Frankfurter Dialog über ominöse Objekte

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Über Fritz W. Kramer: Ominöse Objekte. Fundsachen in der Kunstwelt  in: Gottowik, Jebens, Platte : Zwischen Aneignung und Verfremdung – Ethnologische Gratwanderungen – Festschrift für Karl-Heinz Kohl, Campus 2009. S.513-21Kramer lehrte als Ethnologe bis 2006 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.

 

                                     DIALOG am 5.10.10

 

Wohl um 1990 entdecken junge Künstler die Objektkunst für sich und wähnen sich in der provokativen Tradition der Klassischen Moderne (z.B. Duchamps).

Sie erkennen die verschiedenen Strategien nicht, mit Hilfe derer sich ein breites Publikum jede Art von Kunstbotschaften verdaulich macht.

Donquichotterie ?

In dem Sinne, dass sie eine Situation als gefährlich einschätzen und Abenteuer zu erleben glauben, die sich als ungefährliche Sandkastenspiele erweisen – in der westlichen Welt, außerhalb gibt es noch Hindernisse: eine postkommunistische Diktatur mit Zensur, generell eine unvollständige Säkularisierung der Köpfe, ja sogar fundamentalistische Gegenbewegungen wie Islamismus oder Evangelikale in den USA.

Und die Mechanismen der Entschärfung?

Die pseudo-sakrale Weihe von Ausstellungsräumen wie Museen, die alle Exponate

von jedem Bezug zu den profanen Zwecken, denen sie zuvor gedient haben mochten, befreit (514) ist ein Mechanismus – zugleich die Existenzbedingung der weitgehenden Liberalität der Kunstsphäre

‚Repressive Toleranz’?

…. die jede Bindung an Religion bzw. konservative Werte verloren hat bzw. in Opposition dazu steht.

Hat die ästhetische Moderne sich totgesiegt?

Wenn du damit die vollständige Dekontaminierung bis zur Sterilisierung des Angebots meinst, ja. Mir fällt die entsprechende Technik der Nahrungsmittelindustrie ein.

Pfui, du bist eklig!

Das Recycling von Essensresten zu neutralen Nährstoffen ist auch ästhetisch eine Realität. Als sie im Schweizer Fernsehen ‚die Schweinesuppe’, gegen deren Verbot in der EU mittelständische Hersteller protestiert hatten, in Großaufnahmen zeigten, wurde mir fast schlecht.

Hätten dich die Filme von Mühl und Brus dann nicht auch geekelt? (519f.)

Lass mich etwas weiter ausholen: Der zweite Trick heißt Ästhetisierung, als Ablenkung vom vermeintlich Sinnlosen (517) – da waren es Deutungen, die in einer Metapher zur Ruhe kommen mochten – oder die Ablenkung von Anstößigem und vielleicht gar Widerlichem. Bei diesen Filmen tauchten den Versuchspersonen des Psychologen Heubach immer wieder in aller Farbigkeit Qualitäten des Essens auf. (518)

Na also!

So einfach ist es nicht. Erstens findet das Ganze in dem dekontaminierten Kunstraum statt. Zweitens sind die Exzesse inszeniert, so wie in Horrorfilmen oder Pornografie. Die genretypischen Grenzen sind uns im Hintergrund immer bewusst, wir sind durch das Angebot der entfesselten Massenmedien darin geübt. Jeder BILD-Leser kann diese Grenzen nachvollziehen und weiß, was es heißt, wenn das Grauen in den Alltag einbricht, ‚mitten in Deutschland’. Ich muss jedenfalls bei der Erwähnung von Schweinefleisch immer noch an die ‚Schweinesuppe’ denken. Sie gehört überall verboten! Lass uns von etwas anderem reden!

Hatten die Traumtänzer in der Darstellung deines Professors noch persönliche Motive über die verkünstelnden Strategien hinaus?

Sie gingen mit ihnen sehr locker um, Der Zauber war von kurzer Dauer. Die jungen Künstler (ersetzten) ihre ästhetisch erfahrenen Objekte ohne Bedauern und mit spielerischer Leichtigkeit durch andere (520).

Fritz Kramer ist doch Ethnologe…

Er wollte mit dem Beitrag zur Festschrift einem Kollegen eine Fußnote schenken. Dessen Hauptwerk hat den Titel ‚Die Macht der Dinge’. Die Fundsachen der Künstler vergleicht er darin afrikanischen Wahrsagefigürchen mit kurzlebig beigelegten Bedeutungen.

Und sie selber mit Wahrsagern? –

Ja, unter dem Aspekt, dass auch sie ihren Klienten Fundobjekte als bedeutsam präsentierten, sie deuteten und dann zurücklegten (521).

Und ersetzen die Klienten der Künste nicht ebenfalls ohne Bedauern und mit spielerischer Leichtigkeit Veranstaltungen und Künstler durch andere, vergessen sie nicht das Gesehene noch auf der Veranstaltung selbst? Mich wundert regelmäßig im ‚Programmkino’, dass die meisten Besucher, nachdem sie im Film sogar Reaktionen gezeigt haben, anschließend sofort zur Tagesordnung übergehen, besonders wenn sie in Gesellschaft sind. Und wie sie am nächsten Tag ganz zerstreut schon wieder das nächste Programm konsumieren können, ohne daran zu ersticken.

Aber bezogen auf das persönliche Interesse der Künstler an ihren Objekten (517) schreibt Kramer: Die Suche nach Fundsachen und die Arbeit an den Objekten ermöglichte es ihnen, an … oft allzu trivialen Gegenständen … eine ästhetische Erfahrung zu machen, das Prekäre, das Angsterregende und das Verbotene aber in eine Distanz zu rücken, in der es erträglich wirkte, ohne sich ihrem Zugriff ganz zu entziehen.(518).

Ich sehe darin eine Parallele zwischen den Künstlern und ihrer Klientele: Auch das Publikum, wenn es sich überhaupt und vorübergehend auf die Exponate einlässt, um sie subjektiv zu nutzen, lässt sie dann wieder leichten Herzens am Ausstellungsort. Die zerstreute Bearbeitung  unbestimmten Verlangens und scheinbar gegenstandsloser Angst (520) mittels Medien erscheint mir typisch für eine Gesellschaft, die Richard Sennett bereits 1977 in ‚Verfall und Ende des öffentlichen Lebens’ in ihren Arbeitsbeziehungen eindrücklich beschrieben hat: ‚Je weniger die Position einer Person mit dem identifiziert wird, was diese Person kann, desto mehr orientiert sich die Bewertung an ihren ’Anlagen’, an ihrer Anpassungskraft und ihrer’Mitmenschlichkeit’… sodass der Arbeitende funktional jegliche Distanz zu seiner materiellen Situation verloren hat. Er wird nach seinem „Potential“ beurteilt.(Sennett : 370). Die gesellschaftliche Stellung (erscheint) als Ausfluss individueller’Anlagen’. (a.a.O.372).

Je mehr im gesellschaftlichen Zusammenleben inzwischen den Wert expliziter Kritik (‚ausdiskutieren“’) wieder aufgegeben wird zugunsten eines diskreten Hinzu- und wieder Wegtretens, gibt es Gründe genug, die permanent vorhandene innere Unruhe mit Hilfe des breiten kulturellen Angebots – und das seit dem Internet nicht mehr bloß in den Metropolen – zu beschwichtigen, ohne mit dem ephemeren Kultobjekten eine feste Bindung einzugehen.

Die Künstler bieten also eine Dienstleistung, die immer wichtiger für die innere Balance, (nicht Stabilisierung) der Menschen wird. Sennett hat für die europäischen Metropolen im 19.Jh. das Vordringen der Persönlichkeit in die Öffentlichkeit beschrieben und im Zusammenhang damit zwei Identitäten: auf der einen Seite der außerordentliche Akteur, auf der anderen die Zuschauer, die es sich in ihrer Passivität bequem machen können. Ihre Gaben sind geringer als die seinen, aber er stellt keine Herausforderung für sie dar. Er ’regt sie an’. (232)

Gegen dieses Verhaltensmuster hebt sich die Radikalität des existentiellen Sammlers ab.

Lassen wir es für heute gut sein. Ein andermal!

 

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