Flusser wäre dieses Jahr Hundert geworden ….. Hausarrest (FS 29)

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Upload 24.Mai 2020 – aber damit ist die Sache ja noch nicht erledigt!  >>>> PostScriptum!

FLUSSER STUDIES 29 (LINK)    ” Part I: Vilém Flusser May 1920 – May 2020 = 19 BEITRÄGE

MEIN IMPULS

Detlev von Graeve
Flusser wäre dieses Jahr Hundert geworden und die Menschen haben Hausarrest

Was ist da angemessen? – Schließlich ist der Jubilar bereits tot; vor vier Jahren begingen wir seinen 25. Todestag – Pietät? Äußerungen der Dankbarkeit? Anekdoten? Erinnerungen an voraus weisende Gedanken? Noch eine Ehrung mehr? Vorsichtige Korrekturen? Was kann ich überhaupt den Menschen vermitteln, die wie ich Vilém Flusser wertschätzen, aber vielleicht anders?
Wer stirbt, bleibt mit seiner Lebenszeit zusammen unweigerlich zurück. Wie Flusser „in der Erinnerung anderer weiterleben“ (Zitat auf einer CD) kann, hängt konkret von uns ab. Und von unserer Situation, in der uns die Aufforderung erwischt, etwas zu schreiben. Sind Sie wie ich eigentlich mit dem Kopf meist woanders? Hängen Sie in Ihrer akademischen Hausarbeit durch? Kritisieren Sie gerade eine andere Auffassung zu Flusser oder entwickeln Sie gerade eine neue Perspektive?
Die aktuelle Lage kann ich nicht ausblenden. So dramatisch und mit Energien aufgeladen wie sie ist, stellt sie den Umgang mit Flusser auf den Prüfstand, in einem Fall eine vor allem archivarische oder philologische Orientierung, im andern der Mangel an Distanz zu Flussers Texten, im dritten vielleicht mangelnde Ernsthaftigkeit und Geduld mit Flussers Texten, selbst wenn der Impuls, die theoretischen Erkenntnisse Flussers praktisch werden zu lassen, erkennbar ist.
Wenn Vilém Flusser sich selber zeitlebens auch nicht zum ‚Zeitzeugen’ hergeben wollte – sei es als Brasilien-Korrespondent fürs deutsche Feuilleton oder während der Wendejahre 1968, 1989 oder 1990 – und darin als Vorbild ausfällt, so berührt doch die aktuelle Weltkrise unmittelbar seine zentralen Themen, den Kern seiner Vision, ob man sie mag oder nicht. Die folgenden Beispiele sind jedermann bekannt, aber für mich gehören sie an diesen Ort.

Wir erleben weltweit Hausarrest in „Ruinen“, aber das Haus ist wenigstens „verkabelt“. Wir sitzen vor Computern oder blicken über unsere Armbeuge auf ständig empfangsbereite Smart-phones, um nicht an sozialer Isolation und Langeweile zu sterben. Über digitale Netzwerke sind wir uns noch am nächsten. Zugleich ist diese Vernetzung die Basis totalitärer Überwachung.
Zu den „faschistisch“ gebündelten öffentlichen Medien, die gerade volkserzieherische Botschaften verbreiten, sind mittlerweile global organisierte „dialogische“ Netzwerke getreten, zu einer Flatrate verfügbar, in denen entfernte Individuen mit einander intim werden, wenn auch oft viel kollektiver und aggressiver als „analoge“ fremde Nachbarn.

Wenn wir in Autos „herumirren“, wie Flusser es in dem Essay „Häuser bauen“ formuliert hat, geraten wir in Verkehrsstaus und an geschlossene Staatsgrenzen, die uns daran erinnern, dass das Problem menschenwürdiger Mobilität nicht gelöst ist.
Wir begegnen einander maskiert und mit Ängstlichkeit. Erlaubter Körperkontakt ist Privileg, aber oft mit psychisch belastender gemeinsamer Klausur verbunden. Flusser hat bekanntlich den menschlichen Körper aufgegeben, in einem SPIEGEL–Interview imaginierte er sogar „zerebralen Sex“, aber schien sich eher davor zu ekeln.
Slowdown und Shutdown bis auf systemnotwendige Funktionen werden von Hochrechnungen und anderen im „Apparat“ errechneten Informationen gesteuert. Kurven sollen abgeflacht werden. Bezahlt wird der Krieg gegen „Corona“ mit unvorstellbar viel virtuellem Geld. Manche sagen, dass danach die Welt eine andere sei.
O Gott, schon wieder? Noch mehr Beschleunigung? Noch mehr Amazon, Foodora, digitales Tracking, Gesichtserkennung, Apple Watch, Bots,….?
Selbst die kulturwissenschaftlich orientierte akademische Jugend ist drauf und dran, zu betriebsblinden „Funktionären“ zu regredieren. Sollten sie die üblichen Nebenfächer oder Aufbaustudien nicht wechseln, oder nicht einfach aussteigen? Den unternehmungslustigen Teil der jungen Generation würde ich gern daran erinnern, dass inzwischen manche clevere Geschäftsidee zur sozialen, ökonomischen und kulturellen Abrissbirne mutiert ist. Ihre von „Spiel“ und Kreativität bereicherte Schwarmintelligenz ist höchst gefährlich, auch wenn garantiert eine Instanz im „Apparat“ zur unserer Beruhigung das Ergebnis schön rechnet. – Ihr habt die ‘digital’ genannte permanente Revolution als ‘Lebenswelt’ vorgefunden, und von Anfang an laden  vielleicht ebenso junge “programmierte Programmierer” euch dazu ein, für euch ‘Fun’ oder Problemlösungen und Marktnischen darin zu suchen. 22.9.20)

Wozu dann aber noch Flusser? Wenn das Motto „Our Time is now“ etwas bedeuten soll, dann verlangt es eine wirklich engagierte Lektüre Flussers, und dies nicht in subventioniertem Schneckentempo mit überdimensionierter Literaturliste, Fußnotenaufwand und fadem Abstract.

P.S.

Seit acht Wochen scheint Vilém Flusser wieder zu den Akten gelegt zu sein. Kein Click! Hatte er etwa zu ‘Covid 19’ nichts zu sagen, zu einer ‘Pandämie’ – nicht einmal der ersten – aus der die ach so aufgeklärte Gesellschaft nicht mehr herausfindet? Jedes Schniefen wird zum verräterischen Zeichen. Und jetzt kommt in Europa der Winter, den wir uns mit russischem Erdgas immer so behaglich gemacht haben! Uns retten nur noch “Tests” vor dem schwersten Verdacht, wie unzuverlässig auch immer sie sein mögen. Nicht ‘mal der Beelzebub “Klimawandel”!

Was machen wir nun mit diesem Körper, der uns gefährdet? Wenn wir nicht atmen würden, entständen keine ‘Aerosole’, ohne körperliche Nähe würden die nichts bewirken, von den ‘Schmierinfektionen’ einmal abgesehen. “Impfen Impfen” oder Schmieren Schmieren! Sind doch nur zwei Wege zu demselben Ziel. ‘Schmieren’  ist vielleicht weniger enttäuschend.

Exzessiver Konsum und digitale Kommunikation, auch unterfinanzierte Bildungseinrichtungen haben die Menschen extrem individualisiert, jetzt werden sie auch noch zum “Abstand” aufgefordert.

Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!” “Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. …. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu….sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.” (1. Brief an die Korinther 13 – LINK).

Als die beiden Staatskirchen die rein säkulare Anweisung aus Berlin mit Schließung ihrer Gebetshallen beantworteten, wusste ich wieder, dass ihr christlicher Glaube längst zu einem Steuersparmodell verkommen ist, oder vielleicht umgekehrt, zu einer Einkommensquelle. In den deutschen Kirchen hätte doch seit langem genug Raum für die extremste “Abstandsregel”-Phantasie sein müssen. Dieser Herr Bedford-Strom oder ähnlich bestellt ein Seenotsrettungsschiff. Wozu? Weil im Unterdeck der “Titanic” noch freie Plätze publikumswirksam besetzt werden können?

Haben wir etwa Besseres verdient?

 

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