CHINA AUS DRITTER HAND 3 + 4 : „SOCIAL CREDIT“ mit Mark Siemons

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CHINAS „SOCIAL CREDIT“ BEI MAREIKE OHLBERG UND MARK SIEMONS

Man könnte vielleicht auf die Idee kommen, ich hĂ€tte persönlich etwas gegen Mareike Ohlberg, weil ich ihren beruflichen Werdegang aufspießte. Dank www.telekom.com (das was verbindet oder Ă€hnlich), gibt es „Inside china – eine Expertin erzĂ€hlt“, 08.04.2019 (LINK). Dort lernt man dazu, ehrlich.

Nach kurzer Zeit wird nach dem berĂŒchtigten „Social Credit“ System gefragt.

Mareike Ohlberg: Bei dem Wort “System“ denkt man ja hĂ€ufig an ein zentral gesteuertes System. Das ist hier nicht der Fall. Das Wort System muss hier eher als gesetzlicher Rahmen verstanden werden. Das heißt, das ist eine riesige Initiative und da laufen diverse Projekte, die sowohl BĂŒrger als auch Unternehmen auf Basis von grĂ¶ĂŸeren Datensammlungen bewerten sollen.

 Das Jahr 2020 wird hĂ€ufig genannt. Es ist allerdings so, dass bis 2020 kein einheitliches System einer zentralen Regierung stehen wird. Das kommt in den PlĂ€nen vor, die die chinesische Regierung herausgegeben hat. Die haben 2014 einen Hauptplan herausgegeben, da kommt dieses Datum vor. Es wird aber noch weitergefĂŒhrt werden nach 2020.

 Der erste Satz trifft schon ins Schwarze, trifft voll den Popanz eines „zentral gesteuerten Systems“, wie man es seit der Schulzeit kennt. Dagegen mĂŒsste „gesetzlicher Rahmen“ uns gerade in Deutschland bekannt vorkommen. Der Föderalismus – der ‚real-existierende‘ – vermĂŒllt nicht nur im Fall des Corona-Aktivismus Tag fĂŒr Tag die Nachrichten-Sendungen.

Auf die unvermeidliche Frage nach dem „Datenschutz“ differenziert Mareike Ohlberg :

Es gibt in China entgegen unseren Erwartungen tatsĂ€chlich auch Datenschutzgesetze und eine Datenschutzdebatte. Das Problem ist allerdings, dass die sehr fokussiert ist auf Unternehmen. Das heißt, Datenschutz vor Unternehmen wird durchaus debattiert und in Teilen auch durchgefĂŒhrt, aber Datenschutz vor der Regierung existiert so als Konzept nicht.

 Es wĂ€re gut, wenn man im Laufe diverser „Sicherheits“- und SeuchenbekĂ€mpfungsdebatten hierzulande immer vor Augen hĂ€tte: Datenschutz vor der Regierung existiert immer noch als Konzept, das ist aber relativ jung.

Ohlberg: Auf chinaweiter Ebene gibt es vor allen Dingen die „schwarzen Listen“ als Instrument. Da werden bestimmte Vergehen von BĂŒrgern erfasst, das ist vor allen Dingen Verschuldung. Wenn ein Gericht festgestellt hat, man hat seine Schulden nicht zurĂŒckgezahlt, dann wird man auf diese schwarze Liste gesetzt und wird massiv eingeschrĂ€nkt. Kann keine Zugfahrten mehr machen, kann nicht mehr fliegen, kann gewisse Hotelklassen nicht mehr besuchen. Und fĂŒr Unternehmen gibt es Ă€hnliche Vergehenskataloge durch die Unternehmen auf eine schwarze Liste kommen können. ZusĂ€tzlich dazu gibt es Piloten auf lokaler Ebene, wo BĂŒrger tatsĂ€chlich bereits von ihrer Regierung bewertet werden. Das ist im Moment aber noch sehr lokal begrenzt und variiert sehr stark.

So etwas gehört international zu den ‚Sanktionen‘, aber im Innern souverĂ€ner Staaten wird das Konzept erst interessant! Ich fĂŒrchte manchmal, „grĂŒne“SystemverĂ€nderer könnten sich von der Idee schwarzer Listen anregen lassen, die „Alternative fĂŒr Deutschland“ und „Graue Panther fĂŒr Deutschland“ ohnehin, da zwei Generationen verwöhnter und unerzogener junger (nicht nur) MĂ€nner in bĂŒrgerlichen und parallelen Milieus keine Grenzen mehr anerkennen.

Ohlberg beruhigt sie, falls sie jetzt Panik bekommen:

In dem Ausmaß, wie es in China jetzt existiert, wird es hier nicht eingefĂŒhrt werden, aber das System ist auch an vielen Stellen missverstanden, weil es als das eine große zentrale System gesehen wird und sobald man so ein bisschen ins Kleinteilige geht, sieht man durchaus auch Parallelen. Also Bewertungen von Leuten durch große Internetkonzerne, durch Facebook, durch Twitter. Da wird man auch bewertet, da wird ein Profil von einem erstellt, oder Bewertung von Menschen fĂŒr Versicherungen, fĂŒr diverse Sachen. Also, es ist uns nicht völlig fremd, aber in dem großen Ganzen, wie es in China zusammengesetzt wird, ist es natĂŒrlich noch mal was ganz anderes.

Ohlberg resĂŒmiert: Wir brauchen zu dem Thema eine differenzierte Debatte, in der wir uns die Einzelteile des chinesischen Systems – das nicht das eine große zentral gesteuerte System ist – sondern in der wir uns die Einzelteile anschauen, ohne gleichzeitig das Ganze zu verharmlosen.

           „AUFESSEN!“ ABER SICH DEN MUND NICHT VERBRENNEN !

„AUFGEGESSEN!“ – Glosse von Mark Siemons im Feuuilleton der FAZ vom 25.AUG. 2020 (NR.197, S.9)

„Seit zwei Wochen lĂ€uft in China die „Leerer-Teller-Kampagne“, und von außen kann man nur staunen, wie rasch es ihr offenbar gelingt, neue Verhaltensstandards zu setzen. Staatschef Xi Jinping hatte die Lebensmittelverschwendung im Lande als schockierend bezeichnet ….: „Sorgt fĂŒr ein gesellschaftliches Klima, in dem Verschwendung als beschĂ€mend gilt und Sparsamkeit als lobenswert.“ Gesagt, getan. In vielen der Restaurants, in denen es bisher als Zeichen der Gastfreundschaft und der GroßzĂŒgigkeit galt, viel mehr zu bestellen, als die Eingeladenen essen können, ist jetzt die N1-Regel in Kraft getreten: FĂŒr sechs GĂ€ste dĂŒrfen höchstens fĂŒnf Gerichte bestellt werden. Eine Kellnerin wird als „Essensverschwendungsaufseherin“ abgestellt … Manche GaststĂ€tten beurteilen ihr Bedienungspersonal schon danach, ob sie es schaffen, den GĂ€sten von zu großen Bestellungen abzuraten; andere bestrafen schon die GĂ€ste selbst, wenn sie nicht aufgegessen haben.

Verboten wurden die „Mukbang“-Videos im Netz, eine aus SĂŒdkorea importierte, rĂ€tselhaft populĂ€re Mode, bei der sich einsame Esser beim vertilgen unfassbarer Fleischmengen filmen lassen.Stattdessen kann man jetzt einigen dieser frĂŒheren „Großer-Magen-Könige“ dabei zusehen, wie sie MenĂŒs genug sein lassen.Ein neuer Online-Trend ist auch, nicht nur wie bisher Fotos vom essen zu posten, sondern auch vom leeren Teller danach….

 ÜberflĂŒssig zu erwĂ€hnen, dass auf den Tischen drehbare Platten mit den Gerichten stehen, also niemand zu kurz kommt. Auf unserer China-Reise 1988 besuchten wir kaum Restaurants, aber ein Szene in einem neueren TV-Feature blieb mir in Erinnerung. Der Gast einer Familienfeier, der vom Land kam, bedauerte lebhaft, dass er nichts von den Köstlichkeiten einpacken und mitnehmen könne.

Die chinesische Sektion des WWF beziffert die Menge weggeworfener Lebensmittel auf 17 bis 18 Millionen Tonnen jĂ€hrlich; 38 % des in Restaurants bestellten Essens wird entsorgt….

 Der Autor und langjĂ€hrige Feuilleton-Redakteur Mark Siemons (1959*) schrieb zwischen 2005 und 2014 sehr interessante und hintergrĂŒndige BeitrĂ€ge aus Peking. (LINK)

Ich freue mich sehr, ihm hier in alter Frische wiederzubegegnen. Mehr solcher Miniaturen!

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