Ermüdung über Kapitel 10 Veda-Weisheit und Gnosis

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29.11.12  Apps Weg durch die Geschichte der Traditionen hat enge Seitenbegrenzungen: die Bildungsgeschichte Schopenhauers und seines  Systems  auf der einen Seite, die Wirkungsgeschichte eines im siebzehnten Jahrhunderts (1656, App: 108) als Kompilation und Übersetzung entstandenen persischen Buches. So kann beim Leser sogar mit der Zeit der Eindruck von Redundanz entstehen. Das gilt auch für Schopenhauer selbst im Horizont dieser Darstellung, der nicht anders als ein Lutheraner aus seiner Lutherbibel die asiatische Weisheit aus der lateinischen Übersetzung des Anquétil saugt: Er vertraute völlig Anquetils extrem wörtlich scheinender Übersetzung. (172)  Urs App schreibt ohne Zweifel eine Spezialstudie. Eigentlich schade! Denn wir bleiben an der Oberfläche des Themas.

Wie bin ich auf den Begriff Gnosis gekommen, auf eine vage Vorstellung von etwas, für den ich den geistesgeschichtlichen Begriff erst wieder suchen musste? Es war der Satz: „Die Aufhebung des Begehrens durch selbstlose Erkenntnis…“ mit Apps Hinweis: hat keinen erkennbaren Bezug zur kantischen Transzendentalphilosophie. (175).

Beim Wikipedia-Artikel „Gnosis“ wird mir schwindlig. Über zwei Jahrtausende und drei Kontinente! Denn wir müssen Nordafrika einbeziehen. Hundert Schulen, darunter alte Bekannte – Schopenhauer wäre die hundert und erste – viele wissenschaftliche Meinungen und unterschiedliche Definitionen kommen in den Blick. Ich werde immer bescheidener und ziehe mit aller Vorsicht Wörterbücher zu Rate, will nur einen orientierenden Blick werfen.

Was ist Gnosis? Sehnsucht nach Erlösung, Weg der Selbsterlösung durch Versenkung in sein Inneres, mal mehr intellektuell, mal mehr emotional, an die verschiedenen etablierten Religionen vom Mittelmeer nach Asien, ja bis nach China. Entsprechende Kosmogonien. Ich hatte dies Phänomen im Frühchristentum verortet. Nicht zu Unrecht, und es begleitete seither als vielgestaltige Häresie den Aufstieg des Christentums.

Mich wundert nun nicht mehr, dass der junge Schopenhauer wie ein Bilderstürmer jede Erwähnung von Gott im Buch Oupekh’nat austilgte. Er war umstellt von Lehren aus dem oft clandestinen abendländischen Untergrund! Er versuchte den philosophischen Kern daraus zu destillieren und neu zu synthetisieren. Eine Erlösungsreligion ohne persönlichen Gott und Erlöser. – Ich kenne diese Leidenschaft noch aus meiner protestantischen Pubertät, und in der setzt ja auch Urs App’s Studie ein.- Doch fast alle Arthur erreichbaren Beispiele waren von Religion infiziert. Vielleicht deshalb finde ich sie im Einzelfall peinlich (Mme Guyon u. a.).

Diese Philosophie in der Zunft gesellschaftsfähig zu machen, hieß für ihn, sie transzendental-philosophisch zu begründen (174) und entsprechend aufzumachen. App berichtet von Versuchen des auf zwei Spalten verteilten Schematisierens. (170) Und er zitiert Schopenhauers zeitweilige Verzweiflung: „Aus dieses Thales Gründen / Wird ich den Ausgang finden?“ (#287; App: 171) Er berichtet auch, wie Schopenhauer 1814/15 vielbändige Philosophiegeschichten durchgeackert habe. (169) Noch früher, 1810, klagte Schopenhauer über Kant, er habe „die Kontemplation nicht gekannt.“ (HN1-#17; 176). Ich bin froh darüber.

Genie ist „mehr als andere Menschen das reine Subjekt des Erkennens“und ist deshalb gleichsam „unter den Philistern, was der Heilige unter Gaunern“(#369; 176) . – Sein Elitedünkel ist nichts wirklich Neues, aber die Erwähnung des Heiligen unter Gaunern! Sofort kommt der Gedanke, dass Gauner in bestimmten Milieus und Situationen mehr Erfolg haben als in anderen. Sehnsucht schafft gute Voraussetzungen, Erlösung  erst recht. Wenn es ein ideologisches oder religiöses Halbweltmilieu gibt, dann dort. Der Philosoph und Soziologe Eric Voegelin hat auch deshalb in seinem dreigliedrigen Schema unter die aktivistische Form  gnostischer Erlösungsversprechen Marx und Hitler einordnen können.

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