Nachtrag zum Schopenhauer Jour Fixe in Form einer Hypothese

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Nachtrag zum Fragenkatalog in Form einer Hypothese 

Als naiver, aber energischer Entdecker habe ich während des Jour Fixe bei Schopenhauer den säkularen Trend zur Verlagerung der moralischen Instanz ins Innere des Menschen gespürt und abgelehnt, weil ich eine Linie vom besseren Ich zu den diversen Neuen Menschen zog. An Schopenhauers Rezeption durch Nietzsche lässt sich das festmachen. Ich habe aber auch eine ebenso präzise wie weitgespannte Stilanalyse zur Seite: die von Heinz Schlaffer *. (Die Ziffern verweisen auf Seiten)

Auf die 4. Frage an Urs App: Was blieb wohl vom Asiatischen nach den Übertragungen durch Anquetil und Schopenhauer? ergibt sich aus Schlaffers Kapitel „Ich“ die Antwort: nichts! 

Bereits bei Nietzsche ist das bessere Ich, die Lebensverneinung, an ein westliches  revolutionäres, politisch-soziales Projekt gebunden, das zur planmäßigen Verwirklichung drängt.  Mit der Züchtung eines höherwertigen Menschentypus, der auf Selbstdisziplinierung und Ablehnung der „Tathsache Mensch“ (123) gründet, sind wir bereits bei einer Karikatur.  Hitler zeigt: Das und der absolut Böse (J-P. Wolf: Pantheismus nach der Aufklärung) haben darin Platz.

Weisheit und Askese streben in Asien traditionell nicht nach Umbau der sozialen Beziehungen und der Menschen, haben im Gegenteil dem Willen zur Macht abgesagt.

Die tibetische Theokratie war als hinterwäldlerisches feudales Phänomen ein eigener Fall.

Die Taiping-Revolution Mitte des 19.Jahrhunderts und der Maoismus, die solche revolutionären Konzepte praktizierten, waren stark westlich beeinflusst.

Ebenso außerhalb dieses Denkhorizonts liegt eine Selbstvergottung a-theistischer  Genies.

Wie Schlaffer zeigt, war das Resultat moderner westlicher Selbstdisziplinierung bloß Selbststilisierung (127) anstelle einer Vergeistigung. An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen.

Mit der pietistischen Spiritualität des 18.Jh. musste Schopenhauer ja schon eine Kröte schlucken. War die Hoffnung Schopenhauers, das spirituell ausgelaugte, als Kirche im 19.Jh. gründlich desavouierte Christentum mittels Asiatica umgehen zu können, tragfähig?

War deren Religiosität nur nicht so sichtbar und  nicht so aufdringlich wie in den Monotheismen? Deren Kirchen samt Klerus hatte man sowieso nicht vor Augen

Schopenhauer hat seinen eigenen  Höhenflug gebremst, das bessere Bewusstsein  nicht bloß pragmatisch, sondern mit Bedacht in die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung eingepasst. Seine Vertrautheit mit französischen und angelsächsischen Denkweisen und Konzepten hat ihn vor einem deutschen Sonderweg bewahrt., mit der Konsequenz, dass er posthum nur in griesgrämigen kulturpessimistischen Teilen des Bürgertums Anklang fand. Freud gehört auch dazu. Sein abtrünniger Schüler Nietzsche aber hat ihn verlassen und mit ihm die späteren aggressiven Fraktionen – alle Arten von verstiegenen Lebensreformern, Neuerern  und Revolutionären bis hin Faschisten und Nationalsozialisten.

26.1.2013

P.S.   (28.1.)

Ich habe im Grunde in den letzten Tagen einen Ausflug gemacht: Ich wanderte im „heroischen Zeitalter der deutschen Literatur und Philosophie“ (151)  vor die Mauern der Stadt Frankfurt, die Schopenhauer noch Halt gaben, zu Nietzsche. Philipp Mainländers Offenbach lag übrigens gar nicht weit abseits des Weges nach Basel und in die Maßlosigkeit.

*Lit.:  Heinz Schlaffer: Das entfesselte Wort – Nietzsches Stil und seine Folgen, Hanser,     München 2007

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