Am Samstag die 15. und letzte Oper von Richard Strauss gesehen, die Uraufführung war noch vor dem ‚Zusammenbruch’ von Hitlers Ancien Régime.
Zweieinhalb Stunden im Dritten Rang eingepfercht, die Pause wäre das beste an der Oper gewesen. Aber auch anderthalb Stunden hätten reichlich Zeit für das eitle Wortgeplänkel geboten.
Richard Strauss ließ im Rokoko-Frankreich spielen – Gräfin hier, Gräfin da. Eine Nicht-Handlung nach der Textvorlage eines Abbé – todsicher vorrevolutionär verhurt und versoffen – inszeniert Eifersüchteleien zwischen „Text“, „Musik“ und „der Theater-Regie“ in Gestalt dreier brünstiger Männer einschließlich eines Schmalzkomponisten und eines ‘Weinstein’, eine Konstellation, die außerhalb der Bühne Shitstorms ohne Ende ausgelöst hätte. Bietet heute allein ‚das Theater’ privilegierte Freiheit zur öffentliche Obszönität? Ich wüsste Lohnenswerteres.
Trotzdem sehr deutsch ist die Behandlung des angeblichen „Liebesfeuers“, weil todernst leere Werbesprüche geblubbert werden.
Unendlich viel redundanter Sprechgesang – die immer wieder vorgebrachten sogenannten ‘Lebensweisheiten’ sind von unterirdischer Banalität – untermalt mit Schrummschrumm aus dem Orchestergraben. Von Zeit zu Zeit röhren zwischen vier und acht professionelle Solistenkehlen aufs Mal. Sie kennen sicher den scharfen Klang, wenn Tenöre erst einmal loslegen. Formel eins.
Regisseurin Fassbaender – als Gesangslehrerin hatte sie einen guten Ruf – verlegt das Nichts an Handlung – wohl wegen des Librettos, sicher Weltkulturerbe – in ein fiktives Frankreich – „nach Paris“, „des Königs“ u.s.w – aber des Jahres 1942. Das Jahr der deutschen Erstaufführung war Besatzungszeit, was mit dem einen Spielzeugpanzer schiebenden Jungen, einem verfrühten Poster „Liberation“ und einigen Minuten hektischer Diaprojektionen schwarzweißer Kriegsmotive abgehakt wird, die ein heftiges Wortgefecht unter den Sängern begleiten. Natürlich sollen wir den folgenden Regieeinfall nicht vergessen: Ganz am Schluss bewegen sich diskret stilisierte Juden mit Koffern von rechts nach links über die Bühne. Alles stumm, denn dazu lieferte der Abbé als Librettist ja keinen Text.
Das viertelstündige Lamento des alternden ‘Theaterregisseurs’ – angeblich repräsentiert er Christoph W. Gluck (LINK) – würde ich gern im Original unter der Diktatur mitgehört haben. Egal, auch wenn es nicht zensiert worden wäre. Jedenfalls wird das Lamento durch reumütige Bravorufe der übrigen Salonbesucher gleich auf der Bühne aufgefangen. Wie überhaupt jeder denkbare kritische Einwand wortreich übernommen wird. Eine Publikumsbeschimpfung der besonders abgefeimten Art.
Apropos Bravorufe. Ohne die Begleitung durch meine Frau hätte ich ein paarmal etwas dazwischen gerufen oder geklatscht. Das wäre angesichts der bräsigen Abläufe technisch kein Problem gewesen. Ich hätte gern gewusst: Wann schmeißen die einen raus und wie kriegen die das bewerkstelligt? Aber am Ende ging mein einzelner Buhruf im frenetischen Begeisterungsgeschrei unter. war Nicht ein einziges Hüsteln oder Rascheln war während der zweieinhalb Stunden vorher zu hören gewesen. Dabei haben wir bereits Herbst! Kulturkastraten! Eigentlich kein Wunder, bei soviel subventionierter Kultur um uns her!
Der achtundsiebzigjährige Komponist Richard Strauss gab sich während Hitlers Krieg für eine frivole ‘Oper über Oper’ her. Das hielt er für geistreich oder ‘Widerstand’? Wie weit war seine Vergreisung fortgeschritten? Es wurden relativ wenige Choristen benötigt, doch viele relativ tragende Rollen plante er ein. Wer bekam sie? Ich denke dabei an Wünsche nach ‚Unabkömmlichkeit’ an der ‚Heimatfront’. Dachte auch Strauss daran?
Als nächste Aufführung ist am Opernhaus Frankfurt „Hänsel und Gretel“ angekündigt, Hitlers Lieblingsoper. Was sind das für restaurative Zeiten. Lakaien sieht man auch schon an allen Ecken, zum Beispiel mit Lieferdienst-Rädern. Nicht umsonst war die Oper Frankfurt das „Opernhaus 1941/42“, oder doch erst „2021/22“?
Diese Leute wollen ein neues Gebäude für ein halbe Milliarde? Macht doch einfach zu, wenn euch die Feuerwehr den Betrieb nicht mehr erlaubt oder die Stadt pleite ist!
Gib den jungen Leuten einen Job, und schon singen sie. Sänger*innen scheinen ihre Intelligenz mühelos abschalten zu können. Das gehört wohl zur Ausbildung. Aber schade ist sinnlose Verschwendung immer.
Postscriptum
Schwacher Trost in der Wochenendausgabe der FAZ: In München hat man aus Mozarts „Cosi Fan Tutte“ („So machen es alle“) vier gequälte und kopulierende Stunden gemacht. Schlimmer geht’s immer.