Tätiges Bemerken oder Sammeln, Fotografieren, Schreiben

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Anlass gab mir Reiner Speck: Peter Ludwig, Sammler (insel tb.,1986)

Sammeln erwächst aus alten Leidenschaften des tätigen Bemerkens“ (Wilhelm Salber).

Im heiter belebten Park fällt mir dieser Satz wieder ein. Und dass er genauso oder noch mehr für das Fotografieren gilt – weniger für inszenierende Fotografie. Schnappschüsse vor allem feiern das Leben, den Moment, den sie aus dem Strom herausheben. Sie zeigen gleichzeitig den Menschen, der sie auslöst. Er kann sich nicht herausreden.

Auch Fotografieren ist Thesaurieren, Schatzsuche und Schätze Ansammeln. Das Motiv des hedonistischen Stehlens (18) spielt auch eine Rolle, was keiner Erläuterung bedarf.

Mich hat schon immer daran das Wunder der Transsubstantialisierung interessiert, ganz pragmatisch. Die Verwandlung in ein Bild ist eine Methode, die wesentliche Seite einer Sache zu bewahren und dafür die Sache wieder loslassen zu können. Seit der Kindheit herrschte chronischer Platzmangel, der vor allem das Sammeln, nicht das Aufheben an sich, sondern das Aufheben schmerzlich begrenzte.

Die Sammlung von Miniaturen ist ein anderer Weg, aber man muss das Finderglück beim Schopf packen. Eine Zeitlang habe ich auf eine Sammlung für den ‚Fluchtkoffer’ hin gearbeitet.

Das fotografische Bild erlaubt jedoch auch das Einfangen weit größerer, unerreichbarer oder absolut stationärer Objekte und Visionen und kann damit die Bewahrung des kostbaren Moments der Begegnung verbinden  – etwa wie das Licht fiel – oder mit einem damit verbundenen Ereignis.

Das gilt eingeschränkt auch für die Zeichnung, die Ölskizze. Doch so dicht mit Informationen bepackt kann nur ein Foto sein. Die technische Entwicklung hat dessen Ökonomisierung und Miniaturisierung ins Unvorstellbare getrieben.

Mit dem Abbild gewinnt man also einiges, es ist keineswegs bloßer Ersatz, ebenso wenig die damit verbundene Leidenschaft – etwa für ‚echte’ Leidenschaften, wie das Vorurteil meint.

Es geht aber im Moment des Fixierens zweifellos auch viel verloren, die Wandelbarkeit der Wirkungen des Motivs beispielsweise. Das Foto ist ein neuer, anderer Gegenstand mit eigenem Schicksal. Den ursprünglichen Zeitzeugen und authentischen Repräsentanten kann es nicht ersetzen. Als Reflex, Stellungnahme und Kommentar dokumentiert das Bild bereits die Wirkung des Originals in der Welt, seine Wirkungsgeschichte.

Man lebt auch mit Bildern, aber doch eingeschränkt, verglichen mit dem, was Gegenstände bieten: Was von Peter Ludwig und bereits seinem Vater berichtet wird, gilt auch für mich: „das Erlebnis des Sammlers, seine jüngste Erwerbung von Raum zu Raum mitzunehmen, tagsüber vor den Schreibtisch zu stellen und abends neben das Bett“. (22)

Die Geschichte des Sammler-Paares Ludwig bietet mir zwei interessante Facetten:

Erstens kommen sie vom Buch her, vom Studium, nicht vom Fetisch.

Zweitens sind sie Exempel der paradiesischen „Wunscherfüllung“ (12). Sie sind das ‚Höchste’, was Sammler werden können, wohlgemerkt als erfolgreiche Unternehmer, als Team, als reflektierte Einheit. Nie war einer allein seinen Obsessionen ausgeliefert. Nie haben sie sich – auch nicht als Kunsthändler – krümmen oder verbiegen müssen. Es ist gut für die eigene Bescheidenheit, bei allem berechtigten Stolz des kleinen Sammlers,  sich auf diese Weise an den großen Tieren zu messen.

Doch auch der von R. Speck eingeschlagene Weg, über das Wie des Sammelns dem Sammler auf die Schliche zu kommen, ist nachahmenswert.

Ich habe immer Wert auf Feldfotos gelegt. Ich will die ganze Spannweite der Bedeutungen erlebbar machen, die ein Ding hat, darunter auch seine Geschichte. Als alter Basisdemokrat sehe ich nicht ein, dass nur kanonisierte Kunst, „die Beute der Sieger“ (Benjamin) eine solche Dimension haben soll. Und ich bemühe mich, meine Sammlung zu schützen, weniger vor Dieben und Verfall, als vor Missachtung. Ich  sehe sie als eine Vielfalt von Überlebenseinheiten, strebe danach, einzelne Stücke zu Gruppen zusammenzufassen. Es soll darin eine Stimmigkeit entstehen, auch wenn sie nur von einer Ausstrahlung herrührt, die aus der ästhetischen Qualität, der Entstehungszeit, dem Material oder Wettereinflüssen entstehen konnte. Diese Einheit möchte ich nicht wieder auflösen. Jetzt jedenfalls noch möchte ich keinen Teil davon missen.

Auch das Schreiben gehört in diesen Zusammenhang, eine noch radikalere Transformation. Begriffenes Leben ist ergriffenes Leben. Wenn „das Kunstwerk .. eine größere ontologische Dichte“ hat als jedes andere Sammelobjekt, so erst recht das Geschriebene, an dem so viel an gelebtem Leben haftet, dass wir uns nur wundern können, zum Beispiel Erinnerungen. Beim Lesen wird – ähnlich wie beim Betrachten eines „Kunstwerks“ oder „unscheinbare(r), aber schöne(r) Dinge“ (41) – ein Text wieder „zum Leben erweckt“ (21) durch Entdecken von Bezügen und tätigem Kunstgenuss.

 

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