Als ich die beiden Figuren erwarb, hatte ich ebenso rudimentäre in der Studie „Yanda-Beelden en Mani-Sekte bij de Azande“ von Herman Burssens gesehen (Tervuren 1962).
Nun finde ich eine Dreiergruppe mit starken Entsprechungen in dem von J.-L.Grootaers herausgegebenen Handbuch „Ubangi : Art et cultures au coeur de l’Afrique“ (Actes Sud, 2007, p.67 1.76 – wieder in einem Beitrag von Burssens).
Sie illustrieren auf einem alten Objektfoto von 1935 („Aufenthalt dieser Figuren unbekannt“) die kleinformatigen Repräsentationen des Naturgeistes „Ngakola“ und seiner Familie, deren Kult sich eine gleichnamige Geheimgesellschaft („association initiatique“) unter den Banda an den französisch wie belgisch beherrschten Ufern des Ubangi widmete. Diese Gesellschaft wurde wie andere – Kudu und Mani – zeitweise verboten und als subversive Sekte in den Untergrund gedrängt. Antonin-Marius Vergiat, der sich zwischen 1932 und 1935 initiieren ließ und Erzählungen von Mythen und Ritualen sammelte, Objekte fotografieren und manche sogar sammeln durfte, erhielt den lokalen Namen ‚“Freund des Ngakola“.
Er zitierte 1936 einen alten Initiationsleiter fogendermaßen: „Seh’n Sie, dort wo in unserer Heimat die Weißen die Riten (ngakola) verboten haben, sterben die Menschen in größerer Zahl, in den Häusern fehlen die Kinder und unser Volk verschwindet. In den Regionen, wo die Zeremonien immer noch in Kraft sind, sind die Dörfer voller Leben und die Menschen stark und voller Energie. Ngakola ist glücklich und er pflegt und schützt sie.“ (Dt. Übersetzung vG)
Die Übereinstimmungen der beiden Gruppen von Figuren in der Gestaltung sind frappierend. Das Alter könnte übrigens auch passen.
Darstellungen des Naturgeistes existierten in verschiedenen Größen. Diese etwa 15 cm kleinen Miniaturen waren persönliche Amulette und wurden sorgsam behandelt und aufbewahrt. Meine Figuren waren von vorneherein ohne applizierten Schmuck – bis auf Hals- bzw. Hüftkettchen – dafür durch drei ausgeprägte waagrechte Kanten effektvoll in vier Abschnitte unterteilt. Sie haben die Zeit unbeschädigt überstanden. Bis auf eine Patina aus Palmöl und rotbraunem Padouk-Pulver sind jedoch keine Spuren der Pflege erkennbar.
Der Gesichtsschädel des Mannes erstreckt sich über die zwei oberen Abschnitte, dem Torso gehört der dritte, den Beinen der vierte unterste Abschnitt. Von ‚Beinen‘ kann man deshalb sprechen, weil der unterste Ring entsprechend durchgehend eingekerbt ist. Diese Kerbe fehlt bei der Frau.
Vergiats Figuren sind von fließenden Übergängen geprägt und mit diversem Schmuck ausgestattet: eingelassene kleine Glasperlen, eingeschnittene Gesichtsnarben und Amulettkette oder eine Perlenkette um die Hüfte.
Die langgezogenen Gesicht beider Ngakola zeigen einen extrem schmalen Kieferbereich mit auffällig großen Nasenlöchern und einem o-förmig geöffneten Mund, wie man ihn von lautierenden Menschenaffen kennt. Bei Vergiats Figuren stehen vergrößerte Augen weit auseinander. Die Gesichter beider Gattinnen erscheinen unaggressiv, ihre Köpfe werden durch Hahnenkammfrisuren gekrönt.
Bei allen drei Figuren Vergiats ist jeweils der Nabel ausgebildet, bei meiner nur der der Frau. Ngakola und der Sohn scheinen auf dem Foto einen kräftigen herabhängenden Schwanz zu tragen. An dieser Stelle durchbricht bei meinem Ngakola eine flache senkrechte Kerbe den Ring. Ohne Vergleichsobjekte hatte ich sie mit dem weiblichen Geschlecht identifiziert. Die Frage muss vorerst offen bleiben.
Bereits im März 2019 begegnete mir eine ähnliche Figur auf der Seite von Bruno Mignot . Seine Erläuterung zitiert J.-L. Grootaers in „Ubangi …“ p. 254ff.: Danach stammt das Objekt aus dem Süd-Sudan, aus Yambiao vom Hof des Königs Gbudue (1835-1905). Die ersten Figuren dieses Stils wurden von dem Kaufmann, Professor und Safari-Guide Richard Storch um 1910 gesammelt, der sie für frühe ‚Colons‘ ansah. Sie könnten neuen Bedürfnissen in einem veränderten sozialen Rahmen gedient haben.
Azande 6054: www.bruno-mignot.com