Jour Fixe im Tal der Ahnungslosen – Protokoll vom 27.4.

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 Lauter Neue, Zugvögel und Nichtleser von App. Regehly trägt wenigstens erst mal vor, wenn auch resümierend. Den Impuls setzt H. mit der Entdeckung von Schopenhauers „starkem Trieb“, der  „unterdrückt“ sei und dergestalt Arthur „zur Philosophie gedrängt“ habe (frei nach Störig’s Philosophiegeschichte).

Die Reiseerfahrung (Galeerensklaven) und Weimars „bigotte Welt“ (G.) wurden wieder ins Feld geführt. Ich brachte die intellektuelle Umgebung ins Spiel und zog eine Parallele zur „Frankfurter Schule“ in meiner Adoleszenz. Intensive Lektüre radikaler und gesellschafts-kritischer Schriften führt den sensiblen jungen Menschen zu rigiden moralischen Urteilen.

Auch Kant gehörte zur Lektüre. Hatte er auch dessen heiter und humorvoll gestimmten Schriften, die R. ins Feld führte, gelesen? Mir jedenfalls erschienen die Hauptwerke stets von einer asketischen Rigidität; Popper, Onfray und Zitelmann kamen erst später bei mir vorbei.

Ich dramatisiere lebhaft Arthurs Begegnung mit Fichte, wobei wir über dessen angeblich tollen Kunstgriff streiten, unerfahrenen Hörern das Mitschreiben zu verbieten. Fichte ist mir wohl in allem zutiefst unsympatisch. R.: „Wer mag den schon?“

Gesockelte Persönlichkeiten abzuwerten, ist wohl ein Tabu. R. formulierte: „er unternahm es…“. Dagegen setzte ich: „Das war sein leerer Anspruch, sein Wahn“. Bob: „Er weckte Arthurs Widerstand“ – Ich: „War das etwa sein Verdienst? Kann ein begabter Mensch nicht aus allem etwas machen?“ Man faselt vom „Blitz, der der Ausarbeitung vorausgehe“ – so der emeritierte Professsor aus Bonn, der erst allmählich merkt, dass der Jour Fixe für ihn kein Heimspiel ist. „Klar, aber bei einer Vorlesung handelt es sich um eine Aufgabe der Kommunikation. Soll der Fichte’sche „Blitz der Evidenz“ die ahnungslosen Studenten etwa in ihrem vernebelten Kopf treffen?“ Fichte: „Das Wissen reißt sich los“ – „Das Wissen tut gar nichts“ (Heiterkeit); dann behandle ich die Formulierung als verräterische Geste eines Betrügers oder Spinners. R. ist natürlich mit Arthur und App einverstanden, dass es ein Widerspruch in sich ist, wissentlich das höhere Wissen zu erlangen. Dass Arthur Schopenhauer gegenüber Fichte im späteren Leben „konziliant gewesen“ (Regehly) gewesen sei, führt mich – mit Popper im Hinterkopf – zu Kant zurück, der ja Fichte als falschen Freund zurückwies. Der hätte sagen können: Fichte macht sich eben seinen Gott, so wie alle Polytheisten, Theisten, Deisten oder Atheisten es tun. R. gibt mir die allerhöchste Bestätigung: „Schopenhauer verstand sich als Thronerbe Kants“. (Wieder eine Wissenslücke gezeigt in meiner clever bluffen-Performance!)

Da das Jahresthema anfangs von R. als „Geburt der Philosophie Schopenhauers aus dem Geist indischer Weisheit“ vorgestellt wurde, wir aber erst zum Ende der Sitzung eben an den Rand dieses Phänomens gelangen, nehme ich die Frage vom Anfang des Treffens wieder auf: „Warum braucht ein junger Mensch, ohne im Unglück zu leben, Erlösung? Was treibt ihn an? (Siehe oben) Die Verbindung von „Thronerbe Kants“ mit „Erlösung“ erscheint mir auch klärungsbedürftig. „Kant hätte nicht nach Erlösung gestrebt“, behaupte ich frech und höre keinen Widerspruch. In einer gewagten historischen Parallele vergleiche ich das Jahrhundert Kants mit der optimistischen Stimmung von den sechziger bis in die siebziger Jahre: „Wir suchten nicht Erlösung, wir gedachten die Welt zu verändern“. „Warum braucht ein junger Mensch, ohne im Unglück zu leben, Erlösung?“ R.: „Er war durchaus ein religiöser Mensch“. Wenn er auch „die Pfaffen“ belächelte,  verstand er sich als „christlichen Philosophen“. Der Bonner sekundiert professoral: „Für Schopenhauer war das metaphysische Bedürfnis eine anthropologische Konstante“. R. verweist auf den speziellen §17 des 1844 erschienenen „Hauptwerks“: Natürlich gebe es Berufene, der Rest…. (Also doch „Erbsünde“!) R.: Von Kant habe er die Annahme übernommen, es käme in absehbarer Zeit zur „Euthanasie der Religion“, sie werde friedlich entschlafen. Ich trumpfe auf mit dem Gedanken aus meinem Paper, das schon zur Verteilung bereitliegt: „Inzwischen sind beide im Abseits“. Widerspruch: Die Prognose sei eben falsch gewesen. Ich kontere: „Nach Marx oder Hegel kommt alles zweimal vor: das zweite Mal als Farce“ und ich verweise auf die bekannten elenden Erscheinungsformen in der Gegenwart. Die Kennerin lateinamerikanischer Kirche (Befreiungstheologie?) in der Runde protestiert. Wir kommen schließlich zu einem differenzierteren Ergebnis, wozu (wessen?) Satz  „Religion war immer nur ein Zeichen“ beiträgt.

Am Ende lesen wir S.65/66 bis zur Erwähnung des „Oupnek’hat“. R. ist beschwingt, wir sind elegant mit Kap. 4 durchgekommen, man fand die zwei Stunden kurzweilig, man dankt mir. R. will sich mit mir treffen. H. ist schon lange verstummt. G. wartet, dass wir zusammen weggehen, aber unser Gespräch wird anstrengend werden und uns unsere Fremdheit vor Augen führen. 

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