Notiz zu “Engagement”

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Im Essay „Für eine Philosophie der Emigration“ aus den 70er Jahren hat Engagement eine strategische Position, („Von der Freiheit des Migranten“,31ff.) als ein Element der Freiheit, als eine Bewegung zu der gegenläufigen der Ironie: „Die Bewegung aus der Ironie heraus ist ein Engagement. Mit dieser Bewegung kehrt der Mensch in seine Bedingung zurück, um sie zu ändern“. (31) – Eine elegante, möglicherweise von Camus beeinflusste Argumentation? Engagement wird als existentielle Bewegung beschrieben, ausschließlich vom handelnden Individuum aus gesehen und zwar im Spannungsfeld der Entscheidung zur Emigration. Engagement tritt als die Alternative zu Emigration auf, sie wird aber auch mit der Immigration gleichgesetzt. (32). Trotz des anspruchsvollen Titels beansprucht der Schreiber Flusser nicht mehr, als das, was er selbst erfahren hat, auch zu bewerten. (33)

Der biografische Hintergrund – Flussers Wiederauswanderung aus Brasilien – ist Subtext. Man könnte umgekehrt sagen: Subjektiv relevante Entscheidungen treten in abendländisch philosophischer Einkleidung auf. Wir Deutschen pflegen so etwas manchmal mit der Redewendung zu kommentieren, man solle etwas nicht so hoch hängen.

Typisch für Flussers Vorgehen ist angesichts der komplexen Materie eine radikale Einfachheit des Spiels mit drei Elementen. Ihn interessiert Engagement als Bewegung, im Moment der existentiellen Entscheidung für oder gegen Engagement.

Im  allgemeinen Sprachverständnis gehört zum Engagement nicht ohne Grund Loyalität, Zuverlässigkeit, ein daran Festhalten auch gegen Widerstände, vielleicht sogar durch dick und dünn. Andernfalls muss man ein abschwächendes Attribut vorausschicken. Flusser interessiert daran stattdessen die Kombination zweier konträrer Verhaltensweisen: Sich assimilieren und auf die neue Bedingung verändernd einwirken (33), wie er an der Immigration zeigt.

Auf dieser Abstraktionsebene sind ganz individuelle Mischungen denkbar. Sie ergeben immer eine entsprechende Haltung, die aber auch den Radius oder die Intensität der Einwirkung  begrenzt. Ich erinnere mich dabei an den Fall eines anderen jüdischen Immigranten in Brasilien, der dort sein restliches Leben erfolgreich dem Aufbau einer literarischen Infrastruktur gewidmet hat. Wenn ich Studien, nicht nur von Michael Hanke, glaube, hat Flusser sich in den dreißig Jahren nur oberflächlich an das Land  assimiliert – ein Wort, das er gar nicht mochte. Was ist im Grunde dortvon ihm geblieben, außer das Bedürfnis von Nachgeborenen, ihn für ihr Land zu reklamieren, ganz so, wie er es an den Pragern 1990 belächelt hat?

Flusser stellt nicht mehr als einen Rahmen auf, eine Handlungsmaxime, die hinreichend allgemein und schlüssig, in sich kohärent zu sein scheint. Im Unterricht habe ich diesen Text gerade wegen seiner abstrakten Linearität, seiner Skizzenhaftigkeit und seiner Aufbruchsstimmung jungen Erwachsenen vorgesetzt. Er ist in seinem lakonischen Ton und elementaren Charakter erfrischend.

Für eine philosophische Erarbeitung des Phänomens „Engagement“ bietet er nur einen allerersten Anfang. So ist etwa von Verantwortung, Mitverantwortung, Verpflichtung, Gegenständen und Fähigkeiten noch gar nicht die Rede. Er ist ein Impulstext.

31.10.12 / 4.11.2013

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