutzt wird. Außerdem kann man sinkender Leistungsbereitschaft der Beschäftigten durch einschüchternde verfeinerte Leistungsanforderungen für die Masse und neue Planstellen für eine Minderheit begegnen. Und da immer eine Menge „Kompetenzen“ zu erwerben sind, weil die immer neu geschaffene Unsicherheit behandelt werden muss, mag sogar der Eindruck von Fortschritt entstehen.

Und da die kleine skandinavische oder schweizerische Schulrepublik so nicht entsteht, braucht man sich auch keine Sorge wegen selbstbewusster Kollegien zu machen.

P.S.

Wir dürfen die Eltern nicht vergessen – als Spaltpilz, als Versager, als weites Mediationsfeld.

29. 3. 2004 

 

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