Martin Buber säkularisieren? (V.Flusser oder H.v.Foerster?)

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Zu einem Aspekt in Andreas Ströhls Vortrag auf der Tagung in Natal im Dezember 2012:   

Andreas Ströhl hat dort einen Vortrag mit dem Titel “Zur dialogischen Entwicklungsmöglichkeit von Kultur – Vilém Flussers Umdeutung von M. Bubers dialogischem Prinzip” gehalten, der jetzt in: “Vom Begriff zum Bild – Medienkultur nach Vilém Flusser“, Tectum Marburg 2013 veröffentlicht worden ist. Er eröffnet ihn folgendermaßen:

Das utopische Moment im Denken Vilém Flussers besteht,  das ist meine erste These, in der Übertragung einer ursprünglich von Martin Buber geprägten Vorstellung von der Evidenz des dialogischen Erlebens auf die soziale Ebene – und dies unter den technischen Bedingungen einer Mediengesellschaft.

Zugleich findet sich hier der Schlüssel für das fast gewollt wirkende Missverständnis Flussers durch eben diese Gesellschaft. Zum einen nämlich hebt Flusser das bei Buber noch mit Transzendenz unterfütterte Prinzip des ‚dialogischen Lebens’ auf die Ebene der gesellschaftlichen Kohärenz (und säkularisiert es damit unauffällig). Zum andern ist die dabei stattfindende Übertragung des Dialogs auf technische Hilfsmittel, auf reversibel geschaltete, konkret und gegenständlich gedachte Kanäle der Kommunikation, der Grund für die Etikettierung Flussers als eines Medientheoretikers. (….)  (43) und eine halbe Seite weiter:

Die Übertragung des dialogischen Prinzips auf das Wohl und Wehe ganzer Gesellschaften ist die wesentliche gesellschaftstheoretische Leistung Flussers. (44) Später schreibt er:  Es zeigt sich in aller Klarheit die Ausrichtung von Flussers Denken auf eine säkulare, dialogische Sinnstiftung. (50)

Die zuletzt zitierten Sätze sind leicht nachvollziehbar, wenn man Flussers Philosophie kennt. Ich möchte die Aufmerksamkeit aber auf den Beginn zurück lenken, denn Martin Buber kommt im weiteren Text nicht mehr explizit vor.

Die Umdeutung wird bereits im ersten Absatz, und zwar mit leichter Hand vollzogen, als ob es ein Klacks wäre, Bubers Verständnis von Dialog auf soziale Ebene und auf technische Hilfsmittel zu übertragen und dabei unauffällig zu säkularisieren. (43) Mir gegenüber verdeutlichte der Autor in einem Brief, dass er ‚Säkularisieren’ hier wie ‚profanieren’, ‚entheiligen’ gebraucht habe. Der Aspekt scheint dem Autor wichtig zu sein  (50).

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Mir sind diese Formulierungen und die damit verbundenen Vorstellungen ärgerlich. Darüber will ich nicht hinweg gehen. Solche forsch ‚progressiven’ Töne, dachte ich, gehören der Vergangenheit an, zumal ich gerade bei dem Pionier der Kybernetik, Heinz von Foerster  sehe, dass der Buber – wie auch Ortega y Gasset –  eine notwendige Leerstelle in seiner ‚Kybernetik zweiter Ordnung’ besetzen lässt:

Betrachte den Menschen mit dem Menschen, und du siehst jeweils die dynamische Zweiheit, die das Menschenwesen ist, zusammen: hier das Gebende und hier das Empfangende, hier die angreifende und hier die abwehrende Kraft, hier die Beschaffenheit des Nachforschens und hier die des Erwiderns, und immer beides in einem, einander ergänzend im wechselseitigen Einsatz, miteinander den Menschen darzeigend. Jetzt kannst du dich zum Einzelnen wenden und du erkennst ihn als den Menschen nach seiner Beziehungsmöglichkeit; du kannst dich zur Gesamtheit wenden und du erkennst sie als den Menschen nach seiner Beziehungsfülle. (..)“. v. Foerster kommentiert: Da ich Bubers Worten nichts hinzufügen kann, ist das alles, was ich über Ethik und über Kybernetik zweiter Ordnung sagen kann. (KybernEthik, 83 und wieder 150f. nach Buber: Das Problem des Menschen, 1961)

Die Kybernetik zweiter Ordnung haben Madurana und v.Foerster anfang der sechziger Jahre entwickelt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es Systeme gibt, die prinzipiell nicht analysierbar sind. Wer das verstanden hat. Dem werden diese ganzen Metaphern suspekt. Mit von Foerster würde ich also sagen: Die soziale Ebene, das Evidenz erlebende Ich, die Transzendenz und alle weiteren Vorstellungen setzen einander voraus.

Doch stelle ich auch fest, dass Andreas Ströhl an dieser Stelle nur Flussers Verfahren nachvollzieht, die Gedanken anderer Autoren auf nützlich erscheinende Elemente zu reduzieren – bei der Tagung in Berlin 2014 (LINK) kam das bei Rapoport, Huizinga und (wahrscheinlich) Plato zur Sprache – um ihnen so im eigenen entstehenden Denksystem eine dienende Rolle zuzuweisen. Bei Flusser fiel mir allerdings der achtungsvolle Ton auf, so als ob er Buber als moralische Autorität sehe. Ich sehe nun die Gefahr, dass Martin Buber (1878 – 1965) in den Augen gerade der Flussergemeinde zu einem ‚jüdischen Weisen’ mutiert, der nicht in unsere moderne Welt gehört.

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Außerdem frage ich mich, ob Flusser, wie unterstellt, die ursprünglich von Martin Buber geprägte Vorstellung überhaupt säkularisieren konnte, wo er doch seine positive Utopie von der dialogischen ‚telematischen Gesellschaft’ explizit darauf gründet? Welchen inneren wie äußeren Zusammenhalt soll Kohärenz bei Ablehnung des mit Transzendenz unterfütterten Prinzips ‚dialogischen Lebens’ noch bedeuten, der die ‚telematische Gesellschaft’ über jede beliebige hinausheben würde? Ströhls – und wohl auch Flussers – säkulare, dialogische Sinnstiftung bleibt für mich im Alltagsverständnis von ‚Sinn’ eine leere Behauptung. Oder verweist sie bloß auf Flussers wiederholte verzweifelte Formulierungen über einem Abgrund von Sinnlosigkeit?

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Also, muss man Buber säkularisieren? Ich habe noch einmal in Martin Bubers Frühwerk „Ich und Du“ (1923, das Nachwort von 1962) gelesen und gebe gern zu, dass seine Sprache für mich schwer erträglich ist. Doch die Botschaft und ihre Konstruktion erscheinen mir völlig unproblematisch. Rolle und Rang, den Buber etwa Gott in seiner dialogischen Konstruktion zuweist, mag beim Lesen stören. Gott erscheint aber nur in drei Attributen vor dem undurchdringlichen Vorhang,  in Geist, Natur und Person – um ausnahmsweise in die Sprache eines Philosophen, der von Spinoza, zu übersetzen (158). Den daraus erwachsenden metaphysischen Problemen begegnet Buber mit der paradoxen Bezeichnung Gottes als der absoluten Person, d.h. des nicht relativierbaren. (159) Prinzip oder platonische Idee lehnt Buber ab. Person passt. Die anschließende Feststellung, es handele sich bei Transzendenz um eine unbeweisbare Angelegenheit, von der zu reden, eine Sache des persönlichen Zeugnisses sei, könnte vernünftige Agnostiker beruhigen. Sie ist von jeder Art geistiger Freiheit gedeckt, ob religiöser, philosophischer oder meinetwegen auch künstlerischer Freiheit.

Und sie schadet nicht, im Gegenteil. Denn damit ist eine notwendige Leerstelle bezeichnet für ‚unentscheidbare’ (Foerster), von Menschen zu verantwortende Entscheidungen, auch für ein utopisches Moment in Flussers Theorie. Oder will man auf ein primitiveres Denkmuster zurückgreifen, wozu Ströhl an zwei Stellen im Aufsatz bei Flusser Anzeichen bemerkt: das marxistische – er nennt es lieber dialektische Denkmuster? Dann hätte Flusser also Bubers Dialogphilosophie säkularisierend enteignet, um sie – angereichert durch triviale technische Hilfsmittel – durch eine Geschichtsphilosophie des 19.Jahrhunderts wieder zu ‚sakralisieren’.

6.1. /18.2.2014

 

Dialog und Diskurs bei Flusser vereint !   Und zwar in der “Geste des Sprechens”. Wer hätte das gedacht!

Flusser stellt sich immer wieder dumm, posiert als harter Reduktionist für steile Theorien, ob in Reden oder Schreibmaschinentexten. Ich erlebe dieser Tage die befreiende Wirkung von respektlosen Rezensionen Flussers in Feuilletons. Elias Torra (“Getan, fast eh gedacht”, FAZ 22.1.1992) macht mich auf die Geste des Sprechens wieder neugierig, und da finde ich (Gesten, Fischer Wissenschaft 1995, 44f.) folgende Feststellungen Flussers:

Die Unterscheidung zwischen dem dialogischen und dem diskursiven Wort, welche für die Analyse des Gesprächs so wichtig ist, kann bei der Beobachtung der Geste des Sprechens nicht getroffen werden. Das Wort rückt, beim Durchbrechen der Wand des Schweigens aus dem Bereich der verfügbaren Worte in den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, ohne dass es dabei einen Sinn hätte, nach der Struktur dieser Beziehungen zu fragen. Der Sprechende richtet zwar sein Wort an einen Kontext,  redet nie ins Leere, und in dem Sinne ist sein Sprechen immer Anrede, Aussprache, also dialogisch. Aber die Worte, die er formuliert, bilden Ketten, sie sind aus syntaktischen und semantischen Gründen ineinander verhakt, und in diesem Sinne ist die Geste des Sprechens immer eine diskursive Geste. Wahrscheinlich ist der Unterschied zwischen Dialog und Diskurs erst im Gewebe der menschlichen Beziehungen, im politischen Raum zu treffen und im Augenblick des Sprechens noch in der Schwebe: der Sprechende ist, wenn er spricht, noch für Diskurs und Dialog disponibel.(…)

Ja, aber…. In dem Terminus  politisch lugt bereits Flussers Kommunikationstheorie hervor. Die muss ja mit dem Tod der Politik auch die Geste des Sprechens ‘sterben’ lassen. Was das bedeutet, hat er bereits einige Zeilen vorher – ein Heidegger auf seinem ‘Feldweg’ – formuliert:  Die Tore der Worte haben sich sperrangelweit pathologisch geöffnet, und die Logorrhöe des Geredes überschwemmt die Gegend. Man redet, weil man verlernt hat zu sprechen, und man hat es verlernt, weil es nichts zu verschweigen gibt: die Worte haben ihre Strahlen verloren. Es muss in anderen, früheren Situationen, vor der Inflation des Wortes, ein Gewicht des Sprechens gegeben haben, (…) ein maßvolles Sprechen, wie man es noch bei Bauern und einsam Lebenden antrifft, bei welchen das Sprechen sich noch als ein Brechen des Schweigens und nicht als ein Zerreden der Stille auswies. Dieses ursprüngliche Gewicht der Geste des Sprechens, und nicht die leichtfertige Geste des Geredes, gilt es hier zu fassen. (44)  

Wir sind zurück in einer kulturpessimistischen Zeitdiagnose, von deren Nutzen ich keineswegs überzeugt bin. Hat sie doch Heidegger vor gravierenden Torheiten nicht bewahrt. Und ich mag Flusser nicht von Bauern reden hören. Er kommt nicht von der Alp und hat anderswo deutlich gesagt. was er von der heimtückischen Enge des traditionellen Hauses, seinen Mauerlöchern und von seinen Häftlingen hält. (‘Häuser bauen’, in ‘Migranten’: 66f.)

Bilanz? Die Geste des Sprechens scheint für Flusser ein letztlich zu vernachlässigendes, weil ohnmächtiges Moment in einem größeren politischen oder post-politischen Ganzen zu sein. Er sieht die Geste und mit ihr den Dialog im Sterben liegen: Die Tore der Worte haben sich sperrangelweit pathologisch geöffnet, und die Logorrhöe des Geredes überschwemmt die Gegend. – Dagegen sollen ‚reversible Kabel’ zwischen ‚Knoten im universalen digitalen Netz’ noch irgend etwas ausrichten?                              26.1./18.2.2014