Noch einmal „Das Netz“ – nun als Buch !

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Tagebuch einer Lektüre von „Psychologie der modernen Linken“.

Ted Kaczynski hat bekanntlich durch seine Briefbomben an akademische Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes die Publikation seines zeitkritischen Manifests in der Washington Post erpresst. Was steckt in dem Text?   

1.-8.5.2009,  Pointe du Raz, Bretagne. Mit Ted Kaczynskis Manifest zum ersten Mal ernsthaft begonnen: „Psychologie der modernen Linken“.

Bereits der Schreibstil des Manifests markiert eine Sackgasse. Diagnose: Ein Text zur Selbstverständigung. Der Natur der Sache nach kann es davon keine gültige, authentische oder sonst wie befriedigende Fassung geben, höchstens eine letzter Hand. Seine Ausgangsthesen sind klar und einsichtig, wenn man sich darauf einlässt. Als Parole und Handlungsbegründung völlig ausreichend – aber bei theoretischem Anspruch höchst angreifbar. Daran ändern auch die eilfertig vorgenommenen Relativierungen nichts. Der Stil monologischer Bekundungen erleichtert auch nicht die Akzeptanz. Der Autor – der als „wir“ posiert, damit eine Karikatur anderer selbsternannter Avantgarden –  weigert sich selbst da, wo ihm dies möglich wäre, Mitstreiter und Ideengeber anzugeben. Das Thema ist schließlich nicht neu. Und da er seine persönliche Traumatisierung durch social engineering in Harvard z.B. ausblendet, bleibt ihm nur noch doktrinäre Verkleidung – und als Verbreitungsweg der individuelle Terror.

Die asoziale Einsiedlerhütte ist eben keine zeitgemäße Plattform für Kommunikation, so wenig wie eine Kleinstadtbibliothek mit Fernleihe als Informationsbasis. Als Ted Kaczynski die Universität als anerkannten Ort der gesellschaftlichen Meinungsbildung verließ, dachte er vielleicht an den legendären Thoreau. Doch diese Zeit ist wirklich vorbei. Er hat sich in eine Zelle eingeschlossen lange vor seiner Verurteilung zu mehrfach lebenslänglicher Haft.

Erneut überlegen: Soll man einen überführten Terroristen anhören? Wir leben nicht in der Zarenzeit. Und unsere Gegenwart ist im Ganzen nicht totalitär. Ihre Zukunft kann es sehr wohl sein. Habe ich mich seinerzeit etwa für die Gedankengänge der RAF interessiert? Nein. Die Wahllosigkeit seiner Anschlagsziele erschreckt mich beim Lesen. Seine Begründungen überzeugen mich nicht.

Zweiter Ansatz: Er ist ein Opfer, das dokumentiert Dammbeck. Ted Kaczynskis persönliche  Glaubwürdigkeit beruht darauf. Und deshalb ist ihm auch zuzuhören. Die Harvard-Akademiker wussten schon, warum sie diese Kriegsforschungen im Archiv versteckten und Beweise unauffällig entsorgten. Worauf er den Schwerpunkt legte – „Bereiche, denen bisher ungenügende öffentliche Aufmerksamkeit zugekommen ist“ (80) – sind solche, die er als Versuchsperson erfahren hat. Ihnen widmet er sich mit der Versiertheit eines modernen Klienten. Das unterscheidet ihn schon von der RAF, Ulrike Meinhof vielleicht ausgenommen. Es ist geradezu anrührend, wie Ted Kaczynski sich für das Ganze der Zivilisation engagierte, statt als aufrechter Amerikaner in den Wäldern zu verschwinden und ein freies Leben zu führen.

Stattdessen sitzt er nun als Kostgänger des verhassten Systems in einem Hochsicherheitsgefängnis, inneren und äußeren Zwängen ausgeliefert. Wo er schon Aktivisten sozusagen niederer Art abwatschte, wegen ihrer „Minderwertigkeitsgefühle“, ihrer „Feindseligkeit“ (86 z.B.) und für ihre „Ersatzhandlungen“(93ff.).  Das Maß an Geringschätzung für  typisierte Menschen teilt er mit den Psychologen, die ihn einstmals „demütigten“. Dabei musste er wissen, dass er riskierte, als armes Würstchen, als hochkrimineller Gefangener in die Klauen von Psychiatrie und Justiz zu geraten, die das System schützen sollen gegen Dissidenten und Revolutionäre wie ihn. Hat er etwa über die RAF gelesen und ihren Kampf um Anerkennung als Kriegsgefangene? Er musste wissen, dass das Schweinesystem (RAF) am längeren Hebel sitzt und es gegen den unweigerlichen  sozialen Tod gar nichts nützt, strafrechtlich für verantwortlich erklärt zu werden – was ihm das Wichtigste am Deal beim Prozess war. Soziale Ächtung geht dann eben andere Wege als den psychiatrischen Weg. Wir sind längst wieder auch beim Text:

Ich jedenfalls kenne den als „links“ beschriebenen Menschenschlag und würde Kaczynski auch im weitesten Sinn als „links“ verstehen. Ich bin jetzt gespannt,  wie er den Bogen schlägt von diesen Leuten zum Durchbruch der totalitären Technokratie.

Ted Kaczynskis nüchterner Stil in Briefstellen sticht übrigens angenehm ab von seinem Theorieversuch im Manifest. Ein Stil der Halbbildung, Wittgenstein abgeguckt? Es kann gut sein, dass Lutz Dammbecks Beitrag – ganz ohne politische Morde – der fruchtbarere ist, weil er alle möglichen viel versprechenden Verbindungen bahnt und nicht eine einsame Schleimspur zieht.

7.5. Doch sechzig Seiten weiter.

Durch das Lektorieren einer Examensarbeit werde ich viel toleranter für Ted Kaczynskis Verlautbarungs-Stil. Er spricht vieles auch emotional an, was nur ein ausgeführter Text vermag. Die Zählung nach Abschnitten macht Sinn angesichts der Unwägbarkeiten der Publikation, zum Beispiel in einer Zeitung. Das Milieu, in dem er wissenschaftlich sozialisiert worden ist, arbeitet eben nicht mit freieren Mitteln wie dem gewinnenden Plädoyer, dem kontroversen Dialog, ja der Satire, generell eben nicht mit den literarischen Mitteln seit Diderot und Voltaire, sondern tendiert zu standardisierten Formen, wie angelsächsische Fachzeitschriften sie auf die Spitze treiben. Was ein John Brockman förderte – Popularisierung von Wissenschaft –  wird Kaczynski gar verdächtig sein als „Propaganda“, „Verführung“. Er schreibt einen Stil der Einsamkeit. Er ist gewiss stolz auf seine analytischen Fähigkeiten und hat vieles in einer Weise durchdacht, wie es auf langen Wanderungen oder an den verrücktesten Orten geschieht.

Was er von der „technologisch fortgeschrittenen Gesellschaft“, „Technologie“ oder schlicht „System“ sagt, kenne ich bereits vom Medienphilosophen Vilem Flusser und  dem anarchistischen Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend. Doch Ted Kaczynski fehlt im Vergleich zu diesen Autoren jeglicher Humor, so wie im Leben jede Listigkeit.

Ted Kaczynski formuliert an manchen Stellen auch mein Lebensgefühl. Ich sah mich anfangs von ihm angegriffen, weil er seine Kompromisslosigkeit, und mehr noch die Geradlinigkeit eines Predigers für die einzig sinnvolle und moralische Haltung ausgibt. Ihm geht es wie gewissen protestantischen Pfarrern auf der Kanzel, die das Elend der Welt so überzeugend darstellen, dass sie die Kurve zu Hoffnung oder Verheißung nicht mehr kriegen. Dabei sagt Ted selber, Revolutionen hätten mit dem „Entfachen von Begeisterung“ gesiegt.

Sein Pulver ist nass. Er hat sozusagen alle Einwände gegen sich selber formuliert, nicht um sie zu widerlegen, sondern als Teil seiner Analyse. Zum Auslösen von Revolutionen gehören aber nun einmal als Zutaten: Illusion, Verblendung, Täuschung und betrügerische Versprechungen. Ted verspricht niemandem etwas, nur das Kreuz (um in der Symbolik der Bretagne zu sprechen). Wie sollten da seine Ideen in Konkurrenz mit denen des „Systems“ zünden?

Warum überhaupt ein Manifest? Gibt es für einen versierten Mann wie ihn keine witzigere Form der Subversion? Ich denke an die Hacker und die Versender von Computerviren, obwohl auch für die gilt, dass das System an ihnen sich vervollkommnet. Verstand er die ersten Jahre seine Attentate noch als subversive Nadelstiche gegen das „System“? Ungezielt zu töten oder verstümmeln wozu auch immer?  Er behauptet nun, einzig durch Attentate Aufmerksamkeit für seine Gedanken zu erhalten, wohlgemerkt nur Aufmerksamkeit, für keinen weiteren praktischen Schritt.

Dabei sagt die schließlich erfolgte Publikation in der „Washington Post“ und der „NYT“ schon alles. Hat er Noam Chomsky nicht gelesen ? Etwa dessen „Manufactoring of Consent“ (1), worin exklusivere Medien eben zur Manipulation entsprechender Zielgruppen dienen? Er ist und bleibt auch als Maschinenstürmer – von solchen Aktionen kann er nur träumen – ein blasser Theoretiker im Elfenbeinturm, ein mörderischer Amokläufer in Zeitlupe. Und das ist sein schlimmster Fehler, wenn ich einmal die Ernsthaftigkeit seines Willens unterstelle, das „System“ zu untergraben:  Er hat sich zur Unperson gemacht – darüber könnte er vielleicht auch etwas gelesen haben in seinem Buch über die chinesische Gesellschaft, das er erwähnt. Damit ist er die nächsten fünfzig Jahre nicht zitierfähig. Wer sich auf ihn beruft, hat noch mehr Mühe, sich Gehör zu verschaffen als ohnehin mit einer derartigen Position.

Er wollte sich nicht zum Narren des Systems machen, er wollte keine Narrenfreiheit. Das System kann auch anders, wie bei uns die Stasi formulierte. Ich freue mich auf Luhmann, der  gar nicht erst vorgibt, der Retter der Welt zu sein.

8.5.

Freu dich nur auf Luhmann, aber Ted Kaczynskis zeigt große Kenntnisse geschichtlicher Prozesse und Urteilskraft, was ich beides beurteilen kann. Denn wir haben schließlich ganz verschiedene Voraussetzungen und ich bin ihm gegenüber unvoreingenommen. Seine Abstraktionsebene ist genau die, die nützliches Orientierungswissen ausmacht. Die Darstellung ist notgedrungen – er selbst entschuldigt sich dafür – äußerst verknappt, aber die Ergebnisse stimmen; ich kann das aus vielen Quellen schöpfend bestätigen.

Er hat freilich eine Wertentscheidung getroffen, die so radikal ist, dass ich sie nicht mittragen, schon gar nicht für sie nicht mein Leben opfern wollte – auch im Sinne einer endlosen Einsperrung.  Was ihn angeht, so habe ich den Eindruck, er hat seine Aufgabe erfüllt: Das Manifest ist in der Welt, sein Vermächtnis, auf einem bizarren Weg zwar, und es hat gerade deshalb bereits einen deutschen Filmautor gefunden und damit auch einen Verlag, die es vielleicht aus der spinnerten Internetecke holen können. Mehr Leute werden es lesen als zugeben, es getan zu haben. So wie Ted Kaczynski unsere Aussichten beurteilt und wertet, kann ihm das, was ihm nun geschieht, nicht so wichtig sein. Er machte an keiner Stelle den Eindruck, Epikuräer zu sein. Asket ist er, und einer, der Opfer nicht scheut, weil er sie ohnehin an allen Ecken wahrnimmt.

Die von ihm empfohlene Taktik erinnert mich an die Trotzkisten (wenigstens der Siebziger Jahre): Sie waren berüchtigt, mit Hintergedanken alle möglichen Dinge zu unterstützen, die ein geradliniger Linker ablehnte. So rät es Ted Kaczynski zu tun: Konspirieren, agitieren und abwarten – so haben schon Generationen von Revolutionären ihr Leben verbracht. Nur die Glücklichen wie Lenin und Trotzki wurden durch die Ereignisse in die Mitte der Geschichte gespült. Und die Revolution hat ihre Kinder gewöhnlich irgendwann gefressen, so wie das Meer seine Fischer verschlingt.

Das Ende des Textes ist blass, nicht der große Knaller. Im Gegenteil: Ted entschuldigt sich bei seinen Lesern und verläuft sich in Beiläufigkeiten, so wie einer, der kein Ende findet. Propaganda will er ja auch nicht machen. Er schenkt uns reinen Wein ein (soweit ich das beurteilen kann), er ist schließlich eine ehrliche Haut.

 

(1) Montreal 1994; deutsch: Noam Chomsky – Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung – Medien, Demokratie und die Fabrikation von Konsens. Trotzdem Verlagsgenossenschaft 2001) 

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