Schopenhauer, Europas erster Buddhist?

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Frankfurt, den 8. Juni 2013P1390939Mönch Schopenh

Sehr geehrter Herr Urs App,

Dass Sie vorgestern, am 14., nicht zu uns nach Frankfurt kommen konnten, ist sehr schade. Ich wünsche Ihnen gute Genesung. Sie stellen uns einen späteren Termin für den Herbst in Aussicht?Das Thema „Europas erster Buddhist?“ weckt mir spontan Fragen, die ich gern an Sie weitergeben möchte.

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Im Urlaub ist mir die soziologische Studie Melancholie und Gesellschaft von Wolf Lepenies (1969,1998) begegnet In seinem 4.Abschnitt Zum Ursprung bürgerlicher Melancholie : Deutschland im 18.Jahrhundert stellt Lepenies den bürgerlichen Eskapismus, damit auch den Sturm auf die Höhen des Geistes, ohne zu fragen, wie man dahin gekommen sei, in den Kontext der deutschen Fürstenstaaten mit ihrer dem Bürgertum aufgezwungenen fatalen Trennung von Privatheit und Politik (83). Sie durften allenfalls selbstständig denken und dichten“(77). Sie schildern in „Schopenhauers Kompass“ die Stimmung der Zeit nur im Spiegel des jungen Schopenhauer. Ihr Ziel war ein anderes. Doch gehörten nicht altindische Weisheitslehren und der Buddhismus zu besonders exklusiven Angeboten für eine Weltflucht?

2

Später war Schopenhauer über Jahrzehnte marginalisiert.

Nun da ich mir die Kapitel „Über das Elend der  Universitätsphilosophie“ (ermüdend redundant und geifernd), Über die Erziehung, Gelehrsamkeit und sogar Selbstdenken in Parerga und Paralipomena“ wieder für den Jour Fixe von Regehly vornehme, erscheint mir Schopenhauers Philosophie für die Welt“ – eine Formulierung durchaus im Einklang mit buddhistischer Seelsorge – sehr zeitbezogen und geradezu beschränkt. Ich vermisse den ernsthaften Versuch, die Phänomene in ihren jeweiligen Zusammenhängen zu verstehen.

Wenn solche Texte der Grund seines späten Erfolges waren, was war das für ein Erfolg? Hat er sich vielleicht zum Schlechteren entwickelt oder stagnierte er, ohne den lebendigen und verantwortungsvollen Kontakt zu jungen Menschen über die Lehre? „Schopenhauers Kompass“ sagt nichts darüber, das letzte Kapitel bietet eine knappe Gesamtwürdigung.

Die von Lütkehaus analysierten und als Ausfahrt des Buddha pointiert benannten Bildungsreisen des jungen Mannes darf man in ihrer Nachwirkung nicht überbewerten. Auch für den historischen Buddha lagen die wirklich prägenden Erfahrungen, an denen er reifte, nach seiner jugendlichen Ausfahrt.

Eine ketzerische Idee:

Vielleicht hätte es Schopenhauers Philosophie besser getan, sich nach dem Scheitern seiner Berliner Ambitionen irgendwann für die Ausübung seines bürgerlichen Berufs zu entscheiden, statt bloß an Manuskripten zu feilen. Das 19.Jahrhundert ließ neben den Geschäften, die redlich abzuwickeln gewesen wären, genügend Zeit für anspruchsvolle Liebhabereien und Engagements – dafür gibt es genügend Beispiele. Als Landschullehrer in die Fußstapfen Pestalozzis treten, hätte ich ihm aber nicht empfohlen – der ebenso radikale und hochfahrende Wittgenstein ist bekanntlich daran gescheitert.

Ich stelle mir Schopenhauer im Alter als Lohan vor. Auf meiner rasch improvisierten Fotomontage (siehe oben) macht er mit Ende Fünfzig eine mindestens so überzeugende Figur wie der im Original abgebildete Shiba Kokan Lohan. Oder sehe ich doch nur einen Bayern im Himmel (“Hálleluja”)?

3

Das Bild des Buddha und der Buddhisten ist für mich weniger von Doktrinen als von einer Grundhaltung zum Leben und zu den Menschen geprägt. Spontan – ohne Ihre Vermittlung – wäre ich bei Schopenhauer nicht auf das Attribut Buddhist gekommen. Kultivierte er doch den streitlustigen Sonderling. Selbst sein Buddha im Fenster der Schönen Aussicht wurde zum Provokateur. An seinen Publikationen kann ich kein Bemühen erkennen, gegen innere Regungen der Ablehnung und Verachtung, die bis zum Hass gehen konnten (Hegel), anzukämpfen. Mit immerhin sechzig Jahren verpasste er während der 1848er Revolution seine Chance – wie Safranski formuliert – die Einsichten seiner Philosophie – die Philosophie des Mitleids, die Philosophie der >praktischen Mystik< – wenigstens ein Stück weit zu leben. (…)“.

Wenigstens ein Stück weit… Wo war die Gelassenheit inmitten all seiner menschlichen Ängste? Wo die buddhistische Liebe?

Vielleicht war Ihre Frage ja auch nur ein eye-catcher. Ich bin gespannt, inwiefern oder ob Sie überhaupt zu einer positiven Antwort gefunden haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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