Lässt sich die Aura fotografieren?

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Dienstag, den 19.7. 2011 – an einem Tag plötzlicher Wetterwechsel

 

Ich verkläre sie emphatisch zum äußersten Selbstausdruck. Der Schein enthüllt, verhüllt zugleich, bringt in diesem Spiel zur Sichtbarkeit, etwa im Licht der Sonne, der Wahrheit, im gefilterten Licht wechselnder Bewölkung …..

Verlust der Aura ? Walter Benjamin hat sie vorzeitig beerdigt. Die ausgebleichte „Industriefotografie“ der Neuen Sachlichkeit steht mir als doktrinäres Bild vor Augen, etwa vergleichbar mit dem Slogan der 1960er Jahre: ‚Gott ist tot’. Dabei ist nichts so lebendig wie Aura, sie kann in jedem Moment wiedergeboren werden. Aura ist ins Auge eingewandert, dort ist wahrscheinlich schon immer ihr Ursprung. Fotografen können das bezeugen.

Die berüchtigte ‚Reproduzierbarkeit’ ist nichts als die Fähigkeit zur Austeilung, zur Mitteilung, zur Vermehrung der Kraft. Dass ‚die Reproduktion’ gegenüber ‚dem Original’ die Herrschaft übernommen haben soll,  bedeutet dessen Rettung vor Zersetzung und Zerstörung, vor dem Verschwinden, vor allem auch in Vitrinen, in Ausstellungen und dumpfen Lagern, in Bedingungen der reinen Aufbewahrung. Wir haben das Beispiel der Reise-Ikonen Alt-Russlands, der Miniaturrepliken („passeport“) Afrikas, der uendlich vielen Kopien Chinas. Wie funktionieren sie? Als aide-mémoire, Erinnerungsstützen, als Stellvertreter.

Miniaturen im weitesten Sinn sind das Feld der allermeisten Sammler, beginnend mit Eisenbahnen, die nicht mehr fahren, Fahrplänen und Landkarten, Münzen und Aktien, die ihre Geltung verloren haben, Figuren, die ihren Altar oder ihre Festtafel verloren haben, Gemälde, denen ihr Atelier – oft seit langer Zeit – abhanden gekommen ist, ihr schönes Modell oder ihre schöne Aussicht…..

Und sollen etwa nur ‚Kunstwerke’ als Gegenstände Aura besitzen? Nicht auch vergänglichere Existenzen? Davon bewahrt der Ausdruck ‚flüchtig’ eine Ahnung.

Was bedeuten Dokumente in den performativen Künsten? Tritt da nicht dieselbe Verwechslung ein wie bei der angeblichen Idolatrie der Wilden? Hat das Ungenügen der Dokumentationen nicht den eigenen Wert, auf das unwiederholbar Verschwundene zu deuten, es zu be-deuten, so wie das rudimentär bearbeitete Holz die Gottheit, den ‚Geist’? Sind wir damit nicht beim ‚punctum’ Roland Barthes, dem bloß repräsentierten Anderen, das seinen existentiellen Abstand wahrt, wie  nah es auch uns kommen mag?

Mythen mögen verblichen und profaniert sein, der Lichtstrahl, in dem sie sich mit seinem Zauber aufluden, ist mächtiger denn je. Er verwandelt noch immer zahllose triviale Filme und Bildbände. Er gibt gleichermaßen Müllhalden, Industriebrachen, Ruinen, ja Krieg und Gewaltverbrechen, Bildern des Jammers, Kot, dem Entsetzlichem, ja dem Unerträglichem eine – vielleicht nie – gekannte Aura. Erinnern wir uns, wie unbefriedigend  die Ergebnisse der Schönen Künste in früheren Jahrhunderten auf diesem Feld ausfielen, wie grob die ausgefeilten darstellerischen Mittel waren. Wie nah lagen die Szenen aus dem russischen Bauerleben des Malers Venetianov in ihrem sonntäglichen Pathos beim süßen Kitsch. Wie verlogen waren gar Watteaus ‚gebrochene Blüten’ der Jungfräulichkeit oder ‚Die toten Vögelchen’ in der Hand des herausgeputzten Bauernmädchens (18.Jh., Paris).

Nie war die Chance größer, die Welt gemäß der individuellen Sensibilität zurückzuspiegeln.

Die Schwelle der Professionalität, an die meist auch die Verfügung über die materiellen Ressourcen gebunden gewesen ist, ist verschwunden, auch der Anpassungsdruck der Schulen und Stile, der öffentlichen Anerkennung oder der Zensur.

Umso lächerlicher scheint mir das Schielen vieler kunstsinniger Menschen nach Ausstellung und anderen vermeintlich nobilitierenden Ritualen des alten Kunstbetriebs. Das Warten in der menschenleeren Galerie oder auf deren Verkaufsergebnisse – Schicksal vieler in diesem Verwertungskreis verbliebenen Professionellen – spiegelt nur ihre Verfehlung des Ziels, Aura zu erfahren und einen Abglanz davon zu bewahren.

Apropos Abglanz. Dieser Ausdruck gibt eine Ahnung von der Aura, die sich in allen lebendigen Zusammenhängen bis zu homöopathischen Verdünnungen bewahrt, bis hin zu Nachrichten davon oder Anspielungen darauf, eben Legenden …. Ich denke dabei an Mona Lisa, die Venus von Milo oder Marilyn Monroe –  typisch! – deren Ruf so unverwüstlich ist wie der von Reliquien und Heilwassern…

Was ich da fast automatisch hinschreibe, ist auch anderswo schon lange geschrieben worden.

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